Der Mord von Limburg - Femizid statt Familiendrama

In Limburg hat ein Mann seine Ehefrau mit der Axt erschlagen, weil sie ihn verlassen hatte. Polizei und Medien sprechen von einer „Beziehungstat”. Dabei gibt es längst die Forderung, Mord aus Eifersucht als eigenen Straftatbestand ins Gesetzbuch aufzunehmen. Ein Plädoyer

Tatort Limburg: Warum musste Sana A. sterben? / picture alliance
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Es waren Bilder, die selbst hartgesottene  Ermittler schockierten. Augenzeugen haben sie mit dem Handy aufgenommen und im Internet hochgeladen. Ein Mann rast mit einem schwarzen Audi auf eine Frau zu. Er schleift sie  über  30 Meter weit mit  – über die Straße, über einen Parkplatz, durch ein Metalltor, das zufällig offen steht. Der Wagen kracht in ein denkmalgeschütztes Backsteingebäude. Der Fahrer steigt aus, und holt eine Axt aus dem Kofferraum. Er zertrümmert der Frau mit fünf Hieben den Schädel. Der Mann ist nicht irgendein Mann. Es ist der Noch-Ehemann der Frau.

Für die Polizei in Limburg stand das Tatmotiv deshalb schnell fest. Sie sprach von einer „Beziehungstat“. Medien haben diese Lesart übernommen. Von einer „Familientragödie“ oder einem „Eifersuchtssdrama” ist in solchen Fällen die Rede. Phrasen, die suggerieren, die Täter-Opfer-Beziehung sei in Wirklichkeit eine gleichberechtigte gewesen – und die Frau auch selbst mit Schuld an ihrem gewaltsamen Tod. Angesichts der Brutalität, mit der der Täter in Limburg Opfer getötet hat, wirken solche Begriffe  beinahe beschönigend. Menschen, die das Video gesehen haben, sagen, der Mann habe die Frau „beinahe enthauptet“.

Aus dem Gefängnis der Ehe ausgebrochen

Gegen den Täter von Limburg hat das Amtsgericht Limburg inzwischen Haftbefehl wegen Mordes erlassen. Seine  Frau ist Opfer einer Gewalttat geworden, weil sie eine Frau ist. Weil sie es gewagt hat, aus einer Ehe auszubrechen, von der Bekannte des Opfers berichten, sie sei ein Gefängnis gewesen. Deshalb soll die Frau mit den beiden gemeinsamen Kindern vor dem Mann in ein Frauenhaus geflüchtet sein, wo er ihr aufgelauert habe.

In Mexiko und anderen lateinamerikanischen Ländern gibt es für solche Morde schon seit einigen Jahren einen eigenen Straftatbestand: Femizid. Dieser Begriff drückt aus, dass Gewalt in einer Beziehung keine Privatsache ist. Das Muster dieser so genannten „Beziehungstaten“ ist oft dasselbe. Eine Frau verlässt ihren Mann. Der rächt sich für diese narzisstische Kränkung. In der islamischen Kultur spricht man in diesem Fall von einem „Ehrenmord.“  

Gewalt in der Familie gilt als Tabu

Um einen solchen handele es sich auch im Fall des Täters von Limburg, sagt die bekannte Anwältin und Frauenrechtlerin Seyran Ates. Dass der Täter, Imad A., einen deutschen Pass besitzen soll, dass seine Vorfahren aus Tunesien stammen, werde bei der Gerichtsverhandlung keine Rolle spielen. Auf mildernde Umstände oder einen kulturellen „Bonus“ könne der Mann nicht hoffen, sagt sie. Das sei bis 2005 noch anders gewesen. Der so genannte Ehrenmord an Hatun Sürücü, einer 23-jährigen Deutsch-Türkin, die in Berlin auf offener Straße von ihrem Bruder erschossen wurde, habe zu einem Umdenken geführt.

Die Urteile zu Ehrenmorden fielen jetzt strenger aus, weil Gerichte  eher niedrige Beweggründe als Mordmotiv annehmen, sagt die Vorsitzende der Strafrechtskommission des Deutschen Juristinnenbundes, Leonie Steinl. Mehr als zwei Drittel der Tatverdächtigen sind aber Deutsche. Dass auch sie Frauen schlagen, quälen oder töten, gilt immer noch als Tabu. „Es besteht eine Schieflage bei der Bereitschaft, Gewalt gegen Frauen zu erkennen. Sie wird gesellschaftlich viel eher als Problem anerkannt, wenn sie sich vermeintlich exklusiv bei religiösen oder ethnischen Minderheiten verorten lässt“, sagt Steinl. Eine vergleichbare patriarchale Besitzkonstruktion werde anders gewertet.

Totschlag statt Mord

Das spiegelt sich auch in den Gerichtsurteilen wieder. Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofs von 2008 steht das Mordmerkmal der niedrigen Beweggründe in Zweifel, „wenn die Trennung von dem Tatopfer ausgeht und der Angeklagte durch die Tat sich dessen beraubt, was er eigentlich nicht verlieren will.“ Dann liege kein Mord vor, sondern Totschlag. Und das bedeutet: Statt lebenslänglich kommt der Täter im günstigsten Fall nur fünf Jahre Gefängnis.

Ein Dilemma, sagen Frauenrechtlerinnen mit Verweis auf eine Statistik des Bundeskriminalamtes. Danach wird in Deutschland alle zwei bis drei Tage  eine Frau von ihrem Partner oder Ex-Partner getötet. Täglich werden 380 Menschen Opfer von partnerschaftlicher Gewalt, davon 80 Prozent Frauen. Wie groß das Problem in Deutschland ist, zeigt eine Europastudie aus dem Jahr 2016 über die Zahl der vorsätzlich getöteten Frauen pro 100.000 Einwohner: Dort liegt Deutschland auf Platz sechs – hinter Lettland, Litauen, Ungarn, Estland und Zypern.

Gesetzgeber lässt die Opfer allein

Bekannt werden in der Regel aber nur solche Taten, über die die Medien berichten – auch deshalb, weil sie wie der Mord in Limburg im öffentlichen Raum stattgefunden haben. Dass amselben Tag im brandenburgischen Teltow ein deutscher Mitarbeiter des Bundestags seine von ihm getrennt lebende Ehefrau vor der Haustür ihres Eigenheims erstochen hat, obwohl die Frau nach zahlreichen Übergriffen ein Näherungsverbot erwirkt hatte, über dieses „Familiendrama“ wird zwar auch berichtet. Das Verbrechen wird aber nicht von der AfD instrumentalisiert.

Wenn es um Gewalt gegen Frauen geht, hinkt die Gesetzgebung der Realität hinterher. Vergewaltigung in der Ehe ist erst seit 1999 ein eigener Straftatbestand. Dass ein „Nein“ auch ein „Nein“ bedeuten muss, regelt das Sexualststrafrecht seit 2017. Doch wenn es um die schlimmste Form von Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder geht, lässt der Gesetzgeber die Frauen allein.

Bloße Absichtserklärungen

Auf eine Anfrage der Linken im Mai dieses Jahres erklärten die rechtspolitischen Sprecher der Bundestagsfraktionen, das bisherige Strafrecht müsse nicht verschärft werden. Es reiche, wenn man es konsequent anwende. Aber mit bloßen Absichtserklärungen ist den Opfern nicht geholfen. Nicht jede Tötung einer Frau darf zwar als Mord verurteilt werden. Aber wenn ein Täter aus Eifersucht tötet, darf die Annahme eines Mordes aus niedrigen Beweggründen nicht mehr ausgeschlossen werden. Solche Morde richtig zu benennen, ist der erste Schritt, um sie bekämpfen zu können. Das Bewusstsein für Gewalt gegen Frauen fängt mit der Sprache an.

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