Krawalle in Stuttgart - Neue Dimension der Gewalt

In Stuttgart kommt es zu Plünderungen und zu massiver Gewalt gegen die Polizei. Politiker zeigen sich schockiert. Doch die Hysterie der vergangenen Wochen hat entscheidend zu den Exzessen in der Nacht auf Sonntag beigetragen.

Plünderung eines Ladens in Stuttgart in der Nacht auf Sonntag / picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Die neueste Episode aus dem Land, in dem wir bekanntlich gut und gerne leben: bürgerkriegsähnliche Zustände in der Stuttgarter Innenstadt. Das dazu passende Vokabular aus dem Schatzkästlein der offiziösen Beschwichtigungsrhetorik: „Kleingruppen“ und „Feiernde“ seien es gewesen, von denen die Gewaltexzesse in der einst als bieder und bürgerlich belächelten Hauptstadt Baden-Württembergs ausgingen. Da dürfte doch manchem glatt das Herz aufgehen, dass die Schwaben-Metropole jetzt mit ähnlichen Bildern aufwarten kann wie im fernen Minneapolis.

Die Stuttgarter Feierlaune bedurfte dafür allerdings nicht einmal eines Falls George Floyd, hier reichte offenbar schon ein weit kleinerer Anlass: „Viele Feiernde aus dem Bereich des sich vornehmlich in den Abendstunden und Nächten unter anderem am Eckensee sammelnden Klientels sollen sich in Zusammenhang mit einer Polizeikontrolle anlässlich eines Rauschgiftdelikts gegen die Beamten zusammengeschlossen haben“, so die Stuttgarter Zeitung. Und wo die Partystimmung erst einmal entfacht war, ging es eben munter weiter: Danach sei es nämlich „zu erheblichen Angriffen auf Polizeibeamte, Streifenwagen und Ladengeschäfte in der Innenstadt gekommen“, erfährt der treudoofe Bürger, während die Einsatzkräfte die Scherben der spontanen Festivität zusammenkehren. Bloß die Ruhe bewahren!

280 Polizisten im Einsatz

Was in Stuttgart in der Nacht vom 20. auf den 21. Juni geschah, wird im Detail noch zu klären sein. Bei der Pressekonferenz der örtlichen Polizei am Sonntagnachmittag hieß es, nach der Kontrolle eines „deutschen Staatsbürgers mit weißer Hautfarbe“ wegen eines mutmaßlichen Drogendelikts hätten sich 200 bis 300 Personen aus der „Eventszene“ mit diesem solidarisiert und die Beamten mit Flaschen und Steinen angegriffen. Die Gruppe sei schnell auf 400 bis 500 Leute angewachsen, die Angriffe auf Polizistinnen und Polizisten hätten sich ausgeweitet, und in der Innenstadt seien 40 Ladengeschäfte „angegangen“ worden, von denen neun geplündert worden seien. Insgesamt mussten 280 Polizisten eingesetzt werden, mindestens 19 von ihnen hätten Verletzungen davon getragen. Der Stuttgarter Polizeivizepräsident Thomas Berger berichtete, es seien 24 Personen festgenommen worden, die Hälfte von ihnen „Nichtdeutsche“.

Neue Dimension der Gewalt

Stuttgarts Polizeipräsident Frank Lutz sprach bei derselben Pressekonferenz von „einer nie dagewesenen Dimension der Gewalt“ und fügte hinzu, dass „die Entwicklungen der vergangenen Wochen die Polizeiarbeit nicht einfacher gemacht“ hätten. Sein Vize Berger, der den Einsatz selbst miterlebt hat, war nicht minder entsetzt: Er sei seit 30 Jahren im Polizeidienst und könne sagen: „Solche Szenen hat es in Stuttgart noch nie gegeben.“

Fakt ist: Die Stuttgarter Riots bedeuten einen abermaligen Kulturbruch für dieses Land. Und dieser Bruch kommt nicht von ungefähr, sondern ist die Folge einer systematischen Delegitimierung staatlicher Ordnung, wie sie längst nicht mehr nur aus den Milieus linker Extremisten betrieben wird. Sondern von Politikerinnen und Politikern, die erkennbar Grenzen verwischen wollen zwischen den Sphären des Rechtsstaats und der autonomen Selbstermächtigung. Saskia Eskens Twitter-Koketterie in Sachen Antifa trägt da genauso Früchte wie die Unterstellung der SPD-Vorsitzenden, deutsche Sicherheitskräfte seien latent rassistisch.

„Unbegreiflich, wie die Situation derart eskalieren konnte“, twitterte dieselbe Esken jetzt wiederum in Reaktion auf die Stuttgarter Ausschreitungen und betrauerte zwitschernd „so viele verletzte Polizist*innen und zerstörte Ladengeschäfte“ – inklusive rührseligem Tränen-Emoticon. Da dürfen die Beamtinnen und Beamten aber aufatmen, nachdem ihnen Undercut tragende Partypeople mit ausgestrecktem Bein in den Rücken gesprungen sind. Die im Internet zu sehenden Amateuraufnahmen geben eine vage Ahnung davon, was man sich unter der quietschfidelen „Klientel vom Eckensee“ so ungefähr vorzustellen hat.

Beschwörung des Rechtsstaats

Die Reaktionen der Politik auf die Gewaltnacht von Stuttgart zeigen die bekannte Ratlosigkeit. Will sagen: eine Mischung aus Empörung, der Beschwörung des Rechtsstaats und einer Warnung vor vorschnellen Urteilen. So weit, so erwartbar, so vernünftig. Leider hat man sich als duldsamer Bürger der Bundesrepublik an diesen Sound schon ein bisschen zu sehr gewöhnt – und fragt sich allenfalls: Warum müssen solche Selbstverständlichkeiten nach derartigen Vorfällen eigentlich immer betont werden? Wenn sich etwa der baden-württembergische CDU-Fraktionsvorsitzende Wolfgang Reinhart jetzt entsetzt zeigt und fordert, die Täter von Stuttgart müssten die „volle Härte des Gesetzes spüren“ und dürften „weder auf Verständnis noch auf Milde hoffen“, dann ist das ja schon ein halbes Eingeständnis, dass in der Vergangenheit irgendetwas nicht funktioniert hat mit unserem Rechtsstaat. Denn offenbar gibt es Grund zur Annahme, dass bestimmte Straftäter mit Verständnis rechnen können. Ist das so? Und wenn ja, warum?

Es braut sich derzeit etwas zusammen in Deutschland, und die Corona-Krise hat die gesellschaftlichen Brüche in der Bundesrepublik allenfalls kurzfristig überbrückt. Vielmehr besteht die Gefahr, dass der soziale Unfrieden jetzt sogar erst richtig Fahrt aufnimmt. Und während viele Bürgerinnen und Bürger um ihre Arbeitsplätze fürchten müssen, wenn sie diese nicht sogar schon verloren haben, leisten sich weite Teile der Medien und der Politik eine Rassismus-Debatte, die den Anschein erweckt, dieses Land wäre gestern noch ein Sklavenhalterstaat gewesen. In Stuttgart werden derweil Polizisten attackiert und Geschäfte geplündert; in Göttingen fliegen aus einem unter Quarantäne stehenden Hochhaus Steine auf Polizisten, auch von Schüssen wird berichtet. Das ist die neue Realität. Wer da noch von Partys spricht, hat im Wortsinn den Schuss nicht gehört.

Und jetzt die Lottozahlen.

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