Lindner und der Untersuchungsausschuss - Keine Scheu vor dem letzten Schritt

FDP-Chef Christian Lindner fordert einen Untersuchungsausschuss zur Flüchtlingspolitik von Angela Merkel. Dafür braucht er 25 Prozent der Abgeordneten-Stimmen. Er darf dabei nicht vor einem Zweckbündnis mit der AfD zurückschrecken. Zum Zünglein an der Waage kann die CSU werden

Vom Handschlag zum Schulterschluss? Um einen Untersuchungsausschuss durchzusetzen, braucht Lindner die AfD /picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Man kann ihm nicht vorwerfen, dass er seine Sache nicht langfristig angelegt hätte. Die Frage ist nur: hat er sie vom Ende her und bis zu Ende gedacht? 

Als Laudator des Buches „Die Getriebenen“ hatte FDP-Chef Christian Lindner scheinbar nebenbei formuliert, dieses Buch ersetze „fast“ einen Untersuchungsausschuss, da es Merkels „systematische Täuschung der Öffentlichkeit“ enthülle. Was nurmehr wie ein Kompliment an den Autor Robin Alexander aussah, der in seinem Buch akribisch den unfassbaren Verlauf des Regierungshandelns von Angela Merkel in der Flüchtlingskrise 2015/2016 recherchiert und dargelegt hatte, das war in Wahrheit ein Wahlversprechen. Das Buch ist gut, der Autor ein hervorragender Journalist, aber die politische Aufarbeitung mit den Mitteln des Rechtsstaats muss noch folgen. Das war die Botschaft Lindners damals im März 2017.

Die BAMF-Affäre und ihre Folgen 

Bald darauf ließ er wieder, beinahe nebenbei in einem Interview mit der FAZ fallen, dass die Monate des politischen Ausnahmezustands einer Aufarbeitung durch einen Untersuchungsausschuss bedürften. Das war, nebenbei bemerkt, schon der erste valide Hinweis darauf, dass Lindner die FDP da schon eher in der Opposition denn in der Regierung mit Merkel gesehen hatte. 

Nun haben die ungeheuerlichen Vorgänge tausendfach unberechtigt positiv beschiedener Asylanträge bei der Bremer Außenstelle des Bundesamtes für Flüchtlinge und Migration (BAMF) den Ausschlag für einen konkreten Vorstoß der FDP gegeben. Der parlamentarische Geschäftsführer Marco Buschmann, enger Vertrauter Lindners, forderte den Untersuchungsausschuss, der nach Lage der Dinge bald würde ausgeweitet werden müssen. Denn erstens ist Bremen mutmaßlich und womöglich überall. Und zweitens hat alles seinen Ursprung in den Monaten seit September 2015. Drittens hat sich der Bundestag weder vorher noch nachher damit befasst. Merkel regierte zu jener Zeit per Talkshow.

Wo bleibt der Protest von Linken und Grünen? 

Die Empörung über den Bremer Fall, den die etwas exaltierte kommissarische Leiterin Josefa Schmid publik machte, schien groß genug, auch die Schutzreflexe bei anderen Oppositionsfraktionen, namentlich der Linken und den Grünen zu überwinden. Kurzzeitig sah das auch so aus, und wenn bei den Linken Sahra Wagenknecht oder ihr Mann Oskar Lafontaine das alleinige Sagen hätten, dann würde das auch gehen. Schnell aber hat sich bei den Grünen wieder der moralische Imperativ über die Aufklärung erhoben, und bei der Linken gab es keinen Moment eine echte Aussicht darauf, dass diese Partei in dieser Frage vom vornehmsten Recht der Opposition Gebrauch machen würde. Das Ehepaar Lafontaine/Wagenknecht bleibt da nurmehr ein kleines Eiland der politischen Vernunft.

Deshalb steht Lindner nun vor zwei Fragen, die sich schon stellten, als er seine erste Bemerkung zu einem Untersuchungsausschuss bei der Buchvorstellung vor mehr als einem Jahr fallen ließ. Erstens: Wenn Merkel die Öffentlichkeit systematisch getäuscht hat in seinen Augen, dann muss das also auch systematisch vor den Augen der Öffentlichkeit aufgearbeitet werden. Zweitens: Gehe ich dieses in meinen Augen notwendige Projekt zur Not auch zusammen mit der AfD an, um die erforderlichen 25 Prozent im Bundestag für die Einrichtung eines solchen parlamentarischen Gerichtsverfahren zusammenzukriegen? (Was auch noch nicht reichte, wenn Gründe und Linke sich verweigern, aber die Hoffnung auf die ein oder andere Stimme aus deren Lager und/oder gerade den Reihen der CSU ist nicht unberechtigt. Horst Seehofer hat schon signalisiert, dass er einen solchen Ausschuss begrüßen würde).

Lindner muss sich ein Zweckbündnis mit der AfD trauen

Die AfD hat zeitgleich Klage wegen einer angeblichen „Herrschaft des Unrechts“ in der besagten Phase beim Bundesverfassungsgericht (BVG)  eingereicht – eine Aktion, die sie sich hätte sparen können. Der Europäische  Gerichtshof hat dem BVG diese Entscheidung schon 2017 abgenommen, als er Merkels Flüchtlingspolitik in einem Grundsatzurteil indirekt für rechtmäßig erklärte

In dieser bedeutenden Angelegenheit ein Zweckbündnis mit der AfD eingehen, das muss sich Lindner jetzt trauen. Sonst steht er auf verlorenem Posten und hätte die Operation nicht vom Ende her gedacht. Seine Scheu vor diesem Schritt ist verständlich. Er tut sonst aus guten Gründen alles, um sich von der AfD, ihrem Ton und ihrer Gesinnung abzugrenzen. Aber in diesem Punkt haben beide ein gemeinsames Ziel. Vielleicht hilft ihm dabei als Vorsitzender einer Freiheitspartei das „Freiheitsbüchlein“ von Jean Paul. Der deutsche Schriftsteller der Romantik schreibt im elften Abschnitt unter der Überschrift „Zensur der Hof-Zensuren“, dass Zensurfreunde fälschlicherweise die Staatsperson des Fürsten gleichgesetzten mit seinem Handeln. Und dass daraus Zensurfreunde falsche Schlüsse des Schweigens über dessen Handeln zögen „und jede Untersuchung zu einer Majestäts-Injurie verkehren."

Der Untersuchungsausschuss ist ein politisches Gebot 

Weder aber gibt es in einer parlamentarischen  Demokratie eine Majestät, noch ist ein parlamentarischer Untersuchungsausschuss zu Merkels fatalem Solo in der Flüchtlingskrise eine Majestätsbeleidigung. Er ist vielmehr ein politisches Gebot. Um noch mehr Licht in die Angelegenheit zu bringen und das darüber gespaltene Land wieder zu befrieden. Um drei Jahre hilfloser Opposition vor allem außerhalb des Parlaments enden zu lassen.

Und, ja: Man kann sich für ein großes und richtiges Ziel mit den Falschen punktuell zusammentun, ohne sich mit ihnen gemein zu machen. Das wäre die richtige liberale Lehre Lindners aus Jean Pauls Lehrbuch der geistigen und politischen Freiheit von 1804.      

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