Streit um Forderung der Linken - „Die Migrationsquote spaltet die Gesellschaft“

Damit der Öffentliche Dienst weltoffener wird, fordert Berlins linke Sozialsenatorin Elke Breitenbach eine Migrationsquote. Das Projekt ist umstritten. Sogar der Koalitionspartner SPD hat plötzlich verfassungsrechtliche Bedenken. Aber wer würde davon eigentlich profitieren?

Linke und Grüne fordern mehr Lehrer mit Migrationshintergrund – doch versöhnt das die Gesellschaft? / dpa
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Birgül Akpinar ist Mitglied des Landesvorstands der baden-württembergischen CDU und des Netzwerks Integration. Sie arbeitet seit 1993 im öffentlichen Dienst. 

Frau Akpinar, Sie sind die einzige Migranten-Vertreterin im Landesvorstand der CDU Baden-Württemberg. Sind Sie eine Quoten-Migrantin?

(lacht). Um Himmels Willen, nein. Wir sind ja in Baden-Württemberg. Da mögen wir keine Quoten, da zählt Leistung. Ich glaube, ich habe die Stimmen nicht aufgrund meiner Herkunft bekommen. Ich hab mir die erarbeitet. Natürlich habe ich auch Unterstützer in der Partei. Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Frauen mit Migrationshintergrund doppelte Leistung erbringen.

Aber warum kann man nicht zugeben, dass man auf dem Migranten-Ticket Karriere gemacht hat? Ihre Kollegin Düzen Tekkal hat damit keine Probleme. Der Welt  hat sie  gerade gesagt, sie hätte ihren ersten Job als RTL-Redakteurin nur bekommen, weil sie als Migrantin Themen besetzt hat, die kein Deutscher besetzt hat.

Ich persönlich würde das nicht wollen. Ich möchte nicht, dass die Leute denken, die Frau ist da nur reingekommen, weil sie diesen Migrationshintergrund hat, egal, ob im Beruf oder in der Partei. Ich bin doch kein Feigenblatt. Ich möchte weder bevorzugt noch benachteiligt werden. Ich möchte einfach nur die gleichen Chancen bekommen – wie jeder andere auch. 

Aber wäre es schlimm, wenn die CDU sagen würde, mit Birguel Akpinar erreichen wir Wähler, die wir sonst nicht erreichen, weil sie schon allein aufgrund ihrer Herkunft bestimmte Akzente setzt und sich gerade dadurch Vertrauen erworben hat?

Nein, schlimm wäre es absolut nicht. Aber es sollte nicht so im Vordergrund stellen. Ich bin nicht für eine Quote. Die CDU muss ja schon bereits ein Frauenquorum, also eine abgeschwächte Form der Quote, bei Parteiämtern und an Mandaten erfüllen. Käme jetzt noch die Migrationsquote, dann geht es in Folge nicht mehr nur um Herkunft, sondern auch um Religion – und irgendwann vielleicht auch noch um die sexuelle Orientierung. 

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Spielen wir das spaßeshalber trotzdem mal mit Ihnen durch.

Ich bin Frau, habe türkische Wurzeln und bin Alevitin. Dann besetze ich noch Themen, die keine so genannten Gewinnerthemen in der Politik sind wie zum Beispiel Integration. Wieviele Minderheitspunkte hätte ich?

Sagen wir: dreieinhalb.

Okay, dann kommen Sie, deutsch, Frau. Stellen Sie sich vor, ich wäre auch Journalistin, und wir beide würden uns um eine Stelle bewerben. Wir konkurrieren. Wie würden Sie sich fühlen?

Hmmm, schwer zu sagen. 

Sie würden denken, okay, die Akpinar. Die hat noch voll den Bonus da und dort, und ich bin nur deutsch. Ich habe nichts Exotisches an mir. Super uninteressant, oder? Was ich sagen will: Wo fängt die Quote an? Wo endet sie?

In Berlin fordert die linke Sozialsenatorin, dass jede 3. Stelle im öffentlichen Dienst künftig mit einem Migranten oder einer Migrantin besetzt wird – bei gleicher Qualifikation. Voraussetzung: Mindestens ein Elternteil muss Migrationshintergrund haben.

(lacht). Ich glaube, dass Berlin ganz andere Probleme hat, als sich eine Migrationsquote zu schaffen. Ich selbst arbeite seit 1993 im öffentlichen Dienst. Ich hatte mich mit 150 anderen Schulabgängern um einen Ausbildungsplatz bei der Bundeswehr beworben, vier wurden genommen, eine Bosnierin, eine Rumänin, eine Schwäbin und ich. Ich bin nicht der Nabel der Welt und nicht das Paradebeispiel. Aber ich glaube, der Öffentliche Dienst hat ganz andere Baustellen, nicht nur in Berlin. 

Birgül Akpinar / dpa 

Nämlich welche?

Er muss ein attraktiverer Arbeitgeber für alle Bewerber werden, unabhängig von ihrer Herkunft. Migranten der dritten oder vierten Generation sind alles mündige Menschen. Wenn die sich nicht im Öffentlichen Dienst bewerben, dann hat es etwas mit dem Einkommen und mit den Aufstiegs – und Entwicklungsmöglichkeiten zu tun. Von einer strukturierten Ausgrenzung kann da keine Rede sein. In der freien Wirtschaft ist das ganz anders. Da kann ich mir schon vorstellen, dass es nach Aussehen geht.

Aber dient es nicht der Integration, wenn Menschen mit Migrationshintergrund denselben Zugang zu Ämtern im öffentlichen Dienst haben wie Deutsche?

Nein, sie haben ja bereits denselben Zugang. Und dann geht es ja noch weiter. Wenn Sie erst im Öffentlichen Dienst sind, wollen Sie ja auch Karriere machen und sich um die nächst höhere Stelle bewerben. Und da fängt es an: Stellen Sie sich vor, ich kriege wegen meiner Herkunft ein, zwei Punkte mehr und Sie ein, zwei Punkte weniger in der Beurteilung. Solche Entscheidungen sollten sich aber an dem Leistungsprinzip orientieren und an Kriterien wie Eignung und Verfassungstreue. 

Sie wollen damit sagen: Eine Migrantenquote erreicht das Gegenteil von dem, was sie erreichen soll? Sie sät Zwietracht unter Kollegen?

 Genau, das erleben wir ja schon bei der Einführung einer verbindlichen Frauenquote in Vorständen. Da wird ja auch immer gesagt: „Die bekommt den Job doch nur, weil sie eine Frau ist. Und im Übrigen sagen das nicht nur Männer, sondern auch Frauen. Zwietracht ist der passende Begriff. Eine Migrationsquote versöhnt nicht, sie spaltet die Gesellschaft. Wer hier angekommen ist, nicht nur körperlich, auch geistig, der wird keine Quoten verlangen.

Aber wer verlangt die noch, außer Berlins linker Sozialsenatorin?

Das sind Elite-Migranten. Die sprechen nicht für den Durchschnitt.

Die hätten es selbst gar nicht nötig?

Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck. Unter den Migranten findet auch eine Selektion statt. Es gibt den „guten“ und den „bösen“ Migranten. Der Italiener, der Grieche oder der Spanier, das sind die „Guten“. Mit denen gibt es wenig Integrationsprobleme. Da kommen Religion und Kultur nicht so zum Tragen.

Aber der Türke und der Araber, das sind die „Schlechten“?

Genau, das ist die Wahrnehmung der Mehrheitsgesellschaft. Aber auch die Menschen die aus der Türkei stammen, denken in ethnischen und politischen Schubladen. Sie unterscheiden zwischen Kurden und Türken, „säkular“ und „nicht-säkular“, „Erdogan-Anhänger“ und „Nicht-Erdogan-Anhänger“, sunnitisch oder alevitisch – und vieles mehr. Sobald das Thema „Migrant“ aufkommt, denken die meisten an Türken und Araber. Und ich kann Ihnen sagen, beide Volksgruppen sind sich untereinander auch nicht besonders grün.

Und die Migrantenquote, die Berlins Senatorin verhängen will, richtet sich an „schlechte“ Migranten?

Ich denke, ja. Das Wort „schlechte“ muss man natürlich in Anführungszeichen setzen. Das sind Personengruppen, die man ein bisschen auf Linie bringen möchte, indem man sie im Öffentlichen Dienst einstellt. Man erhofft sich dadurch auch mehr Akzeptanz.

Berlins Sozialsenatorin Elke Breitenbach sagt, wir bräuchten unbedingt Menschen mit Einwanderungsgeschichte als Fachkräfte und als Vorbilder. Als Beispiel nennt sie die Gesundheitsämter. Die hätten in der Pandemie gemerkt, dass sie zu vielen Bürgern überhaupt keinen Kontakt aufnehmen könnten, weil die kein Deutsch sprechen. 

Ich glaube, Frau Breitenbach sollte sich erstmal um ihre Clan-Kriminalität kümmern. Schauen Sie sich das doch mal Berliner Problemkieze wie Neukölln an. Das sind Staaten im Staat, parallele Machtstukturen. Das sind Auswüchse einer seit Jahrzehnten fehlgeleiteten Integrationspolitik und falsch verstandener Toleranz. Das sind rechtsfreie Räume.  

Berlins Innensenator Andreas Geisel (SPD) würde Ihnen da lebhaft widersprechen.  Er hat den Kampf gegen die Clan-Kriminalität zur Chefsache gemacht. Merkwürdigerweise ist die Berliner SPD jetzt plötzlich gegen eine Migrantenquote, obwohl die im Koalitionsvertrag steht. Sie sagt, der Gesetzesentwurf sei „unzureichend“. Eine überzeugende Begründung?

Nein, ich denke, das ist eine Machtfrage. Berlin wählt in diesem Jahr einen neuen Senat. Jeder versucht, auf seinem Posten zu bleiben. Vielleicht wäre Herr Geisel selbst gerne auf die Idee gekommen. Aber weil die Forderung jetzt von den Linken kommt, wird sie beschossen. 

Dem Berliner Migrationsrat geht die Forderung der linken Sozialsenatorin noch nicht weit genug. Er fordert, dass auch  Angehörigen der dritten oder vierten Gastarbeiter-Generation oder Sinti und Roma gefördert werden müssen.

Ist ja cool. Stellen Sie sich vor, ich komme in die Verwaltung. Und dann heißt es: Zu wem wollen Sie eigentlich? Zu einer Mitarbeiterin  mit einem Kopftuch oder ohne? Lande ich bei einer Kopftuchträgerin, die mein Anliegen nicht zu meiner Zufriedenheit bearbeitet, kann ich sagen, okay, die hat Vorurteile. Die riecht es förmlich, dass ich Alevitin bin. Das steht ja auf meiner Stirn. In den Communities der Migranten spricht sich schnell herum, wer in den Behörden sitzt. 

Und zack, klagen Sie nach dem Antidiskriminierungsgesetz.

Genau, ich laufe da raus und frage: „Wer ist hier Leiter der Dienststelle?“ Ich möchte mich beschweren. Dieses Konfliktpotenzial hätten Sie bei einem Palästinensern und einem Juden. Wäre es nicht toll, wenn es zur Selbstverständlichkeit werden würde, dass man Karriere machen könnte, ohne über Quoten oder Migrationshintergrund zu sprechen?

Nicht jeder, der einen Migrationshintergrund hat, hat so viel Glück auf seinem Weg ins Berufsleben wie Sie. Baden-Württemberg gilt als Musterländle für Integration. Welches Instrument würden Sie anstelle einer Migrantenquote vorschlagen?

Ich glaube, sinnvoller als Quoten sind Instrumente, die Unternehmen jeweils individuell schaffen – aber auf freiwilliger Basis. Man könnte Führungsposten oder Ausbildungsplätze mehr mit Menschen mit Migrationshintergrund besetzen. Aber das darf nicht gesetzlich verordnet werden. Dann heißt es: O Gott, schon wieder was von oben! Das Zwischenmenschliche kann der Staat nicht regeln.

Sie sprechen als jemand, der hier angekommen ist. 1993 haben Sie bei Ihrer Bewerbung für den öffentlichen Dienst einen Aufsatz zu der Frage geschrieben: „Ich bin stolz, eine Deutsche zu sein.“ Worauf sind Sie stolz?

O Gott, das ist schon so lange her. Aber wenn ich mich richtig erinnere, habe ich geschrieben, dass es uns vergönnt ist, in einem Land zu leben, dass es geschafft hat, nach 1945 eine stabile Demokratie herzustellen. Darauf können alle stolz sein, die hier leben. 

Würden Sie diesen Satz nach den politischen Verwerfungen durch die Flüchtlingskrise und durch die Pandemie nochmal so formulieren?

Auf jeden Fall. Sie werden auch in einer freien, demokratischen Grundordnung Ränder haben, rechts wie links. Solange die sich im Rahmen der Ordnung bewegen, muss eine wehrhafte Demokratie das aushalten. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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