Martin Schulz bei „Anne Will“ - Die Selbstversenkung

Es war kein gutes Jahr für Martin Schulz. 2017 noch Hoffnungsträger der SPD, katapultierte sich der ehemalige Kanzlerkandidat selber ins Aus. Bei „Anne Will“ sollte er sich eigentlich nur zum Fall Hans-Georg Maaßen äußern. Doch die Sendung dokumentierte vor allem seinen Abstieg. Eine Fernsehkritik von Alexander Kissler vom September 2018

Martin Schulz: Augenpfeile vom Katzentisch der Politik / Screenshot ARD-Mediathek
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Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Es war nicht das Jahr, es war nicht die Woche des Martin Schulz. Aus dem Parteivorsitzenden und Kanzlerkandidaten der SPD wurde ein Hinterbänkler im Bundestag. Versorgt bleibt er, wahrgenommen wird er nicht immer. Das scheint den einstigen Hoffnungsträger, der mit 20,5 Prozent der Zweitstimmen für die SPD ein historisches Debakel zu verantworten hat, durchaus zu wurmen. Und so tat er in der vergangenen Woche, erst im Bundestag, gestern bei „Anne Will“, was er vermutlich auch nachts um drei in Würselen beherrschte: Er empörte sich, er wurde laut, er irrte durch den Gedankenwald. Es war das Schauspiel einer Selbstversenkung.

So schnell sich auch Claqueure fanden für den kalkulierten Ausbruch Schulzens wider Alexander Gauland und dessen „rhetorische Aufrüstung“ am vergangenen Mittwoch bei der Generaldebatte zum Haushalt: Schulz warf Gauland vor, was ihm konkret in diesem Moment nicht vorzuwerfen war, dass er nämlich den Hitlergruß als nur „unappetitlich“ bezeichnet hätte. Schulz präzisierte, „das Zeigen des Hitlergrußes ist eine Straftat, die strafrechtlich verfolgt werden muss“. Stimmt. Wenige Minuten zuvor aber hatte der AfD-Fraktionschef dieses Zeigen selbst „unappetitlich und strafbar“ genannt. Bleibt der schlimmere Anklagepunkt, wer wie Gauland die „Eindimensionalität komplexer Strukturen im 21. Jahrhundert“ behaupte, bediene sich eines faschistischen „Stilmittels“.

Da am gestrigen Sonntag die „Anne Will“-Redaktion in ihrer unerklärlichen Weisheit beschlossen hatte, zum Scherbengericht über Hans-Georg Maaßen niemanden von der AfD, niemanden von der FDP, wohl aber den unvermeidlichen Grünen-Chef Robert Habeck, die Linke Petra Pau und CDU-Nachwuchskraft Paul Ziemiak einzuladen, wurde aus Schulzens Suada ein pantomimischer Akt. Er wandte sich ein ums andere Mal effektvoll nach seiner rechten Seite, als säßen da Beelzebub, Gottseibeiuns und AfD – für Schulz kein Unterschied – in einer Person. Doch da saß nur der arme Journalist Georg Mascolo und wusste nicht, wie ihm geschah. Ihn, immer wieder ihn traf der böse Schulterblick zur Rechten hin. Martin Schulzens donnernde Augenpfeile gingen auf Mascolo im Stakkato hernieder. Es war bizarr.

Am Katzentisch der Politik

Und wurde bizarrer. Den konservativen Historiker Edmund Burke erklärte Schulz kurzerhand zum „englischen Philosophen“, weil er dessen bei Zitate-online.de leicht greifbaren Satz anbringen wollte: „Für den Triumph [bei Schulz: den Sieg] des Bösen reicht es, wenn die Guten nichts tun!“ Ob Burke bei den Bösen vielleicht auch an die radikalen Empörer wider die Monarchie während der Französischen Revolution gedacht haben mag, die Burke bekanntlich kritisierte? Martin Schulz, der Antimonarchist, wurde nicht dazu befragt. So ließ er uns „offen“ teilhaben am Kommunikationsabbruch, der ihm seit der horrend vergeigten jüngsten Bundestagswahl widerfuhr. Martin Schulz sitzt nur noch am Katzentisch der großen Politik, und er teilt es freimütig mit. 

Die Sitzung des Innenausschusses, in der Verfassungsschutzpräsident Maaßen Rede und Antwort stand? Da sei er nicht dabei gewesen. Die anschließende „Telefonschaltkonferenz der SPD“ (Ziemiak), um eine gemeinsame Linie zu beschließen? Daran habe er nicht teilgenommen. Die nächsten Schritte der SPD-Führung in der Causa Maaßen? Kenne er nicht. Er vertrete hier bei „Anne Will“ nur seine „persönliche Meinung“. So blieb ihm am Ende allen Nichtwissens nur der Sturz ins Anekdotische. Er könne aus seiner „europäischen Erfahrung“ dies und jenes mitteilen. Er warne vor dem „Verfall der öffentlichen Moral“. Ach, Martin, es war bitter.

Kaum Widerspruch aus der Runde

Am Ende allgemeiner Herzinnigkeit, die lediglich Paul Ziemiak mit der sanften Hartnäckigkeit eines Akupunkteurs hie und da zu stören vermochte – als sich alle also einig waren über die „Fehler“ (Ziemiak) des Hans-Georg Maaßen, dessen Skalp am Gürtel der „Institution Demokratie“ (Habeck) aus „100 Gründen“ (Pau) zu baumeln habe, um aus der „sehr angeschlagenen Verfassung unserer Demokratie“ (Will) herauszufinden, schaute Martin Schulz verdutzt in die Runde. Man hatte ihm kaum widersprochen. Man hatte den Streiter wider Antisemitismus, als der er sich präsentierte, nicht konfrontiert mit seiner Rede in der Knesset vor vier Jahren, als er die antiisraelische Legende referiert hatte, die Israelis dürften „70 Liter Wasser am Tag benutzen und Palästinenser nur 17“. Insofern war es dann doch ein guter Abend für Martin Schulz.
 

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