Nach der Bundestagswahl - Weiter so

Die etablierten Parteien und ihre führenden Protagonisten haben nichts aus dem Wahldebakel gelernt. Weiterhin blicken sie herablassend auf ihre Wählerschaft hinab. Dabei übersehen jedoch alle einen Elefanten im Raum

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Man darf sich ergötzen an Jamaika oder nicht. Immerhin ist die Machtelite wieder unter sich / picture alliance
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Der Spiegel, dank seiner Enthüllungen einst das Erotikmagazin der deutschen Politik, enthüllte zu den Bundestagswahlen deren wichtigste Protagonisten: Angela Merkel und Martin Schulz. Über Angela Merkel war unter dem sinnigen Titel „Der Firlefanz“ nachzulesen, wie Deutschlands wohl berühmtester Werber ihren Wahlkampf gestaltete: Jean-Remy von Matt, bisher erfolgreich, wie der Spiegel enthüllend-erhellend zu berichten wusste, mit Kampagnen für „das coolste Auto, die knappste Unterhose, das billigste Handynetz“, nicht zuletzt „für Ricola-Hustenbonbons“. Einmal pro Woche habe sich von Matt für eine Stunde mit Merkel getroffen, um seine Ideen zu präsentieren, zum Beispiel den Slogan „I love Raute“ oder ein Merkel-Emoji. Von über 200 Claims seien zum Leidwesen des Werbepoeten „nur eine Handvoll zurückgeblieben“, so auch das schließlich plakatierte Kampagnen-Motto: „Für ein Deutschland, in dem wir gut und gerne leben“. 

Was der Spiegel mit dieser fünfseitigen Story enthüllte, bedarf der Enthüllung: Ein völlig apolitischer Werber hat einen völlig apolitischen Wahlkampf gestaltet, frei von jeder politischen Idee, ohne jedes politische Projekt, ohne politische Aussage – Merkel als Ricola. 

Der misslungene SPD-Wahlkampf

Auch über Martin Schulz publizierte der Spiegel eine Enthüllungsgeschichte, die sich über 18 Seiten zog. Unter der Headline „Mannomannomann“ zeichneten die Autoren akribisch sämtliche Wahlkampf-Leiden des SPD-Kanzlerkandidaten auf, einer ehrlichen Haut in der falschen Haut des Wahlkämpfers, voller Zweifel an sich selbst und an seiner Inszenierung durch die Partei: ein Rührstück des Scheiterns. 

Zu enthüllen wäre auch hier, was der Spiegel mit seiner Schulz-Story enthüllte: Nie in all den Gesprächen zwischen Schulz und seinen Beratern ging es um Inhalte, nie um die Frage, ob man womöglich politisch am Wähler vorbeiziele, ob es der SPD-Kampagne vielleicht überhaupt an Politik fehle, ob die Leerformeln von Gerechtigkeit und Bildungsgerechtigkeit eventuell nur dazu dienten, dem Thema auszuweichen, das die Bürger viel brennender beschäftigt – die Migrationsfrage. Im Wahlkampfteam der ältesten Partei Deutschlands wurde erörtert und erwogen und gestritten, als gehe es um – Ricola.

Wahlen als Störfaktor

Die Enthüllungen des Spiegel, überaus verdienstvoll, obzwar nicht als Enthüllung gedacht, illustrieren die Misere der politischen Elite Deutschlands: Wahlkämpfe werden nicht über Inhalte geführt, die geeignet wären, den Bürger zu berühren, zu packen, zu provozieren, also Emotionen zu wecken und Streit zu entfachen – um den Bürger dann das letzte, das entscheidende, das verpflichtende Wort sprechen zu lassen. 

Wahlen in der deutschen Demokratie sind neuerdings – seit Angela Merkel – alle vier Jahre einfach irgendwie zu absolvieren: als unvermeidliche Irritation im ewigen „Weiter so“. Die bedrängte Berliner Elite sinnt bereits auf Linderung dieser periodischen Qual: Nur noch alle fünf Jahre möchte sie die Mühsal der Bundestagswahlen auf sich nehmen. 

Der Bürger wird verachtet

Winfried Kretschmann, Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident, packte Unbehagen und Unwillen des politischen Personals in den Stoßseufzer: „Demokratie ist nur vor der Wahl ein Wunschkonzert. Wir müssen das jetzt annehmen, was die Wähler da jetzt so zusammengewählt haben.“ Die Wahl also kein verpflichtender Auftrag der Wähler, sondern nur ihr unklar artikuliertes Wünschen – ein Katzenkonzert zum Wahltag, ärgerlich für die Gewählten und ihre Parteien, bisher aber leider unumgänglich. Dem weisen Staatsmann bleibt nichts anderes übrig, als das wirre Resultat, das die Bürger „so zusammengewählt haben, jetzt anzunehmen“. 

Kann man herablassender über die höchste Instanz der Demokratie urteilen? Paternalistischer? Verächtlicher?

Man bleibt unter sich

Doch nun ist die Zumutung für Berlins Elite überstanden. Man hockt im „Einstein“ oder im „Borchardt“ und bei Will und bei Illner und bei Maischberger und bei Plasberg in den betulichen Talkrunden wieder ganz unter sich. Gewissermaßen zu Hause in der guten Stube, geschützt vor der Impertinenz „der Menschen draußen im Lande“, wie Angela Merkel diejenigen zu bezeichnen pflegt, „die schon länger hier leben“ – die Bürgerinnen und Bürger.

Man darf sich ergötzen an Jamaika oder nicht, an Özdemir als Außenminister oder nicht, an Nahles als Parteivorsitzende oder nicht. Die Publizisten und ihre Politiker, die Politiker und ihre Publizisten backen gemeinsam Sandküchlein und zertreten sie gegenseitig.

Der Heimatbegriff

Man darf sogar – wer hätte es vor den Wahlen gedacht – das Wort Heimat in den Mund nehmen. Frank-Walter Steinmeier hat es in einer präsidialen Ansprache aus der Geiselhaft der AfD befreit. 

Am erweiterten Wortschatz will auch Die Linke teilhaben. In der Welt begründeten gleich zwei ideologiegeeichte Parteimitglieder, der Thüringer Kulturminister Hoff und der Berliner Staatssekretär Fischer, weshalb sie Heimat sagen dürfen, sogar müssen, wäre es doch „ein Fehler“, den Begriff abzulehnen, denn es könnte die „Entkoppelung der progressiven politischen Milieus von ihrer historisch sozialen Basis, dem sogenannten Prekariat, verstetigen“. 

Der Elefant im Raum

Vom Proletariat zum Prekariat? Dem Begriff wohnt das Bittende inne, auch das sozial Verächtliche. So reden inzwischen Linke über Wähler. 
Allerdings betreibt der Berliner Eliteklub gerade wieder die „Entkoppelung von der historisch sozialen Lage“ – denn es steht ein Elefant im Raum, den es partout zu übersehen gilt: Hunderttausende von Menschen, „die neu dazugekommen sind“, wie Angela Merkel die Migrationsrealität zu umschreiben pflegt. Neuankömmlinge, unter denen zahllose Menschen sind, zu deren religiösem Brauchtum Frauenunterdrückung, Kinderheirat und Judenfeindschaft zählen – täglich gelehrt und gepredigt in deutschen Moscheen. Integration als Generationenprojekt. Das verbotene Wort: Islamkritik.

Angela Merkel, Mater familias aller Volksvertreter, die vom Volk ungestört bleiben möchten, zudem Meisterin des alternativlosen Denkens, hat dem Land bereits den von ihr bevorzugten Leitgedanken zuteil werden lassen: „Ich kann gar nicht erkennen, was wir jetzt anders machen müssten.“ Weiter so!

Dieser Text stammt aus der November-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

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