Die Linke im Saarland - „Lafontaine hat mehr Dreck am Stecken als ich“

Vor der Listenaufstellung für den Bundestag kracht es in der saarländischen Linken: Der Landesvorsitzende Thomas Lutze fordert Oskar Lafontaine zum Rücktritt auf. Gegen Lutze wird derzeit wegen des Verdachts auf Urkundenfälschung ermittelt. Im Interview wirft er Lafontaine eine Schmutzkampagne vor.

Der Fraktionsvorsitzende Oskar Lafontaine während der Plenarsitzung des saarländischen Landtags / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ulrich Thiele ist Politik-Redakteur bei Business Insider Deutschland. Auf Twitter ist er als @ul_thi zu finden. Threema-ID: 82PEBDW9

So erreichen Sie Ulrich Thiele:

Anzeige

Thomas Lutze ist seit 2009 Mitglied des Deutschen Bundestages. Seit September 2019 ist er Vorsitzender des Landesverbandes der Linken im Saarland. Früher waren er und Oskar Lafontaine Verbündete, dann kam es zum Bruch. Die Schlammschlacht schwelt seit 2013, im Jahr 2017 eskalierte sie erstmals. Bei der Landesversammlung am Sonntag tritt der von Lafontaine unterstützte 27-jährige Landtagsabgeordnete Dennis Lander gegen Lutze an.

Herr Lutze, was mögen Sie an Oskar Lafontaine?
Seine fachliche Kompetenz, sein Durchsetzungsvermögen und seine Gradlinigkeit. Egal, was man alles an ihm kritisieren kann, man weiß immer klar, wofür er steht.

Trotzdem wollen Sie ihn loswerden. Warum?
Weil er in der Partei schweren Schaden anrichtet. Er versucht seit Monaten, meine Kandidatur zum Bundestag unter fadenscheinigen Anschuldigungen zu verhindern. Das würde keine andere Partei dulden, und selbst in einem Gartenbauverein wäre so ein Verhalten undenkbar. Das macht Lafontaine nicht immer selbst, oft sind es Vertraute aus seinem Umfeld wie Astrid Schramm, seine Stellvertreterin im Landtag, die immer wieder unbelegte Vorwürfe gegen mich an die Presse weitergibt.

Fällt der Vorwurf nicht auf Sie zurück? Schaden Sie mit einer Rücktrittsforderung wenige Monate vor der Bundestagswahl der Partei nicht selbst?
Natürlich schadet das, genauso, wie es Oskar Lafontaines Truppe beabsichtigt. Sie wollen unter größtmöglichem Schaden erreichen, dass ich nicht mehr in den Bundestag komme. Entweder, indem ich gar nicht mehr aufgestellt werde. Oder, für den Fall, dass ich aufgestellt werde, indem die Partei so schlecht abschneidet, dass es für ein Mandat im Saarland nicht reicht. Uns als Landesvorstand kann man maximal den Vorwurf machen, dass wir den Rücktritt nicht früher gefordert haben.

Das hätte ich jetzt auch gesagt. Der Konflikt schwelt bereits seit Jahren, warum kommen Sie ausgerechnet jetzt zur denkbar ungünstigsten Zeit mit der Rücktrittsforderung?
Den Schuh muss ich mir anziehen. Wegen der Verdienste, die Oskar Lafontaine für die Linke unbestritten geleistet hat, haben wir als Landesvorstand bisher davon abgesehen. Aber nun war kein anderer Zugang mehr möglich. Ich kann die Zeit nicht zurückdrehen, und abzuwarten, bis die Bundestagswahl vorbei ist, wäre auch keine Option gewesen.

Warum nicht? Es hätte Ihrer Partei weitere Querelen im Wahlkampf erspart.
Der Zeitpunkt war jetzt sicherlich sehr ungünstig. Der Hintergrund ist auch der, dass der Wahlkampf nach der Bundestagswahl im Saarland nicht vorbei ist, weil im März 2022 Landtagswahlen sind.

Die Gegner Ihrer Partei haben vermutlich schon das Popcorn bereitgestellt.
Aus Bundessicht ist der Konflikt nur eine Provinzposse, aber kurz vor den Bundestagswahlen hat er natürlich bundesweite Auswirkungen. Es gibt bei Bundestagswahlen ja nicht nur Stammwähler, sondern auch viele Wechselwähler, und es wird schwer, die unter diesen Umständen von uns zu überzeugen.

Die saarländische Linke ist relativ stark, was maßgeblich Lafontaine zugerechnet wird. Sehen Sie nicht die Gefahr, dass es ohne ihn mit der Zweistelligkeit vorbei ist?
Es ist unbestritten, dass Oskar Lafontaine ein Zugpferd ist. Aber auch mit ihm sind die Ergebnisse kontinuierlich zurückgegangen: 2009 hatten wir noch mehr als 21 Prozent, 2017 dann nur noch 12,8 Prozent. Einen Automatismus, dass wir ohne ihn die Hälfte der Wähler verlieren, sehe ich deswegen nicht.

Die saarländische Linke gehört zu den wenigen Landesverbänden, die nicht über Delegiertenkonferenzen ihre Listen aufstellt, sondern über Einberufung aller Mitglieder. Ihnen wird vorgeworfen, die Mitgliederkartei zu Ihren Gunsten manipuliert zu haben. Gegen Sie wird nun wegen das Anfangsverdachts auf Urkundenfälschung ermittelt. Was ist da dran?
Nichts. Schon vor der Bundestagswahl 2013 hat jemand in der Saarbrücker Zeitung behauptet, es hätte braune Umschläge gegeben. 2017 kam der Vorwurf wieder auf, das war jedes Mal eine Kampagne, um mich öffentlich madig zu machen.

Thomas Lutze / dpa

Die Vorwürfe, dass Sie die Mitgliederkartei manipuliert haben sollen, sind ziemlich laut.
Habe ich nicht. Eine Hinterbänklerin aus dem Landtag, Frau Schramm, hat mich angezeigt. Die Staatsanwaltschaft hat etwa 20 Punkte von ihr vorgetragen bekommen, 19 davon wurden bereits in den Vorermittlungen fallengelassen. Bei dem einen Punkt gilt zudem das Prinzip des Rechtsstaats: Jemand gilt so lange als unschuldig, bis das Gegenteil erwiesen ist. Ich bin in der DDR aufgewachsen, die erwiesenermaßen kein Rechtsstaat war, deswegen bestehe ich auf diesen Grundsatz – in Teilen der Landtagsfraktion der Linken scheint er nicht zu gelten.

In dem einen Punkt der Urkundenfälschung besteht immerhin ein Anfangsverdacht.
Es geht um eine Mitgliederliste, drei Din-A4 Seiten, auf der angeblich mehrere Unterschriften gefälscht gewesen sein sollen. Ich werde beschuldigt, diese Fälschungen gemacht zu haben. Ich habe alle meine Unterlagen der Staatsanwaltschaft zur Verfügung gestellt und mich für eine Aussage bei der Polizei bereit erklärt. Das hat alles unmittelbar nach Aufhebung der Immunität stattgefunden, die Ermittlungsbehörde hat auch eine Schriftprobe anfertigen lassen. Ich habe nichts gefälscht und ich trage dazu bei, dass alles aufgeklärt wird.

Es geht offenbar nicht nur um „angebliche“ Fälschungen. Der Bundesvorstand soll zweimal festgestellt haben, dass die Mitgliederkartei im Saarland falsch und manipuliert ist. Wie erklären Sie als Landesvorsitzender sich das?
Der Bundesvorstand hat keine Fälschung festgestellt. Er hat in einem ganz anderen Zusammenhang Vorwürfe erhoben, weil bei der Bereinigung von Mitgliederlisten, zu der wir aufgefordert wurden, ein relativ hoher Anteil an Personen festgestellt wurde, die keinen Beitrag bezahlt haben. Als Ergebnis kam heraus, dass zahlreiche Personen, die teilweise über Jahre keine Beiträge zahlen, abgemahnt worden waren. Es gab auch zwölf Personen, wie der Bundesvorstand reklamierte, bei denen angeblich das Verfahren falsch gemacht wurde. Bei einer Person hatten wir tatsächlich festgestellt, dass eine Frist nicht eingehalten wurde. Bei 1800 Mitgliedern ist diese Fehlerquote absolut im Limit.

Wegen der Querelen hat die Bundespartei zu einem Wechsel zum Delegiertenprinzip geraten. Warum haben Sie das abgelehnt?
Zu dem Delegiertenprinzip muss man ganz klar sagen, dass das Oskar Lafontaines Idee war, bei der Bundestagswahl 2009. Weil er eine volle Halle wollte, damit alle jubeln und es die entsprechenden Bilder gibt. Als 2013 das Ergebnis erstmals nicht so war, wie er sich das gewünscht hat, fand er das Wahlverfahren plötzlich falsch. Ich bin auch davon überzeugt, dass das Delegiertensystem mehr Vorteile als Nachteile hat. Wir haben trotzdem als Landesverband wegen der Pandemie von einer Umstellung des Prinzips abgesehen. Wir hätten in sechs Kreisverbänden zu Vollversammlungen einladen müssen, um die Delegierten zu wählen, damit man anschließend 150 Delegierte für einen Kreislandesparteitag hat. Das ist ein viel größerer Aufwand, und die Infektionsgefahr, die vor ein paar Wochen noch stärker bestand, wäre bei sechs Versammlungen in Kreisverbänden genauso groß gewesen wie auf einer Vollmitgliederversammlung.

Mit einer Zustimmung zum Delegiertenprinzip hätten Sie den Vorwürfen gegen Sie entgegenwirken können. Jetzt wirkt es, als wollten sie aus unlauteren Motiven am Mitgliederprinzip festhalten.
Die Forderung nach einer Umstellung aufs Delegiertenprinzip kam in der zweiten Januarwoche. Damals ging es mit der dritten Pandemie-Welle gerade richtig los. Ich hätte in der Hauptpandemiezeit mit sechs Kreisverbänden Vollversammlungen einberufen müssen.

Das Lager um Lafontaine wirft Ihnen vor, sich mit schmutzigen Mitteln die Machtposition in der Partei sichern zu wollen. Sie sollen bei der Listenaufstellung zur Bundestagswahl 2017 parteifremde Personen angeworben und bezahlt haben, um Sie zu wählen. Ein ehemaliger Mitarbeiter von Ihnen und angebliche Beobachter haben schwere Vorwürfe erhoben.
Eine falsche Behauptung permanent zu wiederholen, macht sie nicht richtig. Es gab natürlich Mitgliederwerbung, und es gab auch einen Mitarbeiter, den ich mittlerweile entlassen habe, der das für meine Begriffe auf ziemlich zweifelhafte Art und Weise gemacht hat. Wie gesagt: Wir leben in einem Rechtsstaat, ich habe mit offenen Karten gespielt, und die Beweise für die Vorwürfe wurden nie auf den Tisch gelegt. Es werden nur Pressemitteilungen verschickt mit Behauptungen, die nicht der Realität entsprechen und die nicht bewiesen werden können.

Die Landesliste von 2017 wurde letztlich juristisch akzeptiert, die Landeswahlleiterin sprach trotzdem von bestehenden Zweifeln. Damals wurde eine Wahlwiederholung angeboten, um rechtlich auf Nummer sicher zu gehen; Sie wollten das aber nicht. Warum nicht?
Als die Landeswahlleiterin diese Aussagen gemacht hat, war die Abgabefrist für die Listen zur Bundestagswahl schon abgelaufen. Wir hatten ungefähr 10 Tage vor Ablauf der Frist die Liste eingereicht. Beim Einreichen meinte ein Mitarbeiter der Landeswahlleiterin, es wäre besser, die Wahl zu wiederholen. Daraufhin habe ich entgegnet, dass die Einberufung und Durchführung einer Wahl in dieser Zeit vollkommen aussichtslos ist. Man braucht dafür mindestens 14 Tage Vorlaufzeit.

Nach außen sieht es so aus, dass Sie mehrere Gelegenheiten, Vorwürfe zu entkräften, nicht wahrgenommen haben, was Ihnen Ihre Gegner als verdächtiges Verhalten auslegen.
Es gibt in der Landtagsfraktion ein paar hochbezahlte Kräfte, die nichts Besseres zu tun haben, als nach irgendwelchen Vorwürfen zu suchen. Wenn die irgendetwas in der Hand hätten, was Hand und Fuß hat – und die hatten ja auch juristische Beratung, die mit Steuergeldern bezahlt wurde –, hätte das über diesen langen Zeitraum bewiesen werden können müssen. Meine biografische Weste ist im Gegenteil zu Lafontaines weiß. Er hat mehr Dreck am Stecken als ich. Seine Kampagne wirkt aber zum Teil, denn ich werde von Menschen, die ich gar nicht kenne, darauf angesprochen – das ist rufschädigend, und nach der Bundestagswahl werde ich mir als Konsequenz dessen überlegen, ob ich juristisch dagegen vorgehe.

Lafontaines Lager wirft Ihnen auch vor, abseits des Parteiprogramms eine Waffenlieferung an die kurdischen Peschmerga gefordert zu haben. Wie kam ein konsequenter Anti-Militarist wie Sie dazu?
Die Lafontaine-Vertraute Sevim Dagdelen hat das auch gefordert, ihr macht man das komischerweise nicht zum Vorwurf. Ich bin konsequent, was Auslandseinsätze und Waffenexporte angeht. Aber es gibt ein Selbstverteidigungsrecht, wenn Menschen militärisch angegriffen werden. Wenn man das verurteilt, muss man auch verurteilen, dass die USA 1941 Waffen an die Rote Armee geliefert haben, um Moskau gegen die Nazis verteidigen zu können. Wir sind keine Einheitspartei mehr, wer glaubt, dass jeder dieselbe Meinung haben und dasselbe denken muss, hat sich in der Zeit geirrt.

Ihre inhaltlichen Anliegen gehen in der ganzen Schlammschlacht völlig unter, ärgert Sie das nicht?
Das ist deswegen ärgerlich, weil wir als Landesvorstand noch im August letzten Jahres eine Erklärung abgelegt haben, mit welchen Themen wir in den Vorwahlkampf gehen wollen. Wenn Lafontaine Konflikte künstlich hochjazzt, die ausschließlich auf der persönlichen Ebene laufen, fragt aber niemand mehr nach Inhalten. In der Partei ist bekannt, dass man mit Personalquerelen eine große Chance hat, von den Medien angesprochen zu werden. Das ist kein Vorwurf an die Presse, aber in diesem Fall ist das von Teilen der Landtagsfraktion schamlos ausgenutzt worden.

Die Fragen stellte Ulrich Thiele.

Anzeige