Maskenpflicht für Influenza - Die Mär vom politischen Rundumschutz

Die FDP lässt die Maske fallen: Nachdem Justizminister Marco Buschmann die Wiedereinführung der Maskenpflicht im Herbst in Aussicht gestellt hat, ist ihm sein Parteikollege Christian Dürr nun zur Seite gesprungen. Dürr will sogar eine Maskenpflicht gegen die kommende Grippewelle. Damit beweist er, dass ihm keine Verschwörungstheorie zu krude ist, um nicht in den Rang eines ernsthaften Debattenbeitrags gehoben zu werden.

Marco Buschmann demaskiert sich / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Miesmacher und Pessimisten müssen jetzt stark sein: Wieder einmal scheint nämlich wahr zu werden, was vor über zwei Jahren bereits all jene orakelt haben, die unentwegt ins Dunkle zielen, nur um dann ab und an auch mal ins Schwarze zu treffen: Die Maskenpflicht, seit den Anfangstagen der Pandemie heiß umkämpft und mit großer Leidenschaft diskutiert, scheint auch im kommenden Herbst wieder in den Instrumentenkoffer zur Pandemiebekämpfung hineingelegt zu werden. Und das nicht einmal unmittelbar aufgrund des im Herbst zu erwartenden Anstiegs der Corona-Infektionszahlen; die Pflicht zur Mundbedeckung wird aktuell eher wegen anderer Atemwegserkrankungen diskutiert, darunter der jährlich wiederkehrenden Influenza.

„Wir haben die Sorge – und das sagen auch die Mediziner –, dass wir eine heftige Influenza-Saison, also Grippe-Saison bekommen werden“, sagte am Montag etwa FDP-Fraktionschef Christian Dürr und leitete aus dieser H1N1-Kaffeesatzleserei eben auch die mögliche Wiedereinführung der Pflicht zum Tragen einer medizinischen Schutzmaske ab: „Das ist unter Umständen noch relevanter diesen Winter als die Corona-Situation, die zum Glück ja im Griff ist“, so Dürr gegenüber Bild-TV.

Damit bestätigt einer der derzeit einflussreichsten Liberalen nicht nur eine Äußerung seines Parteikollegen Marco Buschmann, der in seiner Rolle als Bundesjustizminister bereits am Wochenende betont hatte, wie wichtig eine Form der Maskenpflicht in Innenräumen für das derzeit diskutierte Schutzkonzept der Bundesregierung sein werde. Nein, Dürr ging mit seinem unerwarteten Statement sogar noch einen entscheidenden Schritt weiter – sogar weiter als all das, was in Sachen Pandemiebekämpfung bis dato konsensfähig war, besonders natürlich unter Liberalen.

Die Politik entdeckt die Maßnahme

Denn eigentlich war man sich bis dato parteiübergreifend einig darin, dass Eingriffe ins Infektionsschutzgesetz einzig und allein der Bekämpfung des im Januar 2020 erstmals aufgetretenen neuartigen Coronavirus und der damit einhergehenden Covid-19-Erkrankung dienen sollten. Mittlerweile aber scheinen die sogenannten Non Pharmaceutical Interventions (NPI) – also jene Maßnahmen, die nicht in der ausschließlichen Gabe von Medikamenten  bestehen – besonders unter Politikern derart beliebt zu sein, dass man ihre in vielen Punkten nie wirklich nachgewiesene Schutzwirkung, geschweige denn ihre Verfassungsmäßigkeit, auch auf andere Krankheitsbilder erweitern möchte.

Dumm dabei nur: Damit gibt man natürlich – ähnlich wie schon bei der leidigen Diskussion um die Impfpflicht – wieder einmal all jenen Recht, die von Beginn an vor einer Verstätigung der Maßnahmen gewarnt hatten und die mit derlei Kassandrarufen allzu schnell ins Abseits sogenannter Verschwörungstheorien gedrängt wurden. Und besonders brisant: Es war ausgerechnet Dürrs Parteikollege Wolfgang Kubicki, der früh ins Lager all derer gehörte, die vor dieser „Verstetigung des bisherigen Maßnahmenregimes“ gewarnt hatten.

Dem in Sachen staatlicher Schutzpflicht etwas breitschultrigerem Parlamentarier wird das weitestgehend egal sein. Getreu dem Motto: Was bei Corona geholfen haben mag, kann bei Influenza nicht schaden, will er den Bürger lieber ein weiteres Jahr aus seiner Eigenverantwortung herausnehmen. Sicher ist sicher. Dumm indes ist bei soviel fürsorglicher Belagerung vor allem dieses: Die Welt ist womöglich weit enger miteinander verwoben, als ein vor Tatkraft nur so strotzender Fraktionsvorsitzender sich das gemeinhin vorstellt. Denn selbst wenn, wie Beobachtungen aus Australien und Südafrika nahelegen, die Influenzawelle 2022/23 auch auf der Nordhalbkugel stärker heranrollen sollte als in früheren Jahren, so könnte das am Ende nicht trotz, sondern gerade wegen der Maskenpflicht geschehen. 

Anstieg von Atemwegserkrankungen

Wachsamen Medizinern war es nämlich schon vor einem Jahr aufgefallen: Die Welt der Viren und Bakterien generiert Nachholeffekte. Heißt: Was nicht heute ist, das kommt halt morgen. So klagten etwa Kinderärzte im Herbst 2021 bereits über verstärktes Schniefen, Husten und Fiebern unter ihren jungen Patienten. Grund dafür war nicht Corona, sondern das sogenannte Respiratorische Syncytial-Virus (RSV), das damals zu einer bedenklichen Belegung von Kinderkliniken und sogar Intensivstationen geführt hatte. In manch einer Pädiatrie fürchtete man damals sogar schon die Überlastung.

Abstand und Maskenpflicht nämlich hatten für lange, vielleicht zu lange Zeit davor geschützt, mit normalen Atemwegserregern in Berührung zu kommen. Als Reaktion darauf hatte sich das überbehütete Immunsystem allmählich selbst abtrainiert. Die Folge war ein Überschießen normaler Krankheitserreger, kaum dass die Kinder wieder frei atmen konnten. Noch im Mai 2022 beobachteten Mediziner wie der Bremer Virologe Andreas Dotzauer einen ungewöhnlichen Anstieg von Grippeerkrankungen bei Kindern.

An der Infektion führt kein Weg vorbei

Für die aktuelle Debatte also kann das nur eines bedeuten: Schluss mit dem ermüdenden Gerede über eine generelle Maskenpflicht! So wichtig es sein mag, vulnerable Gruppen und sensible Orte mit Hilfe von FFP2-Masken effektiv zu schützen, so kontraproduktiv ist es, in der aktuellen Situation eine Maskenpflicht für sämtliche Innenräume zu ermöglichen. Krankheitserreger wie Sars-Cov2 oder H1N1 verschwinden nämlich nicht, wenn man ihnen die Tür verschließt. Zu einem unverhoffteren Zeitpunkt kommen sie einfach wieder. Da mag sich die Politik noch so in Tatendrang üben, das Leben lässt sich in diesem Punkt auch per Gesetzesnovelle nicht überlisten.
 

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