Nazivergleich beim DFB - Eskalation einer Dauerkrise

Der DFB-Präsident Fritz Keller verglich in einer Präsidiumssitzung seinen Vize Rainer Koch mit dem berüchtigten NS-Richter Roland Freisler. Diese unannehmbare Entgleisung ist ein weiterer Tiefpunkt für den von Machtkämpfen und Intrigen gebeutelten größten Sportverband Deutschlands.

Tritt er zurück? DFB-Präsident Fritz Keller / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Thomas Dudek kam 1975 im polnischen Zabrze zur Welt, wuchs jedoch in Duisburg auf. Seit seinem Studium der Geschichts­­wissen­schaft, Politik und Slawistik und einer kurzen Tätigkeit am Deutschen Polen-Institut arbei­tet er als Journalist.

So erreichen Sie Thomas Dudek:

Anzeige

Von Fritz Keller gibt es eine nette Anekdote. Als der Freiburger Winzer und Gastronom im September 2019 sein Amt als DFB-Präsident antrat, brachte er zu seinem Einstand in der Frankfurter Otto-Fleck-Schneise ordentlich viele Flaschen seiner prämierten Erzeugnisse mit. Eine Geste, die bei den rund 200 Mitarbeitern in der Zentrale des Deutschen Fußball-Bundes sehr gut ankam. Es war ein perfekter Einstand für einen Hoffnungsträger, der den mit über sieben Millionen Mitgliedern größten nationalen Sportverband nach Jahren der Skandale in ruhigeres Fahrwasser führen sollte.

Doch von der Hoffnung, die Fritz Keller noch vor eineinhalb Jahren verkörperte, ist heute nichts mehr geblieben. Ganz im Gegenteil. Seit dem Wochenende fordert die Basis des DFB den Rücktritt von Fritz Keller. Bei einer außerordentlichen Sitzung in Potsdam haben die Präsidenten der Landes- und Regionalverbände dem DFB-Präsidenten mit großer Mehrheit das Vertrauen entzogen. Von 37 abgegebenen Stimmen, sprachen sich 26 gegen Keller aus.

Vergleich mit Nazi-Richter Freisler

Die Entscheidung der Landes- und Regionalverbände ist durchaus konsequent. In einer Präsidiumssitzung am 23. April, in der es unter anderem um die fristlose Kündigung von Kellers Büroleiter Samy Hamama ging, verglich der Verbandschef den DFB-Vizepräsidenten Rainer Koch, in der Vergangenheit Vorsitzender Strafrichter am Oberlandesgericht München, mit dem berüchtigten NS-Richter Roland Freisler. Dieser sprach in seiner zweieinhalbjährigen Zeit als Präsident des Volksgerichthofes nicht nur um die 2.500 Todesurteile aus, darunter gegen die Geschwister Scholl. Er ist als einer der 15 Teilnehmer der Wannseekonferenz auch einer der Hauptverantwortlichen für die Organisation des Holocausts.

Eines Verbandspräsidenten unwürdig ist aber nicht nur diese beleidigende Entgleisung, sondern auch Kellers Verhalten danach. Noch während der Sitzung versuchte sich dieser rauszureden, er habe einen Bekannten, der ebenfalls Freisler heiße. Dem Spiegel, der Montag vergangener Woche zeitgleich mit der Bild zuerst über den Vorfall berichtete, ließ Keller über den DFB mitteilen, dass er sich „in aller Form persönlich im Gespräch wie auch schriftlich bei Rainer Koch entschuldigt“ habe. „Er hat die Größe, die Entschuldigung anzunehmen, wofür ich ihm dankbar bin“, hieß es weiter in der Mitteilung.

Der lügende Verbandspräsident

Was sich jedoch schlicht als Lüge herausstellte. „Herr Koch hat die Entschuldigung bislang nicht angenommen, weil er den gesamten Vorgang mit zeitlichem Abstand zunächst in einem persönlichen Gespräch mit Fritz Keller aufarbeiten möchte“, erklärte der Bayerische Fußballverband, dem Rainer Koch vorsteht. Und daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch nach der Sitzung in Potsdam, bei der es zu einem Treffen zwischen den zwei Kontrahenten kam, nahm Koch die Entschuldigung zwar entgegen, aber nicht an.

Das klare Misstrauensvotum vom Wochenende hat wenigstens dazu geführt, dass Keller sich Bedenkzeit erbeten hat. Bis dahin hat er einen Rücktritt nicht nur ausgeschlossen, sondern nach Recherchen der Bild-Zeitung auch noch am Freitag unter den Verbandsmitarbeitern für seine Person geworben. In einem im DFB-Intranet veröffentlichten Schreiben gibt der 64-Jährige seine „dumme, unbedachte und beleidigende“ Entgleisung zu, gleichzeitig stellt er sich aber auch als Opfer dar. „Warum wohl steht nun nach drei Rücktritten von Präsidenten der vierte Präsident zur Debatte? Weil er unbequem ist, unangenehme Fragen stellt und Aufklärung verlangt, wo offensichtlich Bedarf besteht“, schreibt Keller in seinem Brief an die Mitarbeiter des DFB.

Machtkampf und Intrigen der Funktionäre

Es ist der Brief eines Fußballfunktionärs, der aus seinen Fehlern keine Konsequenzen ziehen will, in dem aber ein sehr wahrer Satz steht: „Sie haben eine professionelle Führungsmannschaft verdient, die Werte wie Toleranz, Transparenz und Fairness lebt. Sie haben es nicht verdient, durch immer wieder neue Auseinandersetzungen in einem kleinen Kreis von Führungskräften so derart an der Ausübung Ihres Berufes gehindert zu werden.“

Und tatsächlich wäre es vermessen zu glauben, dass mit dem unausweichlichen Rücktritt von Fritz Keller beim DFB wieder Ruhe einkehren würde. Vielmehr ist der Skandal nur ein bisheriger Höhepunkt in einem seit Jahren andauernden Konflikt auf höchster Funktionärsebene, in dem es um Macht, Geld, Intrigen und persönliche Eitelkeiten geht und bei dem sich keine der beteiligten Personen mit Ruhm bekleckert hat.

Teure Wikipedia-Artikel, dubiose Berater

Friedrich Curtius, seit 2016 DFB-Generalsekretär, sorgte Anfang des Jahres für Schlagzeilen mit einem Wikipedia-Artikel zu seiner Person, der im Juni 2019 für 15.000 Euro von der Firma Esecon erweitert wurde und über längere Zeit für 1.200 Euro pro Monat gepflegt wurde. Alles auf Kosten des Fußballverbandes. Pikanterweise untersucht dasselbe Unternehmen im Auftrag des DFB ebenfalls die Geldflüsse rund um die Sommermärchen-Affäre.

Gegen Keller und seinen einstigen Büroleiter Hamama wiederum ermittelt die Staatsanwaltschaft, weil sich dieser unberechtigt Zugang zu Geschäftsverträgen verschafft hat, die dem ZDF zugespielt wurden. Die zu Ermittlungen führende Anzeige stellte der Medienberater Kurt Diekmann. Dessen hochdotierter Vertrag in Höhe von 360.000 Euro bringt nicht nur Curtius und DFB-Vize Koch in Bedrängnis. Unklar ist auch Diekmanns Rolle beim Sturz des Keller-Vorgängers Reinhard Grindel im April 2019. Jedenfalls sind Mails aufgetaucht, in denen Diekmann einem Spiegel-Journalisten zu seinem Coup gegen Grindel gratuliert.

Personelle Wechsel reichen nicht

Und als ob das nicht genug wäre, belasten seit Herbst vergangenen Jahres eine Steuerrazzia und Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung das Ansehen des Fußballverbandes. Von der Affäre um die Vergabe der WM 2006 nach Deutschland ganz zu schweigen. Das Thema ist seit Oktober 2015 ein Dauerbrenner für den DFB und bekommt immer wieder neue Nahrung. So wie an diesem Wochenende, als Ex-DFB-Präsident Grindel in einem ZDF-Interview Rainer Koch vorwarf, schon vorher von den Recherchen des Spiegel zu der Sommermärchen-Affäre gewusst zu haben, ohne jedoch das Präsidium und den Verbandspräsidenten zu informieren.

Lösen können diese Probleme aber nicht allein die Rücktritte der führenden DFB-Funktionäre. Die Intrigen und seit Jahren andauernden Skandale offenbaren, dass der DFB dringend neue Strukturen braucht, um vor allem seiner sozialen Verantwortung gegenüber den 7 Millionen Mitgliedern, seiner Basis, gerecht zu werden. Und dies ist dringend geboten in einer Zeit, in welcher die Amateurvereine wegen der Coronapandemie zum Teil in eine existenzielle Krise geraten sind.

Anzeige