Neue Steuern durch die EU - Ein Dammbruch steht bevor

Corona macht es möglich: Die Europäische Union wird derzeit fundamental umgebaut. Schon jetzt deutet sich an, dass die Pandemie-Hilfen lediglich der erste Schritt zur Fiskalgemeinschaft sind. Wenn der Bundestag nicht aufpasst, droht Brüssel auch noch zum neuen Steuermoloch zu werden.

Nein? Doch! Oh!: Inspektor Ducros (Bernard Blier, links) und Antoine Brisebard (Louis de Funès) im Dialog / Trianon
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die Älteren unter uns erinnern sich vielleicht noch an die berühmte Szene aus der französischen Kriminalkomödie „Jo“ von 1971: Inspektor Ducros, gespielt von Bernard Blier, betritt das Wohnzimmer eines gewissen Antoine Brisebard (Louis de Funès) und konfrontiert diesen mit kompromittierenden Erkenntnissen: „Il se passe une chose étrange“, seltsame Dinge seien da im Gange, so der Polizeikommissar gegenüber Brisebard, worauf dieser im sich entspannenden Dialog mehrmals mit einem leicht entsetzten „Nein?“ antwortet – was Ducros wiederum mit einem entschlossenen „Doch!“ kontert. Antoine Brisebards repetitive Reaktion: ein naiv-erstauntes „Oh!“.

Dieser „Nein-Doch-Oh!“-Moment erlebt derzeit im Zuge der Corona-Krise eine Wiederaufführung, jedoch leider nicht im Genre des Lustspiels.

Schäuble wird deutlich

Seltsame Dinge spielen sich dieser Tage ab, wenn es darum geht, Fakten für eine Post-Corona-EU zu schaffen, die ohne Pandemie wohl kaum so schnell hätten auf den Weg gebracht werden können. Wenn überhaupt.

„Die Corona-Krise ist eine große Chance. Der Widerstand gegen Veränderung wird in der Krise geringer“, so Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble vergangene Woche mit Blick auf die Wirtschafts- und Finanzunion, welche „wir politisch bisher nicht zustande gebracht haben“, jetzt aber „hinbekommen“ könnten. Der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass Schäuble im Interview mit der Neuen Westfälischen hinzufügte, dies habe „auf der Grundlage der Überzeugung“ zu geschehen, „dass derjenige, der entscheidet, auch die Verantwortung dafür übernimmt“. Klingt wie die übliche Beruhigungspille? Nein? Doch! Oh!

„Next Generation EU“

Wie bei jeder halbwegs gelungenen Inszenierung bedarf es zunächst einmal der richtigen Kulisse. Und Corona ist da tatsächlich ein mehr als adäquater Hintergrund – schließlich geht es nicht nur um Infektions- und Krankheitsrisiken, sondern um die Zukunft einer Europäischen Union, die von allerlei institutionellen Kinderkrankheiten befreit werden müsse, um überlebensfähig zu sein.

So zumindest lautet die gegenwärtige Erzählung mit dem vereinnahmenden Titel „Next Generation EU“. Diese Überschrift, ersonnen im Hause der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen, erweckt in der Tat den Eindruck eines zukunftsweisenden Hau-Ruck-Projekts nach dem Motto: Lasst uns das Alte überwinden! Seltsamerweise ist im Drehbuch trotzdem nur von Schulden und Steuern die Rede. Nein? Doch! Oh!

Die neue Rolle von Olaf Scholz

Inzwischen hat sich der Bühnennebel ein wenig gelichtet, und siehe da: Von der Einmaligkeit, die der 750 Milliarden Euro schwere „Wiederaufbauplan“ zur Beseitigung der Corona-Schäden ursprünglich haben sollte, ist bereits nach nur einem Monat nicht mehr viel die Rede. Bundesfinanzminister Olaf Scholz fiel am Wochenende prompt und überdeutlich aus seiner einstigen Rolle des strengen Haushälters, als er der Funke-Mediengruppe wörtlich mitteilte: „Der Wiederaufbaufonds ist ein echter Fortschritt für Deutschland und Europa, der sich nicht mehr zurückdrehen lässt.“

Womöglich hat Scholz mit diesen Worten aber überhaupt erst in seine wahre (neue) Rolle gefunden, nämlich jene des SPD-Kanzlerkandidaten. Nein? Doch! Oh!

EU-Umbau in vollem Gang

Machen wir uns nichts vor: Der Umbau der EU ist derzeit in vollem Gang, und Corona dient dabei lediglich als jener Katalysator, auf dessen Wirkung auch der Bundestagspräsident unumwunden setzt. Wer im Rahmen dieser neuen Union die von Schäuble eingeforderte „Verantwortung“ (wofür eigentlich?) übernimmt und wie dies genau zu geschehen hat, das ist übrigens auch versierten Europarechtlern derzeit noch einigermaßen rätselhaft. 

Mehr Geld im Topf

Fakt ist: Die Institutionen der Europäischen Union werden künftig mehr entscheiden können, sie werden mehr Geld zu verteilen haben. Und sie werden die Möglichkeit erhalten, eigene Steuern zu erheben. Diese Chance lässt sich niemand entgehen.

„No taxation without representation“, lautete der Schlachtruf im amerikanischen Unabhängigkeitskampf. Mit Blick auf die „Next Generation EU“ muss deshalb schleunigst die Frage geklärt werden: Wer repräsentiert künftig wen, und wo findet diese Repräsentation überhaupt statt? Im EU-Parlament? In den nationalen Parlamenten? In der Kommission? Im europäischen Rat? Wohl selten in der Geschichte der Demokratie wurde derart leichtfertig eine neue Steuerinstanz ins Leben gerufen

Steuern per Verordnung

Wenn die Europäische Union dem Grunde nach ein Besteuerungsrecht bekommt, sei es auf Plastik, Finanztransaktionen, Digitales oder CO2-Verbrauch, dann kann (und wird) sie dieses auch in anderen Bereichen für sich beanspruchen. Um es in aller Deutlichkeit zu sagen: Hier bahnt sich ein echter Dammbruch an; Steuern auf dem Verordnungsweg. Eigentlich würde die Einführung von EU-Steuern eine entsprechende Änderung der EU-Verträge erfordern – ein Schritt, der wegen drohender Referenden in einzelnen Mitgliedstaaten tunlichst vermieden werden soll.

Die EU wird zugreifen

Wenn der Bundestag in den kommenden Wochen den Eigenmittelbeschluss zur Finanzierung des europäischen Wiederaufbaufonds ratifiziert, muss also zumindest sicher gestellt sein, dass darin ganz konkret festgelegt ist, was und in welcher Höhe besteuert werden soll. Geschieht dies nicht, lässt also das deutsche Parlament in der Steuerfrage auch nur die geringsten Spielräume für Konkretisierungen offen, wird die EU beherzt zugreifen.

Und wenn sie das erst getan hat, werden die bisherigen Transfers innerhalb der Europäischen Union wie eine harmlose Umverteilerei wirken. Nein? Doch! Oh!

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