Kritik an Entwicklungshilfe - Die Sehnsucht nach Übersichtlichkeit

Immer wieder wird die deutsche Entwicklungshilfe kritisiert: zu teuer, zu anmaßend, zu naiv im Umgang mit korrupten Staaten. Ignorieren ist dennoch keine Option, schreibt Stephan Klingebiel vom Deutschen Institut für Entwicklungspolitik. Die globalen Probleme würden uns früher oder später doch direkt betreffen

Entwicklungshilfeminister Gerd Müller (CSU) bei der G20 Afrika-Partnerschaftskonferenz / picture alliance
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Autoreninfo

Dr. Stephan Klingebiel ist Co-Chair für „Inter- und transnationale Zusammenarbeit mit dem globalen Süden“ am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik (DIE) in Bonn. Er lehrt an der Universität Marburg und ist regelmäßiger Gastprofessor an der Stanford Universität.

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Es ist schon erstaunlich, wie sich Deutschland in den vergangenen Jahren globalen Problemen in Entwicklungsregionen zugewandt hat. Ein Bundesfinanzminister, der eine Afrika-Initiative im G20-Rahmen angestoßen hat, eine Bundeswehr, die nun schon seit Jahren routiniert Auslandseinsätze in schwierigen Krisenregionen durchführt und natürlich ein Entwicklungsminister, der sich nicht zuletzt mit dem „Marschallplan mit Afrika“ hervorgetan hat. Ja, auch Kanzlerin Merkel zeigt sich sichtbar engagiert, wenn es um entwicklungspolitische Themen und das deutsche Afrika-Engagement geht, wie sie zuletzt vor wenigen Tagen in einem ausführlichen Videointerview erneut unter Beweis gestellt hat.

Das entwicklungspolitische Profil Deutschlands nahm Alexander Kissler in seinem Kommentar zum Anlass für einen Rundumschlag: „Selbstüberschätzung“ und eine falsch verstandene „moralische Pflicht“ führten zu einer Rhetorik der „Weltrettung“. Kissler malte das Zerrbild einer Kanzlerin und Bundesregierung, die vorrangig mit Problemen in Afrika und Asien beschäftigt seien. Und er zeigte keine Alternativen zu einem globalen Engagement auf: Einfach wegschauen, wenn die Probleme jenseits der deutschen Grenzen zu kompliziert erscheinen? 

Auch eigene Sicherheitsinteressen betroffen

Dass wir mit entwicklungspolitischen Mitteln alleine nicht globale Probleme lösen können, ist banal. Das funktioniert übrigens auch nicht mit rein militärischen Mitteln, der Diplomatie oder einer internationalen Umweltpolitik. Dafür sind die Probleme zu komplex, dafür bedarf es der Abstimmung mit vielen Akteuren. Die Debatten der vergangenen Monate in den USA haben gezeigt, dass sich dort Vertreter des Militärs und der Diplomatie am vehementesten gegen den Kahlschlag der amerikanischen Entwicklungspolitik wehren. Und sie bringen keine Argumente der „Weltrettung“ vor, sondern in erster Linie Sicherheitsinteressen der USA!

Politiker sind gut beraten, wenn sie aktiv Entwicklungszusammenarbeit nutzen, um Lösungen für globale Herausforderungen zu finden. Und dies gilt vor allem für Deutschland. Der Bundesregierung eine Legitimität abzusprechen, sich um Herausforderungen jenseits der eigenen Landesgrenzen zu engagieren, geht am Kern vorbei. Das, was Deutschland, was die Europäische Union, was andere Akteure tun oder auch nicht tun, hat immer Auswirkungen auf andere Teile der Welt. Dies trifft für den Handel ebenso zu wie für unseren ökologischen Fußabdruck. Bei entwicklungspolitischer Kooperation steht zudem der Partnerschaftsgedanke klar im Vordergrund, der der Entwicklungszusammenarbeit eine hohe Legitimität verschafft. 

Globale Probleme erfordern globale Antworten

Insgesamt gibt es aus meiner Sicht fünf gute Gründe für ein starkes entwicklungspolitisches Engagement Deutschlands, sei es mit Afrika oder in anderen Regionen:

Erstens, die Migranten, die in den vergangenen Jahren Europa erreicht haben, zeigen, dass uns Probleme und fehlende Lebensperspektiven in anderen Teilen der Erde zunehmend sehr direkt erreichen. Für Deutschland muss es also von großem Interesse sein, ob Konflikte andernorts gewaltfrei ausgetragen werden, Klimawandel und Repression zu Flucht führen oder sich extreme Ungleichheit in hoher Kriminalität äußert. Die Ebola-Pandemie hat gezeigt, dass schlecht funktionierende Gesundheitssysteme in Westafrika kein lokales Problem bleiben. Auf all diese Herausforderungen hat Entwicklungspolitik keine perfekten oder alleinigen Antworten. Wir wissen aber, dass wir Beiträge leisten können, etwa durch gesundheitspolitische Maßnahmen oder indem wir afrikanische Regionalorganisationen befähigen, mit Gewaltkonflikten umzugehen. Diese – natürlich begrenzten – Möglichkeiten nicht zu nutzen, wäre fahrlässig.

Zweitens, Entwicklungszusammenarbeit ist nicht ausschließlich dazu da, um „Projekte“ umzusetzen, sondern ist für Dialog und Vertrauensbildung vielfach Ausgangspunkt und unverzichtbar. Ein Dialog über sensible Themen wie Menschenrechte oder den Schutz natürlicher Ressourcen lässt sich im Rahmen von Entwicklungszusammenarbeit organisieren. Oft spielen dabei Nichtregierungsorganisationen und politischen Stiftungen, die mit öffentlichen Mitteln unterstützt werden, eine große Rolle. Entwicklungszusammenarbeit ist vielfach wichtig, um jenseits von konkreten Aktivitäten Gesprächskanäle zu schaffen und zu nutzen, da zentrale Entwicklungshemmnisse ja gerade in der Politik vieler Partnerländer selbst zu finden sind. Hierfür ist es übrigens oft notwendig, gemeinsam mit anderen Partnern vorzugehen, was im Rahmen der Europäischen Union leidlich funktioniert. 

Langfristig denken

Drittens, Deutschland sollte sich nicht nur mehr für globale Entwicklung engagieren, sondern verfügt derzeit über mehr Haushaltsspielräume als fast alle anderen Geberländer. Es ist deshalb zu begrüßen, dass die Finanzplanungen der Bundesregierung und der Koalitionsvertrag hier von Steigerungen für die kommenden Jahre ausgehen. Hinzu kommt, dass durch den aktuell vielerorts vorherrschenden Populismus entwicklungspolitische Themen generell einen schweren Stand haben. Großbritannien zählte bis zur Regierung May zu den treibenden Kräften einer aktiven Entwicklungspolitik – diese Zeiten sind vorbei. Und beim größten internationalen Geber, den USA, sieht man Entwicklungspolitik in großen Teilen als Verschwendung und schädliche Belohnung von Ländern an, die den US-Interessen nicht dienten. 

Viertens, die Bearbeitung globaler Probleme wird zunehmend komplizierter. Dies hängt einerseits mit den vielfältigen Krisen – sichtbar etwa anhand der besonders hohen weltweiten Flüchtlingszahlen – zusammen, aber auch weil gemeinsames Handeln von Staaten immer schwieriger zu organisieren ist. Die Interessenübereinstimmung innerhalb Europas, der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) oder der G20 ist in vielen Fällen heute weit weniger gegeben als noch vor einigen Jahren. Deutschland kann hier ein Vermittler und Beispiel für verantwortungsvolles globales Agieren sein. Funktionierende globale Lösungsansätze liegen im direkten deutschen Interesse. Deutschland sollte eben nicht den Trend verstärken, lautstark auf kurzfristige nationale Interessen zu setzen.

Strategiedebatte intensiver führen

Fünftens ist es schließlich alles andere als verwerflich, wenn Politik darum bemüht ist, Humanismus, christliche Werte und globale Entwicklungsperspektiven in politisches Handeln einzubeziehen. Werteorientierung und langfristiges Denken in der Politik sind nicht gleichbedeutend mit naiver „Weltrettung“!   

Entwicklungspolitik darf kein Selbstzweck oder bloßes moralisches Feigenblatt sein. Es macht sehr viel Sinn, über die Motive und die besten Ansätze nachzudenken und zu streiten. Es wäre deshalb wünschenswert, gerade in Deutschland die Strategiedebatte über das globale Engagement und die künftige entwicklungspolitische Ausrichtung noch intensiver zu führen. Wie kann der deutsche Beitrag am wirksamsten gestaltet werden? Wie sollten die zusätzlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit künftig eingesetzt, wie kann das deutsche Engagement mit anderen Partnern – etwa in der Europäischen Union – noch besser verzahnt werden? Diese Diskussionen sind notwendig. Wir wären schlecht beraten, wenn wir globalen Entwicklungsfragen weniger Aufmerksamkeit schenkten.

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