Wahlparty in Berlin - Katerstimmung bei den Linken

Auf der zentralen Wahlparty der Linken in Berlin herrschte blankes Entsetzen über die sich abzeichnende schwere Niederlage. Für die Partei bedeutet das Ergebnis eine Zäsur. Sie steht an der Kippe zur Bedeutungslosigkeit und fürchtet um den Wiedereinzug in den Bundestag.

Linken-Parteivorsitzende Janine Wissler, Bundesfraktionsvorsitzender Dietmar Bartsch und Parteivorsitzende Susanne Hennig-Wellsow auf der Wahlparty im Karl-Liebknecht-Haus / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Auch die Standortwahl ist manchmal ein politisches Statement. Die linke Bundes- und Landesprominenz feierte am Wahlabend nicht in einem der Treffpunkte in den Plattenbauvierteln, in denen die frühere Stammklientel der Partei lebt. Sondern in der hippen Szene- und Business-Location „Festsaal Kreuzberg“, unweit der angesagten Clubs in Kreuzberg, Friedrichshain und Treptow. Alles streng Corona-konform, mit 2G-Regel und entsprechenden Eingangskontrollen.

Prognose wie ein Donnerschlag

Aber den Besuchern waren schon vor der ersten Wahlprognose deutliche Zweifel anzumerken, ob es denn überhaupt einen Grund zum Feiern geben würde. Wie groß werden die Verluste im Vergleich zur vorherigen Wahl sein, als die Linke 9,2 Prozent erreichte? Wird die rot-rot-grüne Option wenigstens rechnerisch möglich sein? Und dem einen oder anderen Kandidaten für den Bundestag oder das Berliner Abgeordnetenhaus war die ganz persönliche Sorge um das angestrebte Mandat quasi ins Gesicht geschrieben. Noch vor wenigen Wochen hatte Fraktionschef und Spitzenkandidat Dietmar Bartsch ein zweistelliges Ergebnis als Zielmarke ausgegeben, doch die langsam, aber stetig sinkenden Umfragewerte hatten sich zuletzt bei 6 bis 6,5 Prozent eingependelt.

Doch es sollte noch schlimmer kommen. Bereits vor der ersten offiziellen Prognose machten interne Berichte auf der Grundlage von Wählerbefragungen die Runde, laut denen die Linke mit einem Ergebnis von rund 5 Prozent den Wiedereinzug als Fraktion in den Bundestag verpassen könnte. Als dann um 18 Uhr die ersten Zahlen und Kolonnen auf den Bildschirmen aufflackerten, machte sich blankes Entsetzen breit. Und auch die vergleichsweise soliden Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Berlin und Mecklenburg-Vorpommern, wo man trotz Verlusten noch auf mögliche Regierungsbeteiligungen hoffen kann, sorgten nicht wirklich für Stimmungsaufhellung.

Hilflose Parteiprominenz

Entsprechend hilflos wirkten die Statements und Interviewantworten der Parteiprominenz, die sich allesamt zwischen Erschrecken („Schlag in die Magengrube bekommen“), Durchhalteparolen („dieser Wahlabend wird noch sehr lang“) und surreal anmutender Selbstbeweihräucherung („noch nie so einen engagierten Wahlkampf erlebt, über 1000 neue Mitglieder gewonnen“) bewegten. Das Moderationsteam auf der Bühne bat die Anwesenden fast schon verzweifelt im Stil von Kreuzfahrt-Animatoren, doch bitte alle weiter nach vorne zu kommen „um unsere Geschlossenheit zu zeigen“. Doch längst hatten sich kleinere und größere Grüppchen in den Räumlichkeiten und im Biergarten des Festsaals verteilt und kühlten ihre Wunden mit dem einen oder anderen Bier.

Für viele Kandidaten ist jetzt wohl ein Karrieretraum geplatzt. Doch auch auf Nachfragen wollte sich niemand zu den möglichen Ursachen äußern. „Das alles ist einfach große Sch….“ war eine nicht nur einmal gehörte Antwort. Dabei hatten die chronisch zerstrittenen Flügel und Fraktionen die Schuldfrage für den Fall eines Absturzes bereits quasi prophylaktisch geklärt. Für die einen ist die beharrliche Kritik der populären Ex-Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht an der Hinwendung der Partei zu urbanen Lifestyle- und Identitätsthemen die Wurzel allen Übels. Während die andere Seite das exakte Gegenteil anprangert.

Wer braucht diese Partei noch?

Für die Partei bedeutet das Ergebnis jedenfalls eine Zäsur. Sie steht an der Kippe zur bundespolitischen Bedeutungslosigkeit. Fürs Erste klammerten sich die Wahlparty-Gäste an die vage Hoffnung, entweder die 5-Prozent-Hürde doch noch zu überwinden oder wenigstens drei Direktmandate zu erringen, um dann über die „Direktmandatsklausel“ mit einer Fraktion oder wenigstens einer parlamentarischen Gruppe in den Bundestag einzuziehen.

Wie dem auch sei: Der Frage, ob dieses Land diese Partei noch braucht, kann die Linke nicht mehr ausweichen. Was ist ihr Alleinstellungsmerkmal, wie positioniert sie sich einigermaßen kohärent zu den großen Zukunftsthemen? Doch das alles klärt man nicht auf einer ziemlich verpatzten Wahlparty. Etliche Teilnehmer brachen auf, oftmals zu den bezirklichen Veranstaltungen der Linken in Berlin. Doch auch da dürfte die Stimmung gedämpft sein. Denn als Juniorpartner einer Regierungsbildung von Grünen und SPD wird die Partei wohl nicht mehr gebraucht. Es wird vermutlich noch ziemlich viel getrunken werden am heutigen Abend.

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