Michael Groschek - Ein Sozi alter Schule

Stephan Weil ist der strahlende Wahlsieger von Niedersachsen. Ein anderer Hoffnungsträger der SPD ist Michael Groschek. Er soll die Partei in Nordrhein-Westfalen wieder aufrichten und dem Landesverband Bedeutung zurückgeben – das ist nicht leicht für Traditionalisten wie ihn

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Groschek ist so etwas wie das fleischgewordene Klischee des Ruhrpott-Sozis / Foto: Marcus Simaitis für Cicero
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Kirsten Bialdiga ist Chefkorres­pondentin für Landespolitik bei der Tages­zeitung Rheinische Post in Düsseldorf.

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In schwierigen Situationen kommt Michael Groschek gern auf seine Kindheit zu sprechen. Dann erzählt der Parteichef der nordrhein-westfälischen SPD davon, wie er mitten im Ruhrgebiet in einer Bergarbeitersiedlung in Oberhausen aufwuchs. Wie seine Nachbarn als 50- oder 60-Jährige mit einer Staublunge aufs Altenteil geschickt wurden und sie ihre Tage von da an am Fenster verbrachten, auf ein Kissen gestützt. Wie sie dann nur wenig später ganz verschwanden, eben „weg vom Fenster“ waren. Und dass sich daran nichts geändert hätte ohne die Sozialdemokratie.

Von solchen Erzählungen braucht es zurzeit viele bei der SPD in Nordrhein-Westfalen. Nach der krachenden Niederlage bei der Landtagswahl im Mai ist die Partei in ihrem Selbstverständnis so stark erschüttert wie nie zuvor. In ihrem Herzkammerland, das Johannes Rau einst 20 Jahre in Folge regierte, bekam die SPD nur noch 31,2 Prozent der Stimmen. Es ist das schlechteste Ergebnis in der Geschichte des Landes. Hannelore Kraft trat noch am Abend der Niederlage als Parteichefin zurück.

Mit dem Urgestein zum Neuanfang

Ihr Nachfolger Michael Groschek soll es nun richten. Ausgerechnet einer, der als Urgestein der NRW-SPD gilt und die Wahlniederlage als Kabinettsmitglied mitzuverantworten hat, soll den Neuanfang ermöglichen. Mehr als das: Der 60-Jährige muss der Partei wieder eine Identität geben, an einer neuen Erzählung der Sozialdemokratie arbeiten, wenn die SPD in Zukunft noch eine Volkspartei sein will. Dazu muss er ihr zu neuer Bedeutung im Bund verhelfen – denn nicht erst seit der verlorenen NRW-Wahl hat der mitgliederstärkste Landesverband in Berlin deutlich an Einfluss verloren.

Für Groschek selbst ist die Sache klar: „Der Vorsitzende der NRW-SPD spielt auch nach der Bundestagswahl in Berlin eine entscheidende Rolle.“ Selbstverständlich ist das heute nicht mehr. Für den über die Jahre schleichenden Bedeutungsverlust machen Parteifreunde vor allem Hannelore Kraft verantwortlich. Mit ihrer Weigerung, jemals in die Bundespolitik zu wechseln, verbannte sie die Genossen aus NRW an den Rand des Berliner Geschehens. Und in ihrem eigenen Landesverband hat sie keine potenziellen jüngeren Nachfolger aufgebaut, sodass es zu Groschek kaum eine Alternative gab.

Fleischgewordenes Klischee des Ruhrpott-Sozis

Für die vor ihm liegende Aufgabe der Runderneuerung qualifiziert Groschek vor allem eines: Erfahrung. „Mike“, wie ihn die Genossen nennen, ist so etwas wie das fleischgewordene Klischee des Ruhrpott-Sozis. Mit lauten Sprüchen kumpelt er sich durch die Parteigremien, sein unerschrockener Gebrauch kreativer Metaphern ist schon beinahe legendär: „Wir müssen aufpassen, dass wir von der herben Niederlage nicht als Trauerkloß ins Schneckenhaus verdrängt werden, sondern wir gehören in die Nachbarhäuser.“ 

Als Scheidungskind wuchs er überwiegend bei den Großeltern auf. Das Schicksal der Mutter habe dazu beigetragen, dass er Sozialdemokrat wurde, erzählt er. Eigentlich hätte sie das Zeug fürs Lyzeum gehabt, aber sein Opa habe auf der Zeche nicht genug Geld verdient. Also durfte sie nur zur Handelsschule gehen, musste Bürokauffrau werden. Er selbst macht als Erster in seiner Familie Abitur, studiert Wirtschafts- und Kommunikationswissenschaften.

Nochmal Groko? Lieber nicht

Schon mit 15 will er den Jusos beitreten, wird abgewiesen, weil er zu jung ist – und kommt wieder. Er wird Juso-Chef in Oberhausen, Stadtrat, SPD-Bezirks­vorstand, NRW-Generalsekretär, Bundestags­abgeordneter – und Bau- und Verkehrsminister in NRW. Es ist ein undankbares Ressort. Im bevölkerungsreichsten Bundesland sind die Staus länger als anderswo, beim Abrufen von Infrastrukturgeldern vom Bund macht er zeitweise keine gute Figur. CDU und FDP schlachten das im Wahlkampf aus, es wird zu einem der größten Aufregerthemen. Im Kabinett gerät er oft mit den Grünen überkreuz, die das Umweltressort führen.

Seine Bodenständigkeit gibt manchem in der Partei zurzeit den nötigen Halt. „Wir brauchen jetzt jemanden, der den Laden hier gut kennt und weiß, wie die Partei tickt“, sagt ein Mitglied der Führungsspitze. Das sehen allerdings nicht alle so: Gerade die Jusos halten Groscheks Wahl für das falsche Signal.

Der in zweiter Ehe verheiratete Vater eines Sohnes und einer Adoptivtochter war 2013 sogar als Verteidigungsminister im Gespräch, bevor die CDU den Posten für sich reklamierte. Jetzt könnte die SPD im Bund auf das Verkehrsministerium schielen, sollte es erneut zu einer Großen Koalition kommen. Doch Groschek weiß wohl, dass eine Neuauflage der Großen Koalition die Suche der SPD nach einem neuen Profil sehr erschweren würde. In NRW räumte die Partei diese Option gleich nach der Wahl ab. Würde die Bundespartei wie in alten Zeiten auf den NRW-Parteichef hören, wäre zumindest in diesem Punkt klar, wofür die SPD künftig steht.

Dieser Text erschien in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Online-Shop erhalten.

 

 

 

 

 

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