Kriminologin Britta Bannenberg zum Amoklauf in Heidelberg - „Die Gefahr von Nachahmungstaten ist hoch“

Ein Student der Universität Heidelberg schoss in einem Hörsaal mit zwei Langwaffen um sich, tötete eine Frau und verletzte drei weitere Menschen. Anschließend erschoss der Täter sich selbst. Die Gießener Kriminologin Britta Bannenberg beschäftigt sich mit der Psyche von Amoktätern.

Gedenken an die Opfer auf dem Campus der Uni Heidelberg / dpa
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Autoreninfo

Björn Eenboom ist Filmkritiker, Journalist und Autor und lebt im Rhein-Main-Gebiet.

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Britta Bannenberg hat seit 2008 den Lehrstuhl für Kriminologie an der Universität Gießen inne. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Gewaltkriminalität und Kriminalprävention, Amokläufe und Eskalation von Gewalt in Beziehungen. Sie betreibt das Beratungsnetzwerk Amokprävention, an das sich Bürger wenden können, wenn sie Hinweise auf einen Amoklauf oder einen Anschlag haben. Das Hinweistelefon ist unter 0641/9 92 15 72 erreichbar. 

Frau Bannenberg, am Montag kam es auf dem Gelände der Universität Heidelberg zu einem Gewaltverbrechen. Der mutmaßliche Täter, ein 18-jähriger Student, drang in einen Hörsaal ein und schoss mit zwei Langwaffen um sich. Drei Menschen wurden leicht verletzt, eine junge Frau erlag ihren Verletzungen. Der Täter beging Suizid. Die Polizei arbeitet mit Hochdruck an der Aufarbeitung. Wie schauen Sie als Kriminologin auf das Geschehen?   

Es handelt sich um eine seltene Amoktat, bei der ein psychisch gestörter Einzelgänger versucht hat, viele Menschen zu töten, damit mediale Aufmerksamkeit zu erzielen und auch eine kurze Abschiedsbotschaft hinterlassen hat, die seine Tat rechtfertigen soll. 

Nach Angaben der Polizei schrieb der 18-Jährige unmittelbar vor der Tat in einer WhatsApp-Nachricht, dass „Leute jetzt bestraft werden müssen“, wie Polizeipräsident Kollmar sagte. In der Nachricht habe er sich außerdem eine Seebestattung gewünscht. Was für Rückschlüsse lassen diese Informationen auf das Täterprofil und das Motiv zu?  

Britta Bannenberg / Markus Hintzen

Eventuell ergeben sich aus den Ermittlungen der Polizei noch konkretere Motive. Die Motive von Amoktätern sind jedoch rational nicht nachvollziehbar. Diese psychisch gestörten Personen handeln in der Regel aus einem Motivbündel von Hass, Wut und „Rache“ an der Gesellschaft, teilweise werden bestimmte Gruppen besonders abgelehnt. Diese Form der „Rache“ ist psychopathologisch begründet, weil nicht reale Verletzungen des Täters zugrunde liegen. Die Täter fühlen sich aber oft gedemütigt, nicht anerkannt oder gemobbt und machen dafür andere Menschen verantwortlich. Sie tragen aber keine Konflikte aus, sondern wollen mit der Tat als eine Art Held unsterblich werden. Sie drücken damit der Gesellschaft gegenüber fundamentale Ablehnung aus.  

Der Täter, der keinen Waffenschein besessen habe, soll sich die Waffen kurz zuvor im Ausland gekauft haben. Darauf deuten Kaufbelege hin, wie der Leiter der Staatsanwaltschaft Heidelberg, Andreas Herrgen, am Montagabend mitteilte. Das hört sich erschreckend einfach an, um an Waffen zu gelangen. Wirft das Fragen auf nach einem schärferen Waffengesetz?  

Die waffenrechtliche Frage wird noch polizeilich abgeklärt. Auch in Deutschland kann man als Sportschütze und Jäger eine Waffenberechtigung erwerben, andere Täter haben diese illegal im Dark Web erworben. Gefährliche Personen mit Tötungsphantasien sollten niemals an Schusswaffen gelangen. Verhindern kann man die Taten nur, wenn man die Tötungsphantasien und Vorbereitungshandlungen erkennt und unterbinden kann. 

Wie lässt sich ein Amoklauf erkennen und möglicherweise verhindern? 

Nur über Personen des sozialen Umfelds, die bedrohliche subtile Andeutungen über einen Amoklauf und die Faszination für Tötungsdelikte, Attentate und Amoktaten wahrnehmen. Sehr selten auch über Meldungen in sozialen Netzwerken oder Kommentare etwa auf Spiele-Plattformen. Hier herrscht ohnehin ein morbider Ton. 

Was unterscheidet einen Amoklauf von anderen Gewaltverbrechen?  

Es ist eine spezielle Art von Tötungsdelikten, bei denen der Täter seine Opfer nicht oder kaum kennt und keine konkreten Konflikte, auch keine sonstigen Motive wie Habgier und ein rational nachvollziehbares Motiv vorliegen.  

Kurze Zeit nach der Tat wurde auf dem Kurznachrichtendienst Twitter bereits ein angeblicher Täter präsentiert. Über einen anonymen Account wurde ein völlig Unbeteiligter der Tat bezichtigt. Es handelt sich dabei um den Schauspieler Tobias Ludloff, der nun von Hasskommentaren heimgesucht und bedroht wird. Wie kritisch sehen Sie das Internet und die Berichterstattung bei einer Amoktat? 

Vor allem Wichtigtuer versuchen über soziale Netzwerke nach derartigen Taten Aufmerksamkeit zu erlangen. Das ist unerträglich. 

Und führt mitunter zur Verbreitung von Fake News. Das mediale Interesse ist nach einem Amoklauf groß. Birgt das die Gefahr von Nachahmungstaten? Wie beurteilen Sie die mediale Berichterstattung?  

Ja, die Gefahr von Nachahmungstaten ist in den nächsten Wochen sehr hoch, nicht nur, aber insbesondere an Universitäten. Das bedeutet nicht, dass Personen erst durch diese Berichterstattung auf die Idee kommen, eine Amoktat zu begehen. Es ist davon auszugehen, dass Tatgeneigte getriggert werden und sich durch die Heidelberger Tat veranlasst sehen, nun ebenfalls zeitnah eine Amoktat zu begehen. Die aktuelle Berichterstattung zu Heidelberg ist bislang glücklicherweise zurückhaltend und unaufgeregt.  

Für wie gefährlich halten Sie das Internet, was potenzielle Gewalttäter anbelangt, die neue Amokläufe planen? 

Amoktaten sind sehr selten. Die letzte Tat eines jungen Amoktäters geschah 2016, dafür haben wir in den letzten Jahren mehr Taten erwachsener Täter. Die Radikalisierung von Einzelgängern zu Tätern geschieht in der Regel über das Internet. Die Prävention kann aber nur gelingen, wenn die Andeutungen im Vorfeld wahrgenommen werden und zu Überprüfungen der möglicherweise bedrohlichen Person führen.   

Das Deutsche Studentenwerk zeigt sich sehr besorgt wegen der Folgen für Studenten in der Coronapandemie. „Die psychosoziale Beratung der Studenten- und Studierendenwerke wird förmlich überrannt, die Wartezeiten werden länger“, sagte der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Matthias Anbuhl, der Deutschen Presse-Agentur. Studenten litten unter fehlender Präsenzlehre. Vereinsamung, digitale Isolation und depressive Verstimmung seien oftmals die Folge. Sie lehren an der Universität Gießen Kriminologie. Haben Sie ähnliche Beobachtungen gemacht?  

In ganz Deutschland führt die Pandemie zu psychischen Belastungen und damit bei manchen leider auch zu Amokgedanken und Aggressionen. Vom Gedanken zur Tat dauert es eine Weile. Als Gesellschaft sollten wir wachsam sein, wenn Amokgedanken geäußert werden. Man sollte die Polizei einschalten oder kann sich an unser Beratungsnetzwerk Amokprävention wenden.  

Die Fragen stellte Björn Eenboom.

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