Landtagswahl in NRW - Die Grünen sind die Königsmacher

Mit knapp 18 Millionen Einwohnern gilt jede Wahl in Nordrhein-Westfalen als so etwas wie eine kleine Bundestagswahl. Immerhin fast ein Viertel aller Wahlberechtigten lebt dort. Hinzu kommt die Tatsache, dass Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) aus NRW stammt. Das Wahlergebnis vom morgigen Sonntag wird daher unweigerlich bundespolitische Bedeutung entfalten.

Mona Neubaur, Spitzenkandidatin von Bündnis 90/Die Grünen in Nordrhein-Westfalen, im Gespräch mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Hendrik Wüst (CDU), der aktuelle Ministerpräsident von NRW, hat es nicht leicht. Erst seit dem 27. Oktober 2021 hat er sein Amt inne. Das war wenig Zeit, um sich in seinem Bundesland als Landesvater zu etablieren und einen gehörigen Amtsbonus zu erarbeiten. Hinzu kommt die Tatsache, dass ihm die Niederlage seines Amtsvorgängers Armin Laschet (CDU) bei der letzten Bundestagswahl lange wie ein Stück Blei an den Füßen hing. Bei Amtsantritt erreichte seine Partei in den Umfragen nur noch 20 Prozent der Stimmen.

Gemessen daran sind die aktuellen Umfragewerte nahezu fulminant. In nur knapp einem halben Jahr ist es Wüst gelungen, seine Partei wieder auf Zustimmungswerte von knapp über 30 Prozent zu heben. Sie liegen damit in der Nähe jenes Wahlergebnisses von 33,0 Prozent aus dem Jahre 2017, das der CDU die Übernahme der Regierungsgeschäfte in einer Koalition mit der FDP ermöglichte. Damals wurde die Landes-CDU von hohen Zustimmungswerten der Bundes-CDU noch mitgezogen. Heute ist es eher umgekehrt.

Sicher ist es allerdings nicht, dass Wüst weitermachen kann. Und das liegt zunächst an der SPD. Dümpelte sie im Sommer 2021 in Umfragen bei noch weniger als 20 Prozent herum, meldete sie sich mit der Bundestagswahl in NRW ebenfalls zurück. Schlagartig platzierte sie sich nach dem Wahlsieg von Olaf Scholz (SPD) bei Umfragen wieder in der Nähe von 30 Prozent. Glaubt man SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert, wird es am Sonntag daher „richtig, richtig, richtig eng“.

Keine Wechselstimmung

Nach einer Wahlniederlage für die CDU sieht es trotz der Aufholjagd der SPD aber nicht aus. Noch Mitte April lagen CDU und SPD in den Umfragen gleichauf. In den letzten Wochen vor der Wahl ist die Schere aber wieder aufgegangen – zulasten der SPD. Im direkten Beliebtheitsvergleich beider Spitzenkandidaten liegt Wüst stabil rund 5 Prozentpunkte vor seinem Herausforderer. 40 Prozent der Nordrhein-Westfalen wünschen sich, dass er Ministerpräsident bleibt.  Es riecht nicht unbedingt nach Wechselstimmung.

Das dürfte vor allem daran liegen, dass sich die Kandidaten gar nicht so unähnlich sind. Wüsts Herausforderer Thomas Kutschaty (SPD) hat wie der amtierende Ministerpräsident Jura studiert und führt wie er erst seit letztem Jahr seine Partei. Und wie Wüst verfügt er bereits über Regierungserfahrung. Sieben Jahre lang war er Justizminister unter Hannelore Kraft.

Wüst ist der Igel

Aber vor allem inhaltlich unterscheidet die beiden Kandidaten zu wenig, um eine echte Wechselstimmung erzeugen zu können. Das zeigte vor wenigen Tagen auch ein durchweg unspektakuläres TV-Duell zwischen Wüst und Kutschaty.

Selbst beim Lieblingsthema des Herausforderers, der Bildungspolitik, machte der Ministerpräsident letztlich die bessere Figur. Eigentlich sollte es das Mobilisierungsthema der SPD schlechthin in diesem Wahlkampf werden, das vom klassischen Bildungsaufsteiger Kutschaty hätte durchaus glaubwürdig verkörpert werden können. Aber daraus wurde nichts. Egal, worüber im Spitzenduell disputiert wurde: ob über mehr Lehrerstellen, die Stärkung von Schulen in sozialen Brennpunkten oder die Anhebung der Besoldung für Grundschullehrer – immer ging es nach dem Märchen „Der Hase und der Igel“ aus. Und Wüst war der Igel.

Auf die fast schon verzweifelte Frage der Moderatorin, was sie denn bei all der Übereinstimmung überhaupt noch voneinander unterschiede, machte Wüst mit seiner Antwort den entscheidenden Punkt: „Das kann ich Ihnen sagen: In den letzten fünf Jahren haben wir das alles gemacht, das ist der Unterschied.“ Die SPD-geführte Vorgängerregierung hätte hingegen Lehrerstellen gekürzt und nicht einmal den Unterrichtsausfall in den Schulen erfasst. Dieser Regierung gehörte auch Thomas Kutschaty an. Und er widersprach mit keinem Wort.

Auf die Grünen kommt es an

Obwohl also alles nach einem Wahlsieg der CDU aussieht, kommt es darauf nicht so sehr an. War noch vor fünf Jahren die FDP in der Rolle des Königsmachers, dürften es in NRW ab morgen die Grünen sein. Mit 15 bis 16 Prozent stehen sie in den Umfragen exzellent da und können sich wahrscheinlich aussuchen, ob sie ein schwarz-grünes Bündnis oder eine Ampel-Koalition auf den Weg bringen wollen.

Kühnert hingegen trommelt wie alle Sozialdemokraten unermüdlich für eine dritte Option: „Rot-grün ist möglich!“ Das ist zwar rechnerisch gesehen nicht völlig ausgeschlossen, aber auch eben nicht sonderlich wahrscheinlich. Vor allem dann nicht, wenn Kutschaty trotz erfolgreicher Aufholjagd mit einem voraussichtlich historisch schlechten Wahlergebnis und als Zweitplatzierter durchs Ziel ginge. Würden die Grünen unter diesen Umständen dennoch eine rot-grüne Regierung aus der Taufe haben, schadeten sie sich selbst – und zwar mit bundesweiter Ausstrahlung.

Auch wenn die SPD also davon träumt, die Union gemeinsam mit den Grünen und gegebenenfalls der FDP auf die Oppositionsbank zu schicken, spricht strategisch gesehen eher alles für eine Koalition aus den voraussichtlichen Wahlsiegern CDU und Grüne. Die Grünen würden sich unnötig selbst schwächen, wenn sie sich, wie von der SPD erhofft, aus ideologischen Gründen an sie ketteten. Erst die strikte koalitionäre Beinfreiheit gegenüber beiden großen Parteien eröffnet ihnen in Verhandlungen die Möglichkeit, aus ihrem Wahlergebnis politisch mehr zu machen, als es arithmetisch eigentlich hergibt.

Klimawandel und Arbeitsplätze

Kein Wunder also, dass Ministerpräsident Hendrik Wüst im TV-Duell wenige Tage vor der Wahl eine klare Ansage machte. „Bei allem was wir tun: Klimawandel und Arbeitsplätze müssen zusammenpassen, darum geht’s“, fasste er die Überschrift für eine von ihm angeführte Landesregierung in den nächsten fünf Jahren zusammen. Man darf das durchaus als Einladung zu Gesprächen an einen künftigen Koalitionspartner verstehen.

Kommt es am Ende so weit, steht der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz ganz unverschuldet wie der geborene Sieger da – und Bundeskanzler Olaf Scholz wäre empfindlich geschwächt. Es hätten ausgerechnet jene beiden politischen Kräfte eine Regierung gebildet, die ihn auch in Berlin seit Wochen vor sich her treiben.

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