Rundfunkbeitrag - Wollt ihr den totalen Markt?

Die Schweizer hatten ihre Öffentlich-Rechtlichen gestärkt. Nun erklärt das Bundesverfassungsgericht den Rundfunkbeitrag für verfassungskonform. Gut so, denn ARD und ZDF sind eine Säule der Demokratie. Wer sie als totalitären Staatsfunk diffamiert und abschaffen will, schadet ihr

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Ein Ende der Rundfunkbeiträge würde bedeuten, dass sich in Zukunft Lobbys über ARD und ZDF hermachen dürfen / picture alliance
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Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Das Schweizer Volk hat verteidigt, was ihm gehört: die Schweizerische Radio- und Fernsehgesellschaft (SRG). Ihr sollten die Mittel gestrichen werden, eine Gebühr, die jedermann entrichtet. Die Mehrheit der Stimmbürger hat Anfang März entschieden: Jedermann soll sie weiterhin entrichten. Das Volksbegehren unter dem Begriff „No Billag“, der – analog zum deutschen Beitragsservice (früher GEZ) – die Firma meint, die den SRG-Beitrag kassiert, ist ein Lehrstück, worum es der äußeren ökonomischen Rechten geht, die sich gern auch mit dem Etikett „libertär“ schmückt.

In „libertär“ schwingt Freiheit mit, es meint den Markt, der diese Freiheit garantiert. In Wahrheit geht es um etwas ganz anderes, um etwas, das sich mit Freiheit äußerst schlecht verträgt: um Macht! Dem Staat soll Macht entwunden und privaten Akteuren zugeschanzt werden – in der Schweiz eben jüngst, gottlob erfolglos, die öffentlich-rechtlich geregelte Macht über Radio und Fernsehen. Aus was besteht solche Macht? Aus einem Journalismus, der weder durch Profitstreben noch politische Doktrin beeinträchtigt wird.

Was die SRG für die drei Sprachkulturen der Schweiz leistet

Die SRG, ein Verein, der jedermann offensteht, ist zwar staatlich konzessioniert und entsprechend alimentiert, handelt aber journalistisch völlig unabhängig – wie sein Auftrag staatstragend lautet: als „Service public“, als öffentliche Dienstleistung. In der Tat gehört die SRG zu den Säulen des Staates Schweiz: Sie versorgt die drei Sprachkulturen mit einem jeweils gleich starken Radio- und Fernseh­angebot. Für die SRG konstituiert sich die Schweiz also nicht durch eine programmlich bevorteilte große Deutschschweiz, eine kleinere Suisse romande und ein kleines Ticino mit entsprechend reduziertem Radio- und TV-Angebot. Nein, die Sendeanstalt des Schweizer Volkes betrachtet die Sprachkulturen als gleichrangig: eins zu eins zu eins.

So aber versteht sich die Schweiz, so lautet ihr Staatsverständnis: Sie existiert nur in Form ihrer drei Sprachkulturen. Wer würde, wer könnte, wer wollte garantieren, was die SRG für die Schweiz leistet? Der Markt? Bereits heute unterstützt die SRG mit über 60 Millionen Franken jährlich 36 Privatsender. Und strahlt private TV-Sendungen aus, wie beispielsweise „NZZ Standpunkte“, ein Format, das auch vom öffentlich-rechtlichen Sender 3sat übernommen wird.

Neoliberale Marktgläubigkeit der ökonomisch Rechten

Diese Tatsache hat den NZZ-Chefredakteur nicht davon abgehalten, die SRG als „Staatsfunk“ zu diffamieren und mit dem vernichtenden Adjektiv „totalitär“ in Verbindung zu bringen. Eric Gujer, sonst ein vorzüglicher Analytiker, räsonierte in seiner Suada als gläubiger Neoliberaler, was seinem Denkvermögen erkennbar abträglich war. Glauben ist nun mal nicht Denken – und oft genug das Gegenteil davon.

Die Gegner der SRG sollen ihr Volksbegehren beim Bier ausgeheckt haben. War es nichts als eine Bieridee? Mit Sicherheit war es die Idee von Leuten, deren marktradikaler Glaubensinhalt auf einem Bierdeckel Platz findet, was sie nicht harmlos macht, ganz im Gegenteil. Diese neurechten jungen Männer, eine forsche Bürschchenschaft, pflegen den Hass auf den Staat. Wer ihre Aversion nicht teilt, ist für sie ein Häretiker, verrät er doch die allein selig machende Religion: den totalen Markt. „No Billag“ war nichts anderes als die geifernd gebrüllte Frage zum Schweizer Radio- und Fernsehgeschäft: „Wollt ihr den totalen Markt?“

Geschäft ist das Schlüsselwort! Nicht journalistische Leistung, die im totalen Markt niemand auch nur annähernd so gut, so verantwortungsvoll, so staatssensibel erbringen könnte wie eine öffentlich-rechtlich eingerichtete Radio- und Fernsehanstalt. Um Beute ging’s in der Schweiz. Genau darum geht es auch in Deutschland, wenn das Verfassungsgericht noch in diesem Jahr über die Rechtmäßigkeit der obligatorischen Rundfunkbeiträge entscheidet: um die Frage, ob sich in Zukunft Investoren und Oligarchen und Lobbys über die Beute ARD und ZDF hermachen dürfen.

An der deutschen TV-Welt ist allerhand zu kritisieren

Was auf dem Spiel steht, muss man der Deutlichkeit halber mit einem Beispiel aus der deutschen Geschichte illustrieren: Soll wieder ein Medienimperium wie jenes von Hitlers Steigbügelhalter Alfred Hugenberg möglich werden? Was ist im Vergleich zur Schweiz anders an den deutschen öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten? Eigentlich nichts. Auch sie versorgen ein kulturell außerordentlich vielgestaltiges Land. Was hat Oberbayern mit Friesland zu tun? Was Hamburg mit München? Was Martin Walsers Bodensee mit der Uckermark von Botho Strauss? Deutschland verfügt über die reichste kulturelle Infrastruktur der Welt, historisch gewachsen aus einem Flickenteppich von Hunderten Herrschaftsgebieten, die sich auch Konkurrenz machten – sich gegenseitig hochrüsteten. Wäre Weimar ohne diesen Wettbewerb Welt-Weimar?

Natürlich ist an der deutschen Radio- und Fernsehwelt auch allerhand zu kritisieren. Die ausufernde Bürokratie zum Beispiel. Dann das hochfahrende TV-Selbstverständnis mit seinen Weltregierungszentralen von „Tagesthemen“ und „Heute Journal“, in denen allabendlich die Nachrichten mehr zelebriert als verlesen werden, allen voran durch die Moderatorin Marietta Slomka, der ein Stehpültchen zu wünschen wäre, das sie beim Predigen der frommen Denkungsart an ihre tatsächliche Funktion erinnert. Selbstverständlich darf auch moniert werden, dass der „Tatort“ mit seinen verschlampten Kommissaren ein unerträglich herablassendes Bild von der bürgerlichen deutschen Öffentlichkeit zeichnet. Schließlich könnten säkular gestimmte Zeitgenossen protestieren gegen den impertinenten Religionsfunk namens Deutschlandradio.

Welche anderen als öffentlich-rechtliche Medien sind der Kritik an Programmen und Personen durch Bürgerinnen und Bürger offen? Ließe sich ernsthaft und sinnvoll über RTL, Vox und Sat 1 diskutieren? Da hilft nur Umschalten: auf ARD und ZDF und Phoenix und ZDF neo und ZDF info und 3sat und Arte.

Wie in der Schweiz steht ein Stück Demokratie auf dem Spiel. Ein Stück Deutschland.
 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Online-Shop erhalten.













 

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