Koalitionsverhandlungen - Der unbewegliche Fuchs

Was tun, wenn in den Koalitionsverhandlungen weder Anpassungsfähigkeit, noch Härte helfen? Die Strategen von Union und SPD könnten sich so einiges vom Fuchs abschauen, schreibt Sabine Bergk

Junger Fuchs in daoistischer Gelassenheit / picture alliance
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Autoreninfo

Sabine Bergk ist Schriftstellerin. Sie studierte Lettres Modernes in Orléans, Theater- und Wirtschaftswissenschaften in Berlin sowie am Lee Strasberg Institute in New York. Ihr Prosadebüt „Gilsbrod“ erschien 2012 im Dittrich Verlag, 2014 „Ichi oder der Traum vom Roman“.

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Auf dem Mauerstreifen, im Roggenfeld, fand ich in der Frühe einen Fuchs. Er lag ganz entspannt in der Morgensonne und sah den Hügel hinab auf die Kapelle. Gelassen sah er aus, zurückhaltend und zugleich resistent gegen die Welt. Den Fuchsschwanz hatte er elegant um die Vorderläufe geschlungen, als wollte er einen Zirkel um sich selbst ziehen und damit sagen: Hier bin ich. Berührt mich nicht.

Es dem Fuchs gleichzutun, ist ein fast unmögliches Unterfangen. Gerade in der politischen Welt wird ständig auf eine Reaktion gewartet, auf einen Gegenschlag, eine wirksame Strategie. Unter Hochdruck werden Entscheidungen gefällt, Papiere verfasst, Koalitionen geschmiedet. Dauerdruck geht jedoch auf Kosten der Qualität und Qualitätsmängel verursachen wieder neue Kosten, neuen Druck. So speist sich der Druckkessel wie von selbst, ein Perpetuum mobile, das nur durch Krisen kurzfristig aufgerüttelt wird. 

Die Schädelbasis ist keine Verhandlungsbasis

Derzeit steht der Parteienkessel unter Hochdruck. In beiden großen Parteien wird die Führungsspitze nicht mehr vom Fundament gestützt. Den Mangel an Rückhalt, an innerparteiischer Stabilität, versucht man nun mit Härte zu überbrücken. Ähnlich wie beim Brexit wird mit harten Verhandlungen gedroht, als gäbe es nicht genügend Bedrohungsszenarien in der Welt. Statt geschickt wie ein Fuchs in die Verhandlungen zu gehen, wird auf allen Seiten gepoltert und geprahlt, man werde seine Position schon durchsetzen. Ein Mangel an Stabilität lässt sich jedoch nicht durch Dickköpfigkeit ersetzen. Die Schädelbasis war noch nie eine gute Verhandlungsgrundlage. Härte führt in komplexen unsicheren Umwelten nicht zu erfolgreichen Ergebnissen, sie bewirkt vielmehr das Gegenteil, sodass die sich aufschaukelnden Positionen aneinander zerbrechen müssen. Den Scherbenpark dann wieder zusammen zu fegen, kostet Zeit und Nerven. Wäre es nicht klüger, es dem Fuchs gleichzutun? 

Der Fuchs ist ein Anpassungskünstler mit vielen Talenten. Sein Lebensraum erstreckt sich vom nördlichen Polarkreis über den Irak bis nach Japan. Als Gestaltwandler Kitsune wird er in Japan wahrgenommen, im europäischen Raum als Reineke Fuchs, der durch List schließlich den Wolf im Zweikampf besiegt und zum Kanzler ernannt wird. Im französischen „Roman de Renart“ triumphiert der Fuchs gleich über zwei wilde Gegner, einen Löwen und einen Wolf. Äsop geht noch weiter, er lässt einen Fuchs sogar einen Löwen heilen. Füchse können 400 Mal besser riechen als Menschen. Ihre Ohren sind in fast alle Richtungen drehbar, damit ihnen auch nicht das kleinste Detail entgeht. Sie sind Überlebenskünstler in komplexen Zusammenhängen, als Allesfresser passen sie sich unterschiedlichen Nahrungsräumen an. 

Zu viel Anpassungsfähigkeit ruft das Gegenteil hervor

Anpassung als einzige Handlungsstrategie hat jedoch auch wieder eigene Tücken. Die derzeitigen politischen Verhärtungen können nicht nur als Ersatzhandlungen für mangelnde innerparteiische Stabilität, sondern auch als Gegenreaktion auf eine jahrelang zu stark anpassungsfähige Bundeskanzlerin verstanden werden. Um sich von Angela Merkel  abzusetzen, braucht es ein hartes Profil. Eine Parteifarbe reicht nicht, da sich die Kanzlerin jahrelang in allen Farben gekleidet hat. Zu viel Anpassungsfähigkeit ruft das Gegenteil hervor und so befindet sich die Kanzlerin nun in einer Art Bumerang-Effekt ihrer eigenen Politik. 

Was aber kann man tun, wenn weder Anpassung noch Härte helfen? Sich ins Roggenfeld setzen und gelassen bleiben? Sich im Nichtstun üben? Welcher Politiker kann sich das leisten? Anders herum gefragt: Welcher Politiker kann es sich leisten, nur mit der Schädelbasis zu agieren? 

Vielleicht war dieser morgendliche Fuchs nicht nur eine vollkommen abgeklärte Berliner Schnauze, sondern eventuell sogar ein weises Tier. Wer weiß. Warum sollten nicht auch Füchse eine Morgenmeditation im Roggenfeld abhalten? Mit Blick auf die Versöhnungskapelle bietet sich das ja an. Außerdem ist eine Runde Nichtstun manchmal wirkungsvoller, als ständig harte Positionen aufzustapeln, die letztendlich zerbrechen müssen. Jene Kraftmeiereien, die derzeit medial hochgejubelt werden, sättigen zwar das Bedürfnis nach einer Position. Sie sorgen jedoch lange nicht für die erwünschte Stabilität. Dafür braucht es kluge Konstruktionen.

Ich sehe den Fuchs jetzt jeden Tag unsichtbar im Roggenfeld sitzen, diesen zähen Daoisten.
 

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