Neuer Lockdown für vier Wochen - Der Staat allein kann uns nicht retten

Jetzt werden also wieder „die Zügel angezogen“, um Corona an der Verbreitung zu hindern. Doch auch ein neuer Lockdown wird nichts helfen: Entweder die Gesellschaft unterwirft sich einem zweifelhaften Gesundheitsregime. Oder wir lernen endlich, mit Risiken umzugehen und unserer Verantwortung für andere und uns selbst gerecht zu werden.

Angela Merkel verkündet einen neuen Lockdown / Screenshot
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Corona und kein Ende. Was jetzt auf die Bundesrepublik zukommt, ist also der „Lockdown light“ mit zeitlicher Befristung. Aber wer weiß schon, ob die nun beschlossenen Maßnahmen greifen – und wenn ja, ob sich das Szenario nicht schon bald wiederholen könnte. Gesellschaft und Wirtschaft im Zustand völliger Unsicherheit, völliger Unberechenbarkeit und offensichtlicher Planlosigkeit: Das hält kein Gemeinwesen auf Dauer aus.

Man kann ein Land nicht immer wieder hoch- und runterfahren in der Hoffnung, dem letztlich nur diffus zu bestimmenden „Infektionsgeschehen“ irgendwann Herr zu werden. Wenn Parlamentarier wie Karl Lauterbach ernsthaft vorschlagen, der Staat dürfe wegen Corona zu Kontrollzwecken in Privatwohnungen eindringen, ist das Maß des Erträglichen endgültig überschritten.

Erkennbare Symbolpolitik

Restaurants zu, Freizeiteinrichtungen geschlossen, neue Kontaktbeschränkungen, Theater und Kinos dicht, dafür Schulen und Kitas offen. Zu letzteren könnte man sagen: immerhin. Trotzdem wirkt das heute vereinbarte Maßnahmenpaket wie blinder, panikartiger Aktionismus. Denn warum, um nur ein Beispiel zu nennen, trifft es eigentlich ausgerechnet die Gastronomie wieder mit voller Härte, wo doch die Statistiken zeigen, dass gerade von dort keine wirkliche Gefahr ausgeht? Da wird also erkennbar Symbolpolitik betrieben, es werden Zeichen gesetzt, damit auch der letzte Bürger, die letzte Bürgerin dieses Landes den Ernst der Lage endlich begreifen. Der Staat nimmt sich in seiner Rolle des strengen Erziehers eben das Recht heraus, auch danebenzuhauen und den falschen zu treffen.

Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat gemeinsam mit den beiden Virologen Hendrik Streeck und Jonas Schmidt-Chanasit noch an diesem Mittwochvormittag ein Gegenmodell zum Lockdown-Bingo vorgelegt. Dessen Kernaussage: Das Corona-Virus wird uns in jedem Fall die nächsten Jahre begleiten, ob mit oder ohne Impfstoff. „Deshalb müssen wir viel stärker darüber sprechen, wie das Zusammenleben trotz des Virus in größtmöglicher Freiheit stattfinden kann“, so das Fazit des Thesenpapiers. Ja, tatsächlich: Es geht auch um Eigenverantwortung.

Sie, die Eigenverantwortung nämlich, ist sogar die Voraussetzung für einen demokratisch und freiheitlich organisierten Rechtsstaat. Die Pandemie führt uns zurück auf ganz grundsätzliche Fragen: Wo liegen die Grenzen von Regierungshandeln, wenn nicht gleichzeitig die Substanz dessen ausgehöhlt wird, was sonst an hohen Feiertagen und bei jedweder anderen sich bietenden Gelegenheit als „westliche Werte“ besungen wird?

Zu den Ergebnissen, die der Pressekonferenz vorgestellt wurden

Das diktatorische Virus

Der Lockdown kann unmöglich zum modus vivendi unserer Demokratie werden, genauso wenig unseres Soziallebens, unserer Kultur, unserer Wirtschaft. Die westlichen Wohlstandsgesellschaften haben es verlernt, mit Risiken vernünftig umzugehen, sie gegeneinander abzuwägen, sie überhaupt zuzulassen. Das Virus hat seinen Ursprung in China, einer Diktatur also, der ganz andere, noch viel rigorosere Möglichkeiten zur Bekämpfung einer Pandemie zur Verfügung stehen. Aber auch Diktaturen sind eben mit Risiken verbunden – zumindest für all jene Menschen, die sich ihnen nicht unterwerfen wollen. Dass hierzulande tatsächlich einige sogenannte Gesundheitspolitiker von staatlicher Allmacht träumen, um „Schaden von der Bevölkerung abzuwenden“, wie es dann so schön heißt, ist erschreckend und beängstigend.

Die westlichen Demokratien haben, womöglich mit einigen bemerkenswerten skandinavischen Ausnahmen, bisher kein gutes Bild in der Coronakrise abgegeben. Abermilliarden schwere Rettungspakete wurden geschnürt, um die immensen wirtschaftlichen Kollateralschäden des ersten Lockdowns abzufedern – offenbar in der Annahme, mit einem einmaligen Ereignis konfrontiert worden zu sein. In Frankreich und Italien hat der Staat seine Rolle als gestrenger Patriarch beinahe bis zum Exzess getrieben. Das Ergebnis ist dürftig; anstatt eine merkliche Erholung von der Seuche vermelden zu können, drohen nun Straßenkämpfe zwischen der Obrigkeit und Teilen der Bevölkerung. Wie soll die Antwort lauten? Noch mehr „China“ wagen?

Mehr Demokratie wagen

Natürlich gibt es keine Patentlösung beim Abwägen zwischen Bevölkerungsschutz und individueller Freiheit. Doch mit einer andauernden Pendelbewegung zwischen diesen beiden Polen ist erst recht nichts gewonnen. Wenn wir uns also ernsthaft unsere Demokratie zugutehalten und sie nicht nur als eine Staatsform verstehen, deren Teilnehmer sich bei aufkommenden Stürmen am liebsten ganz schnell in Vater Staats Häuschen verkriechen, dann schlägt spätestens jetzt die Stunde der Parlamente. Wir haben unsere Macht an Abgeordnete delegiert, damit sie ihrer Aufgabe als Vertreter des Volkes gerecht werden. Mit Ministerpräsidentenkonferenzen ist es da nicht getan.

Vor allem aber müssen wir als Bürger dieses Landes eines begreifen: Es ist die oberste Pflicht eines jeden Demokraten, zuallererst Rücksicht aufeinander zu nehmen, bevor man sich einer Regierung in die Arme wirft. Ferner zählen die Bereitschaft zu Eigenverantwortung und der Wille dazu, auch sein eigenes Handeln stets kritisch zu hinterfragen. Wenn Corona in dieser Hinsicht ein bisschen mehr Klarheit, ein bisschen mehr Einsicht, ein bisschen mehr kritischen Geist zutage gefördert haben sollte, wäre diese Pandemie immerhin zu etwas gut gewesen. Machen wir das Beste daraus, noch ist es nicht zu spät. Hoffentlich. 
 

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