Nach der Bundestagswahl - Jamaika ist auch keine Lösung

Kolumne: Grauzone. Die Große Koalition wurde am vergangenen Sonntag abgewählt. Die Konsequenzen müssten einschneidend sein. Doch dazu fehlt den deutschen Politikern der Anstand

Angela Merkel sollte die Zeichen der Zeit zu erkennen und den Weg für Neuwahlen freimachen / picture alliance
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Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Nur noch einmal zur Erinnerung und weil es in vielen Kommentaren zur Wahl übersehen wird: Am vergangenen Sonntag ist nicht die SPD allein, sondern die gesamte Große Koalition abgewählt worden. Die Sozialdemokraten kamen auf verheerende 20,5 Prozent, CDU und CSU gemeinsam auf mindestens ebenso desaströse 32,9 Prozent. Das sind 14 Prozent Verluste für die Große Koalition insgesamt.

Hätte die noch amtierende Regierungschefin auch nur einen Hauch von Schneid, wäre sie am Wahlabend zurückgetreten. Ist sie aber nicht. Denn Schneid gehört nicht zu Angela Merkels herausragenden Eigenschaften. Sehr viel ausgeprägter ist ihr Sinn fürs machtpolitische Kalkül. Und der sagte ihr, in ihren eigenen Worten: „Gegen die CDU/CSU kann keine Regierung gebildet werden“. Das ist wohl wahr, aber zugleich alles andere als ein Regierungsauftrag.

Große Koalition unter neuen Farben

Denn die für Merkel einzig verbliebene Machtoption hört auf den Namen Jamaika und ist eine politische Groteske – zumindest solang man unter Politik nicht nur den Machterhalt versteht, sondern auch Inhalte.

Denn Jamaika würde nicht nur unter den in den vergangenen Tagen zu genüge diskutierten Spannungen leiden. Vor allem steht Jamaika für keine neue Politik. Denn Schwarz-Gelb-Grün wäre inhaltlich lediglich eine Fortführung der Großen Koalition unter neuen Farben. Man braucht sich nur zu fragen, was unter Jamaika in den vergangenen Jahren anders gelaufen wäre als unter Schwarz-Rot. Das Ergebnis: wenig. Allenfalls hätte die FDP in der Flüchtlings- und in der Eurokrise ein paar legalistische Einwände gemacht und zu mehr Rechtstreue gemahnt.

Das ist zwar nicht wenig, hätte aber an der Marschrichtung der Merkels, Taubers und Altmaiers in Sachen Eurorettung, Migration oder Energiewende nichts geändert. So gesehen wäre Jamaika nur die kleinere Variante der Großen Koalition. Die aber wurde abgewählt. Was spricht dann für Jamaika? Politikwechsel sehen auf jeden Fall anders aus.

Es braucht einen Neuanfang

Denn was auf Deutschland im Falle von Schwarz-Gelb-Grün zukommt, dafür braucht man keine Kristallkugel im Schrank: Unter der zarten Einflüsterung Emmanuel Macrons wird ein Ende des Sparkurses für Südeuropa kommen, wortreich eingekleidet in einen europäischen Finanzhaushalt; im Namen einer „humanen Geflüchtetenpolitik“ wird es weder Rückführungen in nennenswerter Zahl geben noch eine ernsthafte und enge Begrenzung von Flüchtlingskontingenten; und im Zeichen von Modernisierung und Ökologie wird erst dem Diesel und dann dem Ottomotor der Garaus gemacht werden.

Anders formuliert: Es würde genau die Politik umgesetzt, der am vergangenen Sonntag Millionen Bürger das Vertrauen entzogen haben. Große Teile der CDU und erst recht der CSU haben das begriffen. Es muss ein inhaltlicher, programmatischer Neuanfang her – nicht nur bei der SPD, sondern auch bei der CDU.

Merkel muss gehen und Neuwahlen müssen kommen

Doch die Kanzlerin und ihre Entourage wollen das nicht sehen und so plädiert sie in der ihr eigenen stoischen Art für ein munteres „Weiter so!“. Genau das aber darf es nicht geben, möchte die CDU nicht den traurigen Weg der SPD gehen. Denn eine Kompromissregierung unter den Farben Jamaikas würde der CDU jede Möglichkeit der so dringend erforderlich bürgerlich-konservativen Profilbildung berauben.

Dieser programmatischen und inhaltlichen Erneuerung der Union steht eine Person im Wege: Angela Merkel. Daraus folgt nach dem kleinen politischen Einmaleins: Die CDU hat nur dann die Chance, ihren weiteren Abstieg zu verhindern, wenn Angela Merkel an der Spitze der Partei und als Bundeskanzlerin abgelöst wird. Und da Merkel nicht nur die CDU-Politik der vergangenen Jahre geprägt hat, sondern der Wahlkampf vollkommen auf sie zugeschnitten war, kann es eine Ablösung Merkels ohne Neuwahlen seriöser Weise nicht geben. Auf eine kurze Formel gebracht: Merkel muss gehen und Neuwahlen müssen her.

Zeichen politischen Anstandes

Nun sind Neuwahlen, zumal so kurz nach einer Wahl, in Deutschland verpönt. Denn hierzulande gilt ein zweiter Urnengang als Zeichen von politischer Instabilität. Demokraten, so heißt es, müssen koalitionsfähig sein. Aber das ist Nonsense. Gerade Demokraten, die Rückrat haben und nicht jede Position zur Disposition stellen, müssen nicht mit jedem Kontrahenten koalieren.

Nach einem Wahlergebnis wie dem vom vergangenen Sonntag darf es kein Weiterwurschteln unter neuer Farbkonstellation geben. Ein Politwechsel ist angesagt. Der aber ist nur ohne Angela Merkel möglich – und ohne die Taubers, Kauders und von der Leyens.

Die SPD ist in die Opposition gegangen, und wenn nicht alles täuscht, sind auch die Tage von Martin Schulz als Parteivorsitzendem gezählt. Nun wäre es auch von Angela Merkel nicht nur ein Zeichen politischen Anstandes, sondern auch der gesamtpolitischen Verantwortung, die Zeichen der Zeit zu erkennen und den Weg für Neuwahlen freizumachen.

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