Klimaklage am Bundesverfassungsgericht - Bleiben Sie panisch!

Luisa Neubauer und „Fridays for Future“ reichen „Klimaklage“ beim Bundesverfassungsgericht ein. Auf dem Internetportal TikTok warnt eine Teenagerin vor dem Dritten Weltkrieg. Sind die digitalen Medien der Anfang vom Ende der Demokratie?

Klagen als Trendsport: Luisa Neubauer macht es vor / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Eine Unsitte macht sich breit: Wessen Begehren keine parlamentarische Mehrheit findet, wessen Anliegen auf demokratischem Wege scheitert – der klagt. Es ist ein wenig wie im Kindergarten, wenn die Kleinsten trotzig rufen: „Ich will aber!“. So wie es vor wenigen Tagen Luisa Neubauer und „Fridays for Future“ taten, als sie der Republik die sogenannte „Klimaklage“ vorstellten.

Wir sind aber nicht im Kindergarten, sondern in einer parlamentarisch verfassten, demokratischen Gesellschaft. Zu den zentralen Gepflogenheiten einer Demokratie gehört es, dass man die Entscheidung der Mehrheit hinzunehmen hat – und wenn es zähneknirschend ist. Das scheint für viele Menschen zunehmend mühsam zu sein. Also zieht man, wenn die eigenen Anliegen gerade keine Chance auf eine unmittelbare Realisierung haben, vor das Bundesverfassungsgericht. Denn mit Kleinigkeiten hält man sich gar nicht erst auf. Den eigenen Willen nicht umgehend und sofort erfüllt zu bekommen – das kommt vielen Politnarzissten einer Verletzung ihrer Menschenrechte gleich. 

Hineingesteigert in den Weltuntergang

Aber die angekündigte Beschwerde mehrerer Klimaaktivisten und Umweltverbände gegen die Bundesregierung hat nicht nur eine psychopathologische Dimension, sie wirft vor allem einen besorgniserregenden Schatten auf die Zukunft der Demokratie im Zeitalter digital erzeugter Massenerregung.

Wenn Lisa Neugebauer zu Protokoll gibt, dass es schließlich um „unser Leben“ geht, wenn eine jugendliche Aktivistin ernsthaft beklagt, ihr würde der Traum genommen „auf dieser schönen Erde leben zu können“ und ein Mitstreiter ergänzt, ihm würden seine Träume geraubt, dann ahnt man, in welche apokalyptischen Schreckensszenarien sich viele Jugendliche – und leider nicht nur die – hineinsteigern.

Die neuen Medien überfordern Jugendliche

Die hier verwendete Sprache, der endzeitliche Duktus, das Panikhafte, erinnert sehr an jene 18-Jährige Münchener Schülerin, die auf der Plattform TikTok ihrer Angst vor einem dritten Weltkrieg Ausdruck verlieh. Offensichtlich haben wir uns mit den sozialen Netzwerken eine Medieninfrastruktur geschaffen, die nicht nur für viele Jugendliche eine emotionale Überforderung darstellt. Fast stündlich prasseln ungefiltert Informationen auf die Mediennutzer ein, die sie intellektuell kaum einordnen können, die aber mit ein bisschen Phantasie und genügend Kinoerfahrung leicht zur denkbar größten Katastrophe aufgeblasen werden können.

Offensichtlich fehlt den meisten Rezipienten das notwendige Wissen, um Einzelinformationen richtig bewerten zu können. Das war natürlich schon immer so. Doch inzwischen haben wir ein mediales Umfeld, das ohne jeden Filter die unmittelbare, schnelle und unreflektierte Weitergabe irgendwelcher Meinungen und Befürchtungen ermöglicht. Angefeuert wird dieses Angst-System durch Experten, die sich medial zunehmend dadurch profilieren, dass sie zusätzlich in dieselbe Kerbe hauen. 

Gesinnungsparolen der NGOs

Das offensichtliche Problem: Diese Kommunikations- und Erregungsstrukturen schaffen gesellschaftliche Tatsachen, mit denen unsere Institutionen überfordert sind: Die stolze deutsche Autoindustrie lässt sich von ein paar tausend aufgedrehten Schülern verunsichern; ein alter und ehrwürdiger Konzern wie Siemens hat nicht den Mumm, klare kommunikative Kante zu zeigen; die politisch Verantwortlichen drucksen eher rum als sich deutlich zu positionieren. Es ist ein Trauerspiel.

Dass es nun dem Bundesverfassungsgericht überlassen bleibt, die überhitzte Klimadebatte zu erden und den Gesinnungsparolen der NGOs Tatsachen entgegenzusetzen, ist ein Armutszeugnis. Denn nicht nur die Klimaaktivisten missbrauchen das höchste deutsche Gericht. Wenn die Politik in einer Mischung aus Opportunismus und Ängstlichkeit fachliche und politische Führung nach Karlsruhe delegiert, ist das kaum besser.

Das Feudalsystem überlebte die Erfindung des Buchdrucks ungefähr dreihundert Jahre. Nicht auszuschließen, dass die klassischen Demokratien der Moderne den neuen Kommunikationstechnologien sehr viel eher Tribut zollen. Schon jetzt zeichnet sich ab, dass demokratische Institutionen durch die Digitalisierung schrittweise delegitimiert werden. Diesem Trend kann man entgegenarbeiten. Dafür aber braucht es Führungsstärke und Mut zur Konfrontation. 
 

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