Manfred Weber zum Antisemitismus - Ein logischer Kurzschluss

EVP-Chef Manfred Weber gibt der AfD eine Mitschuld an den antisemitischen Exzessen muslimischer Einwanderer auf deutschen Straßen. Es fällt schwer, der Logik dieser Behauptung zu folgen.

Manfred Weber, Vorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), während einer Plenarsitzung des Europäischen Parlaments / dpa
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Moritz Gathmann ist Chefreporter bei Cicero. Er studierte Russistik und Geschichte in Berlin und war viele Jahre Korrespondent in Russland.

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Es ist nicht immer einfach, als Chef der EVP-Fraktion im Europaparlament mediale Aufmerksamkeit zu generieren. Manfred Weber, vor zwei Jahren als EVP-Spitzenkandidat bei der Europawahl angetreten, steuerte damals auf den Posten des Kommissionpräsidenten zu – den bekam am Ende aber nicht ohne Grund Ursula von der Leyen: Der CSU-Vize Weber verfügt über keinerlei Regierungserfahrung.

Angesichts der antisemitischen Parolen und Attacken auf deutschen und europäischen Straßen stimmte Weber nun in den Chor der Verurteiler des Antisemitismus ein, was an sich keine Meldung wert wäre. Doch er verband seine Aussage mit folgender Erkenntnis: „Radikale wie die AfD in Deutschland oder Le Pen in Frankreich haben Grenzverschiebungen beim Antisemitismus befeuert“, so Weber in einem Interview mit der Funke-Mediengruppe. „Sie muss man als Begründer solcher Exzesse auch benennen.“

Wer ist verantwortlich für den Antisemitismus?

Es erfordert ein hohes Maß an intellektueller Elastizität, um der Logik dieser Aussage folgen zu können. Man kann der Alternative für Deutschland sicher einiges vorwerfen: sprachliche Verrohung, gerade im Hinblick auf Flüchtlinge, populistische Forderungen oder eine mangelnde Abgrenzung von Extremisten. Aber hat die Partei „Grenzverschiebungen beim Antisemitismus befeuert“?

Es ist das zentrale Anliegen der AfD, vor allem die Einwanderung von Menschen aus islamisch geprägten Ländern nach Deutschland zu reduzieren. Gerade das hat die Partei 2015 groß gemacht. Es sind aber – neben einigen verirrten deutschen Linken – gerade Menschen aus islamisch geprägten Ländern, die auf Deutschlands Straßen in den vergangenen Tagen gegen Juden allgemein und Israel im Speziellen demonstrieren, Fahnen mit dem Davidstern verbrennen und „Scheiß Juden“ skandieren.

Ablehnung Israels und der Juden als Grundüberzeugung

Wenn man sich schon zu einer Schuldzuweisung für das, was derzeit auf deutschen Straßen vor sich geht, versteigen will, dann könnte man sie so formulieren: Es war Angela Merkel, die von CDU und CSU gestützte Kanzlerin, die allein 2015 die Einwanderung von gut einer Million Menschen ermöglichte, in deren Heimatländern die Ablehnung Israels und der Juden zu den allgemein geteilten Grundüberzeugungen gehört. Der Logik folgend, ist dafür auch Manfred Weber verantwortlich, der seit 2015 stellvertretender CSU-Vorsitzender ist.

In der Psychologie existiert das Krankheitsbild der narzisstischen Persönlichkeitsstörung: Der Narzisst verschiebt die Schuld, er ist unfähig, die Verantwortung für sein Handeln zu übernehmen und wendet Manipulationstechniken an, um seine Taten zu verschleiern.

„Sie muss man als Begründer solcher Exzesse auch benennen.“ Dass Manfred Weber dies über die AfD sagt, ist ein atemberaubender Akt der Verschiebung von Verantwortung. Nur ein kleiner Teil der Muslime, die in Deutschland leben, ging in den vergangenen Wochen auf die Straße. Für die allermeisten gehört die Juden- oder Israel-Frage auch nicht zu den Problemen, die sie in ihrem Alltag beschäftigen.

Merkel gesteht das Problem ein

Aber dass Deutschland – zusätzlich zu dem in Deutschland bestehenden Antisemitismus – sich seit 2015 eine große Anzahl veritabler Judenhasser importiert hat, ist unbestreitbar. Man muss nur mit Juden in Deutschland sprechen, um einen Eindruck davon zu bekommen. Auch Angela Merkel gestand das Problem 2018 in einem Interview mit einem israelischen Fernsehsender ein: „Wir haben jetzt auch neue Phänomene, indem wir Flüchtlinge haben oder Menschen arabischen Ursprungs, die wieder eine andere Form von Antisemitismus ins Land bringen.“

Aber Weber legte in seinem Interview noch einen drauf. Die Glaubensfreiheit sei ein Kern des europäischen Gesellschaftsmodells, stellte Weber fest, um dann fortzufahren: „Es wäre eine Überlegung wert, dass die EU-Staaten gemeinsam prüfen, ob Hetze gegen Religionen in geeigneter Form ein Straftatbestand in allen Ländern werden sollte.“ „Es wäre eine Überlegung wert“ ist eine Formulierung, die es Politikern erlaubt, sofort zurückzurudern, wenn ein Aufschrei folgt: Man habe ja nur Überlegungen angestellt, kann man dann sagen.

Ein Paragraph gegen Religionskritik?

Wie unüberlegt diese Aussage ist, zeigt ein Blick ins Strafgesetzbuch: Paragraph 130 beschäftigt sich mit Volksverhetzung, und dort ist klar beschrieben, was in Deutschland unter Strafe steht, nämlich zu Hass aufzustacheln gegen Menschen aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit. Wer in Deutschland „Juden sind Schweine“ formuliert, wird genauso bestraft wie jemand, der „Muslime sind Schweine“ deklamiert. Im Hinblick auf „Scheiß Juden“ skandierende Menschen auf deutschen Straßen braucht es nur ihre konsequente Anwendung.

Gesetze, die Hetze gegen Religionen an sich als Straftatbestand definieren, wie von Weber formuliert, braucht kein Mensch. Sie könnten sich zu Gummiparagraphen entwickeln, mit denen am Ende die Kritik am Islam oder anderen Religionen kriminalisiert wird. Das braucht kein Mensch, weder in Deutschland noch im restlichen Europa.

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