Markus Söder - Der tragische Held

Markus Söder ist zum bayerischen Ministerpräsidenten gewählt worden. Vor ihm liegt nun die Aufgabe, die absolute Mehrheit der CSU bei den Landtagswahlen im Oktober zu verteidigen. Ob ihm das gelingt, ist alles andere als klar

Erschienen in Ausgabe
Markus Söder ist überzeugt: Die beste Formation gibt es nur mit ihm an der Spitze / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

So erreichen Sie Christoph Seils:

Anzeige

Vielleicht ist ein Gotteshaus tatsächlich der richtige Ort, um sich auf kommende Aufgaben einzustimmen. Besinnung nach harten innerparteilichen Auseinandersetzungen, nachdenkliche Worte statt scharfer Parolen. „Lobet den Herren“ singt die Gemeinde, der Lektor fragt mit dem Lukas-Evangelium: „Wann wird das Reich Gottes kommen?“ Dann geht Markus Söder als Repräsentant einer weltlichen Macht bedächtigen Schrittes zur Kanzel und legt seine Notizen zurecht. Der CSU-Politiker und bayerische Finanzminister ist schon am Tag zuvor aus dem fränkischen Nürnberg ins bayerische Schwaben gefahren. Am Samstagabend war er Gast beim Presseball in Augsburg, um nun am Sonntagmorgen in der evangelischen Heilig-Geist-Kirche in Oberstaufen zu predigen. Er verspricht „keine 95 Thesen zur Landespolitik“ vorzutragen. Seinen Mantel zieht er nicht aus.

Markus Söder strahlt. Er weiß an diesem regnerischen Novembermorgen bereits, dass er bald Ministerpräsident von Bayern sein wird, dass zumindest alles auf ihn zuläuft. Während seiner Predigt hat er fast ununterbrochen ein Grinsen auf den Lippen. Wenn er nachdenklich wirken will und deshalb zur Unterstreichung seiner Gedanken den Kopf zur Seite neigt, sieht er deshalb unfreiwillig komisch aus. Söder weiß, die Tage seines Widersachers sind gezählt. Die Sondierungsgespräche in Berlin stehen an diesem Sonntag zwar noch vor ihrer heißen Phase, noch ist völlig offen, ob es Jamaika im Bund geben wird oder nicht. Aber in Bayern sind die Weichen gestellt. Fast alles spricht dafür, dass Markus Söder im bayerischen Landtag schon bald zum Ministerpräsidenten des Landes gewählt werden wird, als Nachfolger von Horst Seehofer. „Das Söder-Lager steht“, sagt der Landtagsabgeordnete Eric Beißwenger, und das andere Lager habe sich noch nicht einmal auf einen Kandidaten verständigt.

Tauglich für die Talkshow und das Bierzelt

Der brutale Machtkampf in der CSU, der die Partei seit der Bundestagswahl lähmt, scheint entschieden. Söder ist ein Menschenfänger, talkshowtauglich und bierzeltfest. Und selbst in der voll besetzten Kirche verzichtet er nicht auf jene kleinen und manchmal auch billigen Scherze, mit denen er gerne sein Publikum umgarnt. Etwa wenn er betont, dass er in der Tat einen Doktortitel habe und ihn bis heute tragen dürfe. Oder wenn er seinen Vater zitiert, einen Maurermeister, der früh erkannte, dass sein Sohn zwei linke Hände habe und ihm deshalb schon im Alter von 14 Jahren riet, „entweder Politiker oder Pastor“ zu werden. Die Gemeinde lacht, klatscht sogar spontan Beifall. Anschließend spricht der CSU-Politiker über Martin Luther, das Reformationsjubiläum, seinen Glauben und seine Zweifel.

Im Bierzelt ist Markus Söder in seinem Element / picture alliance

Zweifel an seiner privaten politischen Mission allerdings hat Markus Söder öffentlich nie erkennen lassen. Etwas anderes als die CSU hat es in seinem Leben nicht gegeben, auch wenn er Jura studiert und beim Bayerischen Rundfunk ein Volontariat absolviert hat. Sein Machtwille war früh zu spüren. Mit 16 Jahren trat Söder 1983 in Nürnberg in die Junge Union und in die CSU ein. Mit 27 wurde er 1994 jüngster Landtagsabgeordneter. Er war acht Jahre lang Landesvorsitzender der Jungen Union, von 2003 bis 2007 CSU-Generalsekretär, und wieder war er der jüngste. Edmund Stoiber gilt als sein Entdecker und Förderer. Von seinem Ziehvater lernte er auch die Kunst der Polemik, immer kräftig draufhauen, auf die Sozen oder auf die Grünen, auf die Politikerkaste im fernen Berlin oder auf die sparunwilligen Griechen. So empfiehlt man sich in der CSU traditionell für höhere Aufgaben.

Geben und nehmen statt moderieren

Seit zehn Jahren gehört Söder folglich der Landesregierung an. Zunächst als Europaminister, dann als Umweltminister. Seit 2011 ist er Finanzminister und seit 2013 zusätzlich für Landesentwicklung und Heimat zuständig. Eine unschlagbare Verbindung. Einerseits kann der Minister in Bayern Geld verteilen, andererseits die bayerischen Traditionen pflegen. „Heimat ist da, wo der Mensch hingehört und wo er bleiben will“, wusste er schon lange, bevor der Begriff nach der Bundestagswahl plötzlich in aller Munde war.

Heimat hieß für Söder in den vergangenen Jahren allerdings vor allem Terminmarathon. Fast jeden Förderbescheid hat der Minister vor Ort übergeben. So schuf er über die Jahre ein festes Netzwerk aus Kontakten und Loyalitäten. Wo andere CSU-Politiker sich modern gaben, die neue Kunst der Politik im Moderieren von immer heterogener werdenden Interessen sahen, griff er auf ein altes Politikerprinzip zurück: geben und nehmen.

Die Penetranz, mit der sich Söder an der Basis anbiederte, ließ Parteifreunde spotten. Die Unermüdlichkeit, mit der er jeden Winkel Bayerns bereist hat, nötigt ihnen zugleich großen Respekt ab. Zumal Markus Söder, während er durch die Provinz tourte, so manchen ehrgeizigen Mitstreiter und populären Hoffnungsträger seiner Generation aufsteigen und abstürzen sah. Allen voran Karl-Theodor zu Guttenberg, der nach ihm Generalsekretär geworden war und vor ihm Bundesminister wurde, aber zurücktreten musste, weil er seine Doktorarbeit zu großen Teilen abgeschrieben hatte. Auch der frühere bayerische Finanzminister Georg Fahrenschon fand es irgendwann attraktiver, für weniger Arbeit und ein deutlich höheres Salär an die Spitze des Deutschen Sparkassen und Giroverbands zu wechseln.

Söder soll es richten

Söder blieb, steckte alle Nackenschläge weg, wartete mit Geduld und Beharrlichkeit auf seine Chance. Und auch wenn der mittlerweile 50-jährige Vater von vier Kindern in diesen Tagen den „Mannschaftsgeist“ in der CSU beschwört und die „beste Formation für den Landtagswahlkampf 2018“ einfordert, ist er in Wirklichkeit von einem überzeugt: Die beste Formation gibt es nur mit mir an der Spitze.

Dass dem so ist, diese Überzeugung hat sich auch in der CSU weitgehend durchgesetzt. An der Parteibasis, in den Bezirksverbänden, in der Jungen Union und auch in der Landtagsfraktion. Selbst Parteifreunde, die klagen, Söder sei von „Ehrgeiz zerfressen“ und habe sich in der Partei die eine oder andere „Schmutzelei“ zu viel geleistet, räumen ein: Nur Söder habe das Zeug, die CSU zu alter Stärke zurückzuführen. Dass er Protestant ist, Franke und Fan des 1. FC Nürnberg, nicht Katholik aus Oberbayern und Anhänger des FC Bayern, so wie fast alle erfolgreichen CSU-Ministerpräsidenten in den vergangenen sechs Jahrzehnten, ist kein Argument mehr. Die aktuelle Konkurrenz wurde gewogen und für zu leicht empfunden. Ilse Aigner ist als Wirtschaftsministerin des Landes blass geblieben. Innenminister Joachim Herrmann hat sich mit seinem misslungenen Versuch, CSU-Frontmann in Berlin zu werden, zwischen alle Stühle gesetzt. Manfred Weber, Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Volkspartei im Europaparlament, ist in Brüssel weit weg.

Söder soll es nun also richten. Die Schmach der Bundestagswahl, bei der die selbsternannte bayerische Staatspartei nur 38,8 Prozent geholt hatte, sitzt tief. Seit zwei Monaten ist die CSU völlig von der Rolle. Die pure Angst vor einem dauerhaften Bedeutungsverlust hat die Partei erfasst, die Angst vor dem Ende des bayerischen Sonderwegs. Zumal es in einer Umfrage nach der Wahl noch einmal zwei Punkte weiter runtergegangen ist, auf 37 Prozent. Und je größer die Angst, desto größer die Sehnsucht nach einem Retter. Desto größer die Bereitschaft, alle Bedenken gegen Söder und seinen Politikstil beiseite zu schieben. Der Auftrag ist klar: Wer auch immer die CSU als Ministerpräsident in den Wahlkampf 2018 führt, muss die absolute Mehrheit verteidigen. Doch so könnte Söder zum tragischen Helden werden.

Seehofer hat keine Macht mehr über ihn

Dass Markus Söder nicht schon längst der unangefochtene Kronprinz Horst Seehofers ist, liegt nicht nur an seinem überbordenden Ehrgeiz. Seehofer hat nach seiner Wahl zum Parteichef und Ministerpräsidenten im Jahr 2008 Söder frühzeitig als denjenigen ausgemacht, der eines Tages an seinem Stuhl sägen werde. Zumal dieser schon als Generalsekretär erklärt hatte, Politik funktioniere nach dem Motto „stützen oder stürzen“. Also haben sich die beiden belauert und bekriegt, schlecht übereinander geredet. Und je länger sie dies taten, so offenkundiger wurde, dass die beiden vor allem deshalb in so großer Abneigung verbunden sind, weil sie sich als gnadenlose Machtpolitiker so ähnlich sind. Seehofer wird in Söder den jungen Seehofer wiedererkannt haben, Söder in Seehofer sein alter Ego. So lässt sich der Machtkampf, der nun mit dem Triumph des Jungen über den Alten enden wird, nur als politischer Vater-Sohn-Konflikt verstehen. Und die Frage lautet vor allem: Wieviel Schaden in der Partei kann der Alte noch anrichten, bevor er vom Sohn endgültig beiseitegeschoben wird.

Hätte Seehofer das Heft des Handelns noch in der Hand, Söder würde nie und nimmer dessen Nachfolger. Doch Seehofer ist die Macht aus den Händen geglitten. Er darf noch die Verhandlungen über die Regierungsbildung in Berlin zu Ende führen, vielleicht darf er als Minister in Berlin sein Gnadenbrot essen; vielleicht jedoch darf er auch nur noch einen der Seinen als neuen Parteichef vorschlagen. Söder als Ministerpräsident wird er nicht mehr verhindern können.

Die Zeiten, als Markus Söder Horst Seehofer nur ab und zu einen „Shrek“ einjagte, sind vorbei / picture alliance

Was für ein Absturz. Es ist noch nicht lange her, da träumte Horst Seehofer zum Abschluss seiner Karriere von einem doppelten Triumph. Er hielt es für möglich, dass CSU und CDU bei der Bundestagswahl 2017 die absolute Mehrheit erzielen und die CSU ein Jahr später in Bayern ihre Vormachtstellung ausbaut. Er wollte als Triumphator abdanken und nicht als Geschlagener. Doch dann begann im Herbst 2015 die Flüchtlingskrise. Es begann eine offene politische Schlacht zwischen den Schwesterparteien CSU und CDU sowie vor allem zwischen Seehofer und Merkel. Er warf ihr die „Herrschaft des Unrechts“, zweifelte sogar daran, dass es möglich sei, ein gemeinsames Wahlprogramm zu formulieren. Doch kaum hatte der Bundestagswahlkampf begonnen, nannte er Angela Merkel eine „vorzügliche Kanzlerin“, alle Kritik war vergessen. Nicht einmal der Obergrenzen-Streit wurde geklärt. Und so machen ihn viele Christsoziale für die Niederlage bei der Bundestagswahl verantwortlich und für den scheinbar unaufhaltsamen Aufstieg der AfD.

CSU vor existenzieller Herausforderung

Dabei geht die Krise der CSU tiefer und offenbarte sich schon am Ende der Ära Stoiber. Auch in Bayern ist die Wählerlandschaft heterogener, sind die Herausforderungen der Wählermobilisierung größer geworden. Der Machtkampf zwischen Seehofer und Söder war zwar unterhaltsam, überdeckte aber die strukturellen Probleme.

Nach dem Gottesdienst in Oberstaufen hat der Pfarrer im Gemeindesaal noch zu einem kleinen Empfang geladen, es gibt Sekt und Häppchen. Unentwegt muss Markus Söder Hände schütteln. Er genießt seine Popularität und auch die besten Wünsche und „Gottes Segen“ für das Amt, für das er sich offiziell noch nicht einmal beworben hat. Bis zu einem Erfolg bei der Landtagswahl ist es allerdings auch für Söder noch ein weiter Weg. Dabei weiß auch Söder, dass die CSU eigentlich ihr konservatives Profil stärken müsste, bei der inneren Sicherheit sowie in der Flüchtlingspolitik. Außerdem müsste sie klare sozialpolitische Akzente setzen, bei Themen wie Mieten oder Rente. Doch längst hat die CSU erkannt: Neuwahlen würden ihr auch nicht helfen, weil man dann bis zum kommenden Sommer keinen profilierten, auf Bayern zugespitzten Landtagswahlkampf führen könnte. Die AfD, die die CSU so dringend wieder unter die Fünf-Prozent-Hürde drücken muss, um wieder auf die absolute Mehrheit hoffen zu können, würde in jedem Fall gestärkt. Dass die CSU tief gespalten ist, macht auch darüber hinaus wenig Hoffnung auf eine schnelle Trendwende.

Die CSU steht vor einer existenziellen Herausforderung. In ihrer Not hat sie sogar schon Emissäre zur SPD geschickt und nachfragen lassen, ob die Sozialdemokraten ohne Neuwahlen für eine Wiederauflage der Großen Koalition zur Verfügung stünden, sollten die Jamaika-Gespräche scheitern. Die Antwort war unmissverständlich, und sie lautete „Nein“. So stehen die CSU und Markus Söder vor einem Jahr, in dem fast sie nur verlieren können.

Dies ist ein Artikel aus der Dezember-Ausgabe des Cicero, die Sie in unserem Onlineshop finden.










 

Anzeige