Mitte-Studie der Ebert-Stiftung zu Fremdenfeindlichkeit - „Ein Satz reicht nicht, um rechts zu sein“

Die gerade veröffentlichte „Mitte-Studie“ der SPD-nahen Ebert-Stiftung unterstellt 21 Prozent der Deutschen rechtspopulistische Einstellungen. Wegen ihrer Methoden sind die Autoren in die Kritik geraten. Haben sie die Teilnehmer ihrer Umfrage vorsätzlich in die rechte Ecke gestellt?

Die Kölner Silvesternacht war der Anfang vom Ende der Willkommenskultur. Ist jetzt jeder 5. Deutsche rechts? / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Die Sozialpsychologin Beate Küpper ist Co-Autorin der gerade veröffentlichten Mitte-Studie zu Fremdenfeindlichkeit, die alle zwei Jahre im Auftrag der Ebert-Stiftung erscheint. 

Frau Küpper, obwohl die  Zahl der Asylsuchenden rückläufig ist, nehmen die Vorbehalte gegen Asylsuchende in der Bevölkerung nach Ihrer Studie zu. Woran liegt das? 
Asylbewerber sind seit 2015 Gegenstand einer öffentlichen Debatte. Diese Debatte wird nicht immer nur neutral geführt. Sie ist durchsetzt von pauschaler Abwertung und Hetze. So etwas hinterlässt Spuren in den Einstellungen der Bürger. Das  passiert zeitversetzt.  

Der Höhepunkt der Flüchtlingswelle war im Spätsommer 2015. Damals entdeckte Deutschland seine Willkommenskultur. Heute denken sogar die Grünen laut darüber nach, straffällig gewordene Asylbewerber schneller abzuschieben. Woher rührt der Stimmungswechsel? 
Daran können Sie sehen, dass Vorurteile mit Fakten wenig zu tun haben. Auf dem Höhepunkt der Flüchtlingsdebatte hatten wir viele Berichte über ganz praktische Probleme wie die Frage der Unterbringung. Für viele Kommunen war das eine echte Herausforderung. Aber damals war die Debatte noch nicht so negativ aufgeladen. 

Die Stimmung ist erst nach der Kölner Silvesternacht 2015 gekippt? 
Ja, aber in den Meinungsumfragen hat sich das erst 2016 niedergeschlagen. 

Welche Fragen haben Sie den Bürgern dazu gestellt? 
Es sind dieselben Fragen, die wir bereits seit 2005 benutzen. Wir sind nicht die ersten, die die Einstellungen zu Asylbewerbern untersuchen. Dazu gibt es eine ganze Reihe von Studien – auch international. Wir haben uns die Fragen herausgesucht, die am besten mit anderen Fragen korrelieren, um uns ein möglichst aussagekräftiges Bild der Befragten machen zu können. Es gibt eine positiv formulierte Aussage: „Bei der Prüfung von Asylanträgen sollte der Staat großzügig sein.“ Uns es gibt eine negativ formulierte Aussage: „Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht verfolgt.“ 

Aber aus den Reaktionen auf diese Aussagen kann man doch noch nicht ablesen, ob die Befragten rechtspopulistisch eingestellt sind. 
Diese Kritik haben wir jetzt schon häufig gehört: Die Fragen klingen ja erstmal total harmlos. Was ist denn daran schlimm? 

Und, was antworten Sie den Kritikern?
Wenn diese beiden Fragen die einzigen Anhaltspunkte wären, hätten Sie Recht. Ein Satz reicht aber nicht, um rechts zu sein. Wir haben die Sätze auch noch in Korrelation zu ganz vielen anderen Aussagen zur Abwertung von Asylbewerbern und zur Fremdenfeindlichkeit gesetzt. 

Was für Aussagen sind das? 
Zum Beispiel: „Es leben zu viel Ausländer in Deutschland.“ „Wenn Arbeitsplätze in Deutschland knapp werden, sollte man Ausländer wieder in ihre Heimatländer zurückschicken.“ „Man sollte Muslimen die Zuwanderung nach Deutschland untersagen.“ „Die Weißen sind zu Recht führend in der Welt.“ „Was Deutschland jetzt braucht, ist eine starke Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert“. „Wir sollten einen Führer haben, der Deutschland mit starker Hand regiert.“ Zwischen diesen Aussagen gibt es signifikante Korrelationen.

Wer das Ausgangsstatement „Die meisten Asylbewerber werden in ihrem Heimatland gar nicht gefolgt“ mit „ja“ beantwortet hat, hat auch einige dieser Aussagen bestätigt?
Genau, die Ablehnung von Asylbewerbern machen wir nicht an einzelnen Aussagen fest. Das ist kein singuläres Phänomen. Man muss das immer im großen Kontext sehen. Das ist wichtig. Es kann ja schließlich auch sein, dass man die eine oder andere Aussage unterschreibt, obwohl man nicht fremdenfeindlich ist. 

Ihrer jüngste Studie unterstellt 21 Prozent der Deutschen rechtspopulistische Meinungen, aber nur zwei bis drei Prozent ein festgefügtes rechtes Weltbild. Wie kommen Sie dann zu der Aussage: „Fremdenfeindlichkeit ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen?“ 
Den Aussagen, die ich oben aufgelistet habe, haben interessanterweise auch viele Menschen zugestimmt, die sich selber genau in der politischen Mitte verorten.  

Beate Küpper / privat

Durch Ihre Studie entsteht jetzt aber der Eindruck, in der Bevölkerung habe ein Rechtsruck stattgefunden.  Dabei sind die Ergebnisse ja auch Ausdruck von Wut und Frustration mit einer Bundesregierung, die die Probleme der Migrations- und Integrationspolitik nicht in den Griff bekommt. Greift die Studie nicht zu kurz, wenn Sie nicht nach den Ursachen fragen?
Es mag ja sein, dass die Politik der Großen Koalition eine Ursache für die Unzufriedenheit ist. Aber das kann doch kein Grund dafür sein, mit der Ablehnung von Asylbewerbern zu reagieren, und die Ablehnung mit abwertenden Unterstellungen allen gegenüber zu rechtfertigen, die als irgendwie „fremd“ betrachtet werden. Solche pauschalen Zuweisungen, auch das Messen mit doppeltem Standard sind unfair. Sie möchten als Journalistin ja auch nicht für alle schlechten Beiträge verantwortlich gemacht, die schon mal von Kollegen geschrieben wurden. 

Aber entsteht nicht ein schiefes Bild, wenn Sie die Politik als Quelle von Frustration völlig ausblenden? 
Das sind zwei verschiedene Paar Schuhe. Die Politik erklärt die Unzufriedenheit, aber sie entschuldigt sie nicht. Es gibt immer Konflikte in einer Gesellschaft und unterschiedliche Vorstellungen davon, was die beste Lösung ist. Die Kunst besteht ja darin, diese zivilisiert auszuhandeln – und nicht darin, wie es schon einmal in der Geschichte geschehen ist, einen Sündenbock dafür zu finden. 

86 Prozent der Befragten halten es für unerlässlich, dass Deutschland demokratisch regiert wird. 93 Prozent meinen sogar, dass Würde und Gleichheit an erster Stelle stehen sollten. Wie passt das zusammen? 
Menschen haben immer ambivalente Haltungen. Wir reklamieren alle gern das Label „Demokrat“ für uns selber. Aber wir hinterfragen uns nicht gern kritisch. Dabei haben wir doch alle unsere Ressentiments gegenüber der einen oder anderen Gruppe. Die Frage ist: Wollen wir selbst pauschal abgewertet werden, wollen wir in einer solchen Gesellschaft leben, und wie verträgt sich das mit den anspruchsvollen Vorgaben des Grundgesetzes, mit der Würde und Gleichheit aller Menschen?  

Die Frage ist auch: Wie interessengeleitet ist Ihre Studie? Andreas Zick, einer der drei Autoren, soll im Stiftungsrat der linken Amadeu-Antonio-Stiftung sitzen. 
Andreas Zick ist seit zwei Jahren nicht mehr im Stiftungsrat der Amadeu-Antonio-Stiftung. Die Frage ist auch, in welcher Hinsicht diese ehrenamtliche Aufgabe interessengeleitet sein soll. Interesse für die Stärkung der Zivilgesellschaft im Kampf um mehr Demokratie ist wohl kaum verdächtig, im Gegenteil, Beamte leisten sogar ihren Eid darauf.

Welches Signal soll von der Studie ausgehen?
Die Leute sollen sich nicht in die rechte Ecke gestellt fühlen. Darum geht es nicht. Wir alle können die Ergebnisse zum Anlass nehmen, unsere eigenen Einstellungen kritisch zu reflektieren und uns selbst zu fragen, ob wir vielleicht auch die eine oder andere teilen. Und ob wir selbst anhand der Zuordnung zu einer Ethnie oder Religion pauschal abgewertet werden möchten. 

Die Politik kann die Studie ignorieren?
Nein, die Politik erzeugt ja auch Einstellungen. Parteien, die sich seriös positionieren wollen, sind aufgerufen, nicht gegen Minderheiten zu hetzen, um damit Stimmen zu fangen. 

Eine Warnung an die AfD?
Nein, ich denke eher an die Regierungsparteien. Neue Gesetzesvorhaben wie Abschiebegesetzen dürfen nicht unterfüttert werden mit pauschalierenden Abwertungen. 

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