Berliner Mietendeckel - Die soziale Zeitbombe entschärfen

Der Berliner Senat hat den Mietendeckel beschlossen. Bei aller berechtigter Kritik, die auf fünf Jahre angelegte Maßnahme ist unterm Strich eine Chance. Wenn sie denn genutzt wird, um endlich mehr Wohnraum zu schaffen

Der Mietendeckel kommt, aber er sollte genutzt werden / picture alliance
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Es war eine schwere Geburt, aber nach einem mehrtägigen Verhandlungsmarathon hat sich die rot-rot-grüne  Regierungskoalition in Berlin auf die Ausgestaltung des bereits im Sommer angekündigten Mietendeckels verständigt. Am Dienstag hat der Senat ein entsprechendes Artikelgesetz verabschiedet, das anschließend durch die Mühlen der verwaltungsinternen und parlamentarischen Beratungen gedreht wird und laut derzeitigem Zeitplan im März 2020 in Kraft treten könnte. Allerdings rückwirkend zum 18. Juni 2019, dem Tag des ersten Eckpunktebeschlusses des Senats.

Die Einigung ist ein klassischer Kompromiss, bei dem alle Beteiligten Federn lassen mussten. Ein im August vom Berliner Tagesspiegel veröffentlichter Entwurf aus dem Haus der linken Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher sah noch das Einfrieren aller Mieten auf dem Stand des Mietspiegels von 2011 vor und zwar ohne Berücksichtigung der Lage und der Ausstattung. Ferner sollten Mieten oberhalb der in einer nach Baualtersklassen differenzierten Tabelle festgelegten Höchstwerte auf den Tabellenwert abgesenkt werden. Dagegen war vor allem die SPD Sturm gelaufen, die Mietsenkungen bei Bestandsverträgen kategorisch ablehnte und allenfalls bei individueller finanzieller Notlage ermöglichen wollte. Die Grünen pochten wiederum auf moderate Mieterhöhungsmöglichkeiten für „gemeinwohlorientierte Träger“.

Zuschläge für bevorzugte Wohnlagen

In dem am Freitag vereinbarten Entwurf wurde diesen unterschiedlichen Positionen Rechnung getragen. Im Mittelpunkt steht ein auf fünf Jahre befristeter Mietenstopp für alle nicht preisgebundenen Wohnungen. Ausgenommen sind vor allem Neubauten ab 2014 und preisgebundene Wohnungen des sozialen Wohnungsbaus. Ab 2022 kann allerdings ein jährlicher Aufschlag anhand des Preis/Lohnindexes erhoben werden.

Die Bemessungsgrundlage für zulässige Mieten ist eine nach Baualtersklassen differenzierte Tabelle, die auf Mittelwerten des Mietspiegels von 2013 (statt 2011)  basiert, plus 13,4 Prozent Inflationsausgleich. Für einfache und mittlere Wohnlagen gibt es Abschläge, für bevorzugte Wohnlagen Zuschläge. In welcher Art und Höhe bestimmte Ausstattungsmerkmale der Wohnungen zuschlagsfähig sind, ist aus den bisher vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich.

„Ein schwarzer Tag für den Wohnungsmarkt“

Für Neuvermietungen sollen die Tabellenwerte als verbindliche Obergrenze gelten. Ab Ende 2020 sollen auch Bestandsmieten, die mehr als 20 Prozent über den Tabellenwerten liegen, abgesenkt werden können. Der Senat begründet diese Verschiebung damit, dass erst genügend Personal für die Bearbeitung entsprechender Anträge rekrutiert werden muss. Umlagen für energetische Modernisierungen und behindertengerechten Umbau können bis zu einem Euro pro Quadratmeter genehmigungsfrei aufgeschlagen werden. Weitere Modernisierungen sind genehmigungspflichtig und dürfen maximal mit einem weiteren Euro zu Buche schlagen.

Die Oppositionsparteien CDU, FDP und AfD sowie Wirtschaftsverbände lassen auch an diesem, entschärften Mietendeckel kein gutes Haar. CDU-Landeschef Kai Wegner sprach von einem „schwarzen Tag für den Berliner Wohnungsmarkt“, der Immobilienverband Deutschlands (IVD) warnte vor einer „Rückkehr zur sozialistischen Wohnungspolitik". Den Vogel schoss allerdings Kai Warnecke ,Verbandspräsident von „Haus und Grund“, ab. In der rbb-Abendschau wertete er den Deckel am Sonntag als „Verstoß gegen die europäische Menschenrechtskonvention, da er Vermieter enteignet“.

Renditeerwartungen ausgebremst

Dass es sich bei dem Mietendeckel um einen für bundesdeutsche Verhältnisse schwerwiegenden Eingriff in Eigentumsrechte und Vertragsfreiheit handelt, ist unbestritten. Und ob der Mietendeckel angesichts des großen Wohnungsmangels tatsächlich die angestrebte Beruhigung auf dem Berliner Immobilienmarkt erreichen kann, ist zumindest fraglich. Aber dennoch besteht kein Grund zur Schnappatmung. Niemand wird durch das Gesetz „enteignet“, sondern es werden lediglich künftige Renditeerwartungen von Vermietern temporär ausgebremst.

Zumal es für durch den Deckel tatsächlich in wirtschaftliche Schieflage geratende Vermieter Härtefallklauseln geben wird. Doch es geht um etwas Grundsätzliches: Wenn der viel beschworene „freie Markt“ bei der sozialpolitisch gebotenen Aufgabe, bezahlbaren Wohnraum für alle Schichten der Bevölkerung zu ermöglichen, offensichtlich versagt, dann ist eine Regulierung nahezu zwingend notwendig. Eine Sichtweise, die sich auch das Bundesverfassungsgericht in einem am 20. August veröffentlichten Urteil zur Mietpreisbremse zu eigen gemacht hat.

Kein Allheilmittel ohne Neubau

Befürchtungen, der Mietendeckel würde private Investitionen in den Neubau zum Erliegen bringen, sind – gelinde gesagt – weit hergeholt. Denn der Neubau ist von der Regulierung nicht betroffen. Spekulativen Geschäftsmodellen, die beim Ankauf von Bestandsimmobilien auf aberwitzigen Mietsteigerungsmöglichkeiten und der damit oftmals verbundenen Vertreibung der angestammten Mieter basieren, wird allerdings teilweise die Grundlage entzogen – was durchaus im Sinne des Senats ist.

Denn so wie bisher kann es nicht weitergehen. Börsennotierte Immobilienkonzerne wie die „Deutsche Wohnen“, internationale Immobilienfonds und anonyme Kapitalgesellschaften sind ihren Anlegern verpflichtet – und eben nicht dem Gemeinwohl. Viele Häuser wechselten in Berlin in den vergangenen Jahren mehrere Male den Besitzer, wobei sich der „Wert“ mitunter verdreifachte – mit entsprechenden Folgen für die Bewohner. Ein Gemeinwesen, in dem große Teile der Bevölkerung Angst vor dem Verlust ihrer Wohnung haben, kann nicht funktionieren. Und da der Bund es auf Druck der Immobilienlobby unterlassen hat, wirksame Leitplanken gegen diesen Wildwuchs zu setzen, ist der Vorstoß der Berliner Landesregierung uneingeschränkt zu begrüßen und könnte auch Signalwirkung für andere Bundesländer haben. 

Sorge um das Kiezidyll   

Natürlich ist der auf fünf Jahre befristete Mietendeckel kein Allheilmittel für den aus den Fugen geratenen Wohnungsmarkt. Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) nennt es eine „Atempause“ die dazu genutzt werden müsse, den Neubau vor allem bezahlbarer Mietwohnungen beträchtlich anzukurbeln. Und da hakt es in der Berliner Koalition bislang gewaltig, auch weil vor allem Grüne und Linke stets auf der Matte stehen, wenn sich Bürger aus Sorge um ihre Kiezidylle gegen Wohnungsbauprojekte stellen. 

Man sollte diesen erstmaligen Versuch einer durchgreifenden Mietpreisregulierung auf Landesebene vor allem als Chance begreifen, eine in vielen deutschen Städten schwelende soziale Zeitbombe zu entschärfen. Unaufgeregt, mit Augenmaß und vor allem zukunftsorientiert auf der Suche nach Lösungen für die Wohnungskrise.   

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