Corona-Maßnahmen - Masken, Angst und Magie

Immer wieder erzählen deutsche Politiker, dass Gesichtsmasken gegen eine Infektion mit dem Corona-Virus schützen würden. Dabei ist die Wirkung der Masken mindestens umstritten. Der Rechtswissenschaftler Volker Boehme-Neßler vermutet noch einen anderen, einen weitaus archaischeren Grund hinter dem deutschen Hang zur Gesichtsverhüllung: Magisches Denken.

Der Minister mit der Maske / dpa
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Autoreninfo

Volker Boehme-Neßler ist Professor für Öffentliches Recht, Medien- und Telekommunikations- recht an der Carl von Ossietzky Universität Oldenburg. Davor war er Rechtsanwalt und Professor für Europarecht, öffentliches Wirtschaftsrecht und Medienrecht an der Hochschule für Wirtschaft und Technik (HTW) in Berlin.

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In weiten Teilen Europas gibt es keine Maskenpflicht mehr. Corona wird dort längst als eine endemische Krankheit betrachtet, mit der man leben muss – und leben kann. Masken spielen keine Rolle mehr. In Deutschland aber ist das völlig anders. Masken stehen hier weiter - fast unverrückbar - im Zentrum der Corona-Politik. Wie aber ist das zu erklären? Und welche Folgen hat das?

Die Maske hat sich seit dem Frühsommer 2020 zu einem der wichtigsten Instrumente der Corona-Politik entwickelt. Welche Maßnahmen im Einzelnen im Herbst und Winter eingesetzt werden, ist noch im Detail offen. Eines scheint aber sicher zu sein: Die Maskenpflicht wird bleiben. Die geplanten Neuerungen des Infektionsschutzgesetzes sehen weiterhin eine Maskenpflicht in unterschiedlichen Bereichen als wichtiges Instrument der Corona-Politik an.

Wissenschaftliche Evidenz der Maske 

Ob die Maske dabei wirklich gegen die Verbreitung des Virus hilft, ist nicht so eindeutig, wie es aus der intuitiven Laienperspektive scheinen mag.  Der kürzlich im Auftrag des Bundestags vorgelegte Evaluationsbericht zu den Corona-Maßnahmen kann aus den Daten, auf die er sich stützt, jedenfalls keine generelle Empfehlung für eine Maskenpflicht ableiten. Andere Studien kommen zu ähnlich skeptischen Ergebnissen. Nicht zuletzt deshalb haben auch die meisten europäischen Länder die Maskenpflichten länger abgeschafft.

Woher aber kommt dann dieses unerbittliche, zwanghafte Festhalten an der Maskenpflicht in Deutschland? Wer das wirklich verstehen will, sollte einen Blick in die Kulturgeschichte werfen. Denn hinter Masken steht oft magisches Denken. Ein solches ignoriert den naturwissenschaftlichen Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Es schreibt Dingen und Personen Eigenschaften und Fähigkeiten zu, die sie nicht haben (können). Magie ist losgelöst von den alltäglichen Regeln und Kausalitäten.
Ein solch magisches Denken ist eigentlich typisch für Stammeskulturen und für das Mittelalter. Es wäre indes ein Irrtum, wollte man es nur auf die Zeit vor der Aufklärung datieren. Magisches Denken findet sich überall, auch heute noch. Auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ist kindliches Denken zum großen Teil magisches Denken. Kunst und Literatur sind voll davon. Nicht umsonst spricht man von der Magie der Sprache. Auch Homöopathie und Religion zeigen – um es vorsichtig auszudrücken – Ansätze von magischem Bewusstsein. Trotz Aufklärung und Wissenschaft lässt sich magisches Denken bis heute im modernen Alltag erkennen. Man muss nur einmal genau hinschauen.

Maskenpflicht und magisches Denken

Wenn also die Politik – fast wie bei einem Ritual – die Wirksamkeit der Maskenpflicht immer wieder aufs Neue beschwört, obwohl es keine harte wissenschaftliche Evidenz für diese Wirksamkeit gibt, so legt das die Vermutung nahe, dass auch in Deutschland bei der Bekämpfung von Corona durch Masken und Maskenpflicht magisches Denken zumindest eine Rolle spielt. 

Manche öffentlichen Diskussionsbeiträge der politischen Akteure zur Maskenpflicht blieben geradezu unverständlich, wenn man sie nur als rationale Argumentation im demokratischen Diskurs ansehen wollte. Hierzu ein anschauliches Beispiel aus der geplanten Änderung zum Infektionsschutzgesetz: Im Flugverkehr soll die Maskenpflicht unnötig sein, im Bahnverkehr brauche man sie aber, so heißt es. Aus virologischer und epidemiologischer Perspektive ist ein solcher Vorstoß nur schwer zu verstehen. Ändert man indes den Blickwinkel, ergibt der Kampf für die Maske durchaus Sinn: Es geht hier um die ritualisierte Beschwörung der Maske als Allheilmittel gegen die Corona-Pandemie, geboren aus magischem Denken. Vor diesem Hintergrund wird das Festhalten an der Maske um jeden Preis verständlich – wenn auch nicht besser. Nur wer magisch denken lernt, kann in einer solchen Maskenpflicht den entscheidende Schutz vor der Krankheit entdecken. 

Angst und Magie

Und noch einen Vorteil hat das magische Denken: Es erfüllt eine wichtige, nahezu therapeutische Funktion. Magisches Denken kann in unsicheren, gefährlichen, prekären Situationen das Selbstvertrauen und die Zuversicht stärken. Es zerstreut Zweifel und nimmt das Gefühl der Hilflosigkeit. Der Mensch fühlt sich weniger ausgeliefert und überwältigt. Wer an die magische Kraft eines Amuletts oder eines Rituals glaubt, kann Risikosituationen besser bewältigen.

Die Corona-Politik aber war von Anfang an als Politik der Angst konzipiert. Das Corona-Virus war gefährlich. Die Pandemie war bedrohlich und hat weltweit unzählige Opfer gefordert. Die verbreitete Angst war durchaus berechtigt. Umso wichtiger wäre es für die Politik gewesen, rational zu agieren und die Bürger auf der Grundlage transparenter Informationen zu besonnenem, eigenverantwortlichem Handeln zu motivieren.

Das aber hat die Politik in Deutschland nicht getan. Stattdessen hat sie von Anfang an darauf gesetzt, die Bürger immer wieder in Angst und Schrecken zu versetzen. Sie hat dramatisiert und den Angstlevel in der Gesellschaft hochgehalten. Zu Recht hat man von einem „Regieren durch Angst“ gesprochen. Das war sicher kein Zufall. Am Anfang stand das ein Strategiepapier vom April 2020 aus dem Bundesinnenministerium. Dort werden Horrorszenarien skizziert und erörtert, wie die „Urangst“ der Menschen, zu ersticken, eingesetzt werden könnte, um die „gewünschte Schockwirkung“ zu erzielen. Dann kamen die Bilder aus Bergamo, die Angst erzeugt haben – und von der Politik immer wieder beschworen und in Erinnerung gerufen wurden. In dieser Angst-Atmosphäre wuchs erst das Bedürfnis nach magischem Denken. Ein Denken, das einen Ausweg aus der Angst zeigen könnte. 

Maske und Angst – Gift für die Gesellschaft

Auf den ersten Blick ist eine Gesichtsmaske natürlich harmlos. Schaut man genauer hin, ist sie aber nicht unproblematisch. Das fängt mit medizinischen Problemen an. Es sind nicht wenige Menschen, die gesundheitliche Einschränkungen haben, die es ihnen schwer oder unmöglich machen, eine Maske längere Zeit zu tragen. Dieser Aspekt wird viel zu oft ignoriert oder abgetan. Noch schwerwiegender sind indes die sozialpsychologischen Folgen, die eine lange und umfassende Maskenpflicht auf die Gesellschaft und das Verhalten der Menschen hat.

In den freien westlichen Gesellschaften ist es seit langem Konsens, dass in der Regel alle ihr Gesicht unmaskiert und ungeschützt zeigen. Gesicht zeigen schafft das Vertrauen, das eine Gesellschaft braucht, und es verbessert die Kommunikation. In der modernen Massengesellschaft müssen wir auch mit völlig unbekannten Menschen einigermaßen vertrauensvoll umgehen können. Sonst funktioniert die Gesellschaft nicht. 

Die Geburt des Misstrauens

Masken machen ängstlich und misstrauisch. Sie wirken schnell aggressiv – und sie machen aggressiv. Sie schaffen kein Vertrauen, sondern sie zerstören es. Diese negativen Folgen exzessiven Maskentragens lassen sich kaum vermeiden. Sie haben sich im Lauf der menschlichen Stammesgeschichte entwickelt, und sie sind in tiefen Schichten der menschlichen Psyche verwurzelt.

Über eines sollte man sich keine Illusionen machen. Wenn die freie und offene Kommunikation in der Gesellschaft Schaden nimmt, hat das Folgen für die Demokratie. Ohne ein Minimum an Vertrauen und guter Kommunikation funktioniert Demokratie nicht. Angst und Misstrauen fügen der Demokratie auf Dauer Schaden zu. Deshalb ist es höchste Zeit, mit der Angstpolitik, dem magischen Denken und dem exzessiven Maskentragen Schluss zu machen. Was eine freie Gesellschaft und eine lebendige Demokratie brauchen, ist das Gegenteil: Vernunft und Vertrauen. Das klingt wie eine Sonntagsrede, ist aber die Wahrheit.

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