Merkels künftige Arbeitsräume - Der Kreis schließt sich

Angela Merkels künftiger Arbeitsplatz wird das „Austragsstüberl“ Helmut Kohls sein – in einem nüchternen DDR-Bürogebäude am Berliner Boulevard Unter den Linden. Unser Autor erinnert sich an seine Besuche beim Altkanzler. Und fragt sich, ob Merkel diesen Räumlichkeiten auch eine persönliche Note geben wird.

Das Foto der neuen Bundeskanzlerin wird 2005 in der Berliner Gaststätte „KanzlerEck“ aufgehängt / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Noch residiert Angela Merkel – geschäftsführend – im Kanzleramt. Aber in einigen Wochen wird sie ein eher bescheidenes Domizil in einem nüchternen Bürogebäude am Berliner Boulevard Unter den Linden beziehen – vis-à-vis dem Adlon und mit Blick auf die Ungarische Botschaft auf der anderen Straßenseite. Das Haus ist eines der Gebäude in Berlin-Mitte, in denen Bundestagsabgeordnete ihre Büros haben.

Merkels künftiger Arbeitsplatz im vierten Stock ist ein Büro mit Vergangenheit. Zu DDR-Zeiten hatte Volksbildungsministerin Margot Honecker hier regiert. Nach dem Berlin-Umzug nutzte Altkanzler Helmut Kohl dieselben Räume als „Austragsstüberl“. Denn: Ehemaligen Regierungschefs und Bundespräsidenten stellt der Bund weiterhin Arbeitsräume und Mitarbeiter zu Verfügung.

Als Margot Honecker hier 1961, im Jahr des Mauerbaus, einzog, galt der Stahlbeton-Skelettbau mit seiner nüchternen Rasterfassade als Vorzeigeobjekt der DDR-Architektur. Der Bund ließ das Gebäude bereits 1993 sanieren. Nach dem Berlin-Umzug von Bundestag und Bundesrat im Herbst 1999 zog dann auch Helmut Kohl hier ein und mit ihm Juliane Weber, seine Büroleiterin seit seiner Zeit als Ministerpräsident in Mainz. Büronachbar war übrigens Wolfgang Bosbach.

„Die Dame“ war einmal „Kohls Mädchen“

Als Journalist habe ich Kohl mehrmals dort besucht, zu Hintergrundgesprächen wie zu Interviews. Was mir besonders auffiel, war ein „Hausaltar“ an der Stirnseite des großen Raums. Auf einer Kommode stand ein sehr großes Farbfoto seiner im Juli 2001 verstorbenen Frau Hannelore, stets mit Blumen davor. Ob Angela Merkel diesen Räumlichkeiten auch so eine persönliche Note geben wird? Eigentlich schwer vorzustellen.

Zwei Besuche bei Kohl sind mir besonders in Erinnerung geblieben. Einer fand nach der Bundestagswahl 2002 statt, bei der die CDU/CSU mit Edmund Stoiber als Kanzlerkandidat verloren hatte. Beim nächsten Mal werde wohl „die Dame“ antreten, sagte Kohl voraus. Er sollte recht behalten.

„Die Dame“, damit war stets die seit 2000 amtierende CDU-Vorsitzende Merkel gemeint. Die hatte Kohl 1990 in sein erstes Kabinett nach der Wiedervereinigung berufen und nach Kräften gefördert. Aber in der Spendenaffäre ging „Kohls Mädchen“ auf größtmögliche Distanz zu ihrem einstigen Förderer und empfahl der CDU die „Abnabelung“ vom großen Alten. Das hat er ihr nie vergessen.

„Aber eine Wahl gewinnen wird die nie“

Aber Ende 2002 war Kohl Realist genug, um zu sehen, dass Merkel inzwischen die unbestrittene Nummer eins der Union war. Man sah Kohl an, dass ihm bei dem Gedanken an eine Kanzlerkandidatin Merkel nicht wohl war. „Aber eine Wahl gewinnen wird die nie“, grummelte er mit Blick auf die nächste Bundestagswahl.

Nun ist das mit Prognosen so eine Sache: Merkel wurde 2005 Kanzlerin und blieb es 16 Jahre lang. Aber rauschende Wahlsiege feierte sie nicht. Die 35,2 Prozent von 2005 entsprachen den 35,1 Prozent, mit denen Kohl und die CDU/CSU 1998 abgewählt worden waren. Die Ergebnisse von 2009 (33,8) und 2017 (32,9) fielen noch bescheidener aus. Lediglich die 41,5 Prozent von 2013 hätte Kohl wohl als „Sieg“ gelten lassen.

Der Altkanzler nahm sich für seine Besucher viel Zeit. Und man wusste nie, auf welche Themen er plötzlich zu sprechen kam. Als ich im September 2002 bei ihm war, räsonierte er – mal wieder – über die seiner Meinung nach schlechte Bezahlung von Politikern. Wobei er zu Recht auf die im Vergleich zu Politiker-Bezügen astronomisch hohen Manager-Gehälter verwies. Plötzlich rief er ins Vorzimmer: „Juliane, bring doch mal die letzte Abrechnung.“ Frau Weber brachte sie – und gleich eine Kopie für mich mit.

Kohl wollte seine Bezüge offenlegen

Was ich dann las, erstaunte mich doch. Auf der „Bezügemitteilung für September 2002“ des Bundesamts für Finanzen standen als „Summe Versorgung“ 12.874,28 Euro. Nach Abzug von Lohnsteuer, Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag blieben 6.909,98 Euro als „Summe Nettobezüge“. Und das nach 16 Jahren als Kanzler, achteinhalb Jahren als Ministerpräsident und 43 Jahren als Abgeordneter.

Mir war sofort klar: Helmut Kohl wollte, dass ich darüber schreibe. Trotzdem fragte ich ihn, ob ich diese Zahlen verwenden könnte. Was er prompt bejahte. Schließlich hatte Juliane Weber mir nicht zufällig eine Kopie gegeben. Ich schrieb über Kohls Ruhegehalt kurz darauf in der Welt am Sonntag. Die Überschrift lautete: „Der Dank des Vaterlandes in Euro und Cent“.

Übrigens: Vier Legislaturperioden später hat sich an der Besoldung unserer Spitzenpolitiker nicht viel verändert. Angela Merkel kann nach 31 Jahren als Abgeordnete, acht Jahren als Ministerin und 16 Jahren als Kanzlerin nach Berechnungen des Bundes der Steuerzahler mit Ruhestandsbezügen von rund 15.000 Euro rechnen.

Erinnerungspolitischer Super-GAU

Merkel ist nicht der direkte „Nachmieter“ in Kohls Büro. Bis vor Kurzem hatte die Bremer CDU-Abgeordnete Elisabeth Motschmann hier gearbeitet. Sie hat bei der Wahl am 26. September nicht mehr kandidiert, sodass dieses repräsentative Büro ohnehin frei wurde. So schließt sich der Kreis: Im Kanzleramt war Merkel die Nach-Nachfolgerin Kohls (nach sieben Jahren Gerhard Schröder) und in ihrem neuen Büro folgt sie Kohl ebenfalls nicht direkt nach. An der Parteispitze war Merkel ebenfalls nicht Kohls direkte Nachfolgerin. Dazwischen führte, wenn auch nur für kurze Zeit, Wolfgang Schäuble die Partei.

Nach dem schweren Zerwürfnis im Gefolge der Spendenaffäre hatte Angela Merkel sich um eine Wiederannäherung Kohls und „seiner“ CDU bemüht. Sie wird deshalb gut damit leben können, dass sie eines Tages den Schriftzug „Helmut-Kohl-Zentrum“ an ihrem neuen Arbeitsplatz lesen wird. In dem Gebäude will die vom Bund getragene Bundeskanzler-Helmut-Kohl-Stiftung in einer Dauerausstellung Leben und Wirken des „Kanzlers der Einheit“ würdigen.

Merkels Einzug in Kohls ehemaliges Büro und das „Helmut-Kohl-Zentrum“ in Sichtweite des Brandenburger Tors dürfte hingegen in Ludwigshafen-Oggersheim alles andere als gut ankommen. Maike Kohl-Richter, des Altkanzlers Witwe, betrachtet Merkel wegen ihrer Haltung in der Spendenaffäre als „Verräterin“, wie Vertraute der streitbaren Dame berichten. Sie macht der Bundes-Stiftung zudem mit einer eigenen Kohl-Stiftung Konkurrenz, da sie überzeugt ist, nur sie könne für eine objektive Einordnung des politischen Wirkens ihres Mannes garantieren. Dass dann ausgerechnet Merkel in Kohls altem Büro hoch über dem Kohl-Zentrum thronen wird – das ist aus Oggersheimer Perspektive ein erinnerungspolitischer Super-GAU. Die angehende Ex-Kanzlerin hingegen steht zweifellos über solchen Petitessen.

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