Debatte um Klimaministerium - Klimaschutz ist eine Frage demokratischer Mehrheiten

Die Grünen fordern ein Klimaministerium mit Vetorecht. Was originell klingt, ist streng genommen ein alter Hut. Das Klimaproblem indes wird nicht mit der Geschäftsordnung der Bundesregierung gelöst werden. Es geht vielmehr um Rückhalt in der Bevölkerung und um weltweite Entschlossenheit.

Annalena Baerbock stellt ihre Pläne für das Klimaministerium vor / dpa
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Julien Reitzenstein befasst sich als Historiker in Forschung und Lehre mit NS-Verbrechen und Ideologiegeschichte. Als Autor betrachtet er aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen.

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Am Dienstag haben die Grünen ihre Vorstellungen von einem Klimaministerium dargelegt. Es würde geschaffen, sollten die Grünen nach der Bundestagswahl Koalitionspartner werden. Die Kritik entzündete sich daran, dass das Ministerium ein Vetorecht gegenüber allen Vorhaben aller anderen Ressorts bekommen soll, sofern diese Auswirkungen auf das Klima haben. Man wolle überprüfbare Maßnahmen, so Grünen-Chef Robert Habeck, um das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen.

Die Kritik an den grünen Plänen lässt aufhorchen. Denn die Begründung der meisten Kritiker gehen an der Sache vorbei. Dies liegt an zwei Aspekten.

Zum einen ist es notwendig, den von Menschen verursachten Teil des Klimawandels so zu bremsen – und umzukehren –, dass Natur, Mensch und Wirtschaft sich langfristig und planungssicher auf die Folgen der 1,5 Grad Erwärmung einstellen können. Dies dürfte größere Kosten verursachen als die meisten großen Kriege in der Geschichte. 

Klimasünder China

Doch selbst, wenn mit gewaltigem wirtschaftlichem Aufwand der deutsche Netto-CO²-Ausstoß sogar auf Null gesenkt würde, wird der Plan der Grünen nicht aufgehen. Jedenfalls nicht, wenn China in den kommenden Jahren die bereits geplanten Kohlekraftwerke baut. Denn der CO²-Ausstoß in China allein aus der Kohleverstromung ist bald höher als der gesamte Netto-CO²-Ausstoß in Deutschland.

Die grüne Lösung dieses Problems wirkt bestenfalls naiv: Man wolle den anderen Staaten ein Beispiel geben und sie motivieren, diesem zu folgen. Faktisch bedeutet das, man möchte, dass Regierungen anderer Staaten ihren Bürgern und ihrer Wirtschaft ebenfalls nie gekannte finanzielle Lasten zur Rettung des Klimas auferlegen. Dabei dürfte es zudem einen Unterschied machen, ob diese Regierungen demokratisch gewählt sind – und wiedergewählt werden möchten – oder ob sie sich mit Gewalt an der Macht halten und alles vermeiden, was Unruhen auslösen könnte.

Die Geschichte zeigt, dass wirtschaftliche Einbußen regelmäßig zu Aufständen führen. Der Volksaufstand am 17. Juni 1953 in der DDR oder die Unruhen in Venezuela sind nur zwei Beispiele dafür. 

Die Gretchenfrage also lautet: Ist einer großen Mehrheit der Weltbevölkerung die Klimarettung genauso wichtig wie den Menschen in den reichen Staaten? Denn daran werden sich die anderen Regierungen orientieren, denen die Grünen ein Beispiel geben sollen. Deutschland gibt auch auf anderen Feldern exzellente Beispiele, so etwa bei Demokratie und Menschenrechten. Wenn China den deutschen Klimabeispielen so begeistert folgt, wie es bisher den deutschen Demokratie- und Menschenrechtsbeispielen gefolgt ist, wirken die Argumente der Grünen weniger überzeugend. 

Ministerium mit Vetorecht

Doch was ist falsch an der Kritik, dass das gewünschte Klimaministerium ein Vetorecht gegenüber allen Vorhaben aller anderen Ressorts bekommen soll, sofern diese Auswirkungen auf das Kima haben? Gewiss, es hat fast alles eine Auswirkung auf das Klima, von der Anschaffung von Druckerpapier bis zur Frage, ab welcher Raumtemperatur die Klimaanlage im Ministerium eingeschaltet wird. 

Die Kritiker schauen vor allem auf die Inhalte, die diesem Vetorecht unterworfen sind. Das ist aber nicht zielführend, wenn der Rahmen unbeachtet bleibt. Denn der Vetorechtsvorschlag der Grünen ist keinesfalls originell oder gar revolutionär. Es gibt ihn de facto bereits seit 1951. Immerhin haben auch das Bundesministerium des Inneren und das Bundesministerium der Justiz ein Widerspruchsrecht gegenüber Kabinettsbeschlüssen, die von anderen Ressorts eingebrachte Vorschläge genehmigen. Das Veto kann ausgeübt werden, wenn ein solcher Beschluss nicht mit dem geltenden Recht vereinbar ist.

Darüber hinaus hat auch das Bundesfinanzministerium ein sogar noch viel umfassenderes Vetorecht: „Beschließt die Bundesregierung in einer Frage von finanzieller Bedeutung gegen oder ohne die Stimme des Bundesministers der Finanzen, so kann dieser gegen den Beschluss ausdrücklich Widerspruch erheben.“

Ein alter Hut

Geregelt ist dies alles in §26 der Geschäftsordnung der Bundesregierung vom 11. Mai 1951, die aufgrund der Vorgaben des Artikels 65 des Grundgesetzes geschaffen wurde. Allerdings werden die Befugnisse zum Veto traditionell mit ähnlicher Zurückhaltung ausgeübt wie die Befugnis des Bundespräsidenten, die Ernennung eines Ministers oder die Unterzeichnung eines Gesetzes zu verweigern. 

Die Frage muss also einerseits lauten, ob das Vetorecht eines neu zu schaffenden Ministeriums gegen mit Mehrheit verabschiedete Regierungsbeschlüsse dem Recht und der finanziellen Handlungsfähigkeit des Staates zum Wohle seiner Bürger dient. Oder aber andererseits, ob der Staat so zu Lasten seiner Bürger politische Ziele umsetzt, die nicht von einer Mehrheit der Bürger getragen werden.

Zudem ist zu fragen, ob die Grünen ihr Vetorecht mit ähnlicher Zurückhaltung ausüben würden wie die anderen genannten Ressorts. Wie etwa wäre zu verfahren, wenn die Regierung mit Mehrheit der Kabinettsmitglieder einen Beschluss fasst, das Klimaministerium dagegen ein Veto einlegt und die klimafreundliche Alternative wesentlich größere finanzielle Auswirkungen hat – und nun das Finanzministerium ein Veto gegen das Klimaministerium einlegt?

Sicher ist, dass die Kosten sowie die Effekte der verschiedenen angestrebten Klimaschutzmaßnahmen naturgemäß schwer zu berechnen sind. Gleichwohl dürfen die Bemühungen um den Klimaschutz nicht nachlassen. Aber möglicherweise gibt es geeignetere Wege, als einem einzigen Minister die Macht zu geben, beinahe alle Regierungsbeschlüsse zu torpedieren – sogar, wenn die Folgen des Vetos, nämlich der Effekt für das 1,5%-Ziel, nicht immer belegbar sein dürften.

Eine demokratische Antwort

Wer nun von einem geplanten diktatorischen Ministerium spricht, schießt sicher über das Ziel hinaus. Richtig ist aber, dass es in der geplanten Form dazu führt, dass die Prinzipien aller Koalitionsregierungen seit 1949 ausgehebelt würden. Es wäre geschickter gewesen, wenn die Grünen nicht nur dargelegt hätten, was das neue Ministerium samt Vetorecht alles dürfen soll – sondern auch, wie diese weitreichenden Befugnisse missbrauchssicher gestaltet werden können. 

Es gibt wenig Zweifel: Die Mehrheit der Bevölkerung unterstützt heute die meisten jener umweltpolitischen Vorstellungen, die die Grünen vor 40 Jahren in die Politik trugen. Und sie wird auch – nur eben sehr viel schneller – die Notwendigkeit von Maßnahmen zum Klimaschutz mehrheitlich mittragen, sofern sie angemessen sind und ein Effekt auf das 1,5%-Ziel offenkundig ist. Da sich das Klima jedoch nicht ändern wird, wenn nur ein kleiner Teil der Weltbevölkerung das Klima schützen will, muss vor allem ein Problem geklärt werden: Wie überzeugt man die Mehrheit aller Regierungen in der Welt vom Klimaschutz? Die Antwort ist wichtig, für viele der von den Auswirkungen des Klimawandels bedrohten Menschen sogar lebenswichtig.

Die Antwort wird indes nicht darin liegen, ein weiteres Vetorecht in der Geschäftsordnung der Bundesregierung zu verankern. Ungehindertes Durchregieren gegen Mehrheiten im Kabinett und damit letztlich auch gegen Mehrheiten im Parlament und damit in der Bevölkerung widerspräche dem Geist der Demokratie und des Grundgesetzes. Die Antwort auf den dringend erforderlichen weltweiten Klimaschutz muss von demokratischen Mehrheiten gefunden werden.

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