Klimaaktivisten verhindern Rettungseinsatz - Shit happens

Klimaaktivisten der „Letzten Generation“ haben am Montag in Berlin einen Verkehrsstau verursacht und dadurch verhindert, dass eine schwerverletzte Radfahrerin rechtzeitig versorgt werden konnte. Jetzt zeigt man sich betroffen, doch der Fall ist exemplarisch: Wenn Spitzenpolitiker wie Bundesumweltministerin Steffi Lemke zivilen Ungehorsam legitimieren, nehmen sie billigend auch solche Folgen in Kauf.

Straßenblockade der „Letzten Generation“ in Berlin / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Es sei „absolut legitim, für seine Anliegen zu demonstrieren und dabei auch Formen des zivilen Ungehorsams zu nutzen“, glaubte Bundesumweltministerin Steffi Lemke noch im Februar dieses Jahres während einer Gesprächsrunde festhalten zu müssen. Ob die Grünen-Politikerin tatsächlich sämtliche „Anliegen“ gemeint hat oder eben doch nur die Klimaproteste von Autobahnblockierern, auf die Lemkes Satz gemünzt war und die inzwischen dank ministerieller Ermutigung täglich den Verkehr in deutschen Großstädten lahmlegen, diese Frage stellt sich erst gar nicht. Denn es versteht sich von selbst, dass allein den Funktionären der selbstgefälligsten aller deutschen Parteien die Deutungshoheit über die Legitimität „zivilen Ungehorsams“ zusteht. Klima, Gender, Rassismus: Diese Themen gehören in jedem Fall zum Kanon des bündnisgrünen Toleranzedikts, bei anders gelagerten Ursachen für Unzufriedenheitsbekundungen wird in diesem juste milieu hingegen schnell nach Gesetzesverschärfungen gerufen. So funktioniert die neue deutsche Haltungs-Doktrin.

Und um am Ende nicht für mögliche Folgen in Mitverantwortung gezogen zu werden, schickte die Ministerin ihrer Nobilitierung der Klimaaktivisten noch die salvatorische Ermahnung hinterher, dass bei solchen Protestaktionen „keine Menschen zu Schaden kommen dürfen, und dass niemand durch zivilen Ungehorsam auf eine Art und Weise tangiert wird, dass Schaden eintreten könnte“. Nun dürfte zwar selbst einer Agraringenieurin klar sein, dass gefährliche Eingriffe in den Straßenverkehr, worunter auch Sitzblockaden in der Regel zu subsummieren sind, irgendetwas mit Schadenswahrscheinlichkeit zu tun haben könnten. Aber da zählt in den Augen einer Grünen-Politikerin das Appeasement gegenüber Vorfeldorganisationen wie den radikalisierten Asphalthockern allemal mehr als eine verantwortungsvolle Lagebewertung. Man kann an den Herausforderungen eines Ministeramts eben auch schrumpfen.

„Klimakampf, nicht Klimakuscheln“

Wahrscheinlich haben jene Klimademonstranten der „Letzten Generation“, die an diesem Montag in Berlin einen Stau verursacht haben, also einfach nicht genau genug hingehört, als Steffi Lemke den Freifahrtschein zur Verkehrslahmlegung erteilte. Sonst hätten sie ja ahnen müssen, dass bei einer Klebeblockade nicht nur klimaschädliche SUVs aufgehalten werden, sondern notfalls auch Krankenwagen und Feuerwehr. So wie gestern, als eine lebensgefährlich verletzte Radfahrerin in Wilmersdorf nicht rechtzeitig versorgt werden konnte, weil die Rettungskräfte nicht zum Unfallort durchkamen. „Wir hoffen inständig, dass sich ihr Gesundheitszustand durch die Verspätung nicht verschlimmert hat“, erklärte daraufhin Letzte-Generations-Sprecherin Carla Hinrichs und fügte treuherzig hinzu: „Bei all unseren Protestaktionen ist das oberste Gebot, die Sicherheit aller teilnehmenden Menschen zu gewährleisten.“ Gerade so, als ob dieser Fall nicht der schlagende Beweis des exakten Gegenteils wäre. Ehrlicher zeigte sich da schon der Klimaaktivist Tadzio Müller, der das Geschehen auf Twitter mit den Worten kommentierte: „Scheiße, aber: nicht einschüchtern lassen. Es ist Klimakampf, nicht Klimakuscheln, & shit happens.“

Shit happens. Das gilt auch für eine Bundesregierung, deren Umweltministerin einer Protestbewegung Aufwind verschafft, die sich selbst ganz offenkundig als über dem Gesetz stehend empfindet. Der Zweck heiligt jedes Mittel, und wenn’s am Ende mal Verletzte oder Tote gibt, dann hat Frau Lemke damit natürlich nichts zu tun: Sie hat ja schließlich gewarnt, man dürfe niemanden gefährden! Es ist genau diese Heuchelei, diese Mischung aus Unverfrorenheit, Naivität und Opportunismus, die die Grünen tatsächlich zur gefährlichsten Partei im Bundestag macht. Denn im Gegensatz zur AfD sitzen sie an den Schalthebeln der Macht und richten mit kontrafaktischer Politik und einer gar nicht so klammheimlichen Billigung von Rechtsbrüchen ihrer aktivistischen Klientel mehr Schaden an als jeder geifernde Rechtspopulist.

Alles nur ein Witz

Die Grünen, so heißt es immer wieder, seien eine bürgerliche Partei der linken Mitte. Diese Aussage ist nicht nur kompletter Blödsinn, sie dürfte auch von namhaften Funktionären aus den eigenen Reihen als Beleidigung empfunden werden. Es sei denn, das Warmlaufen zum Klima-Terrorismus fällt inzwischen unter die Tugenden einer neuen Bürgerlichkeit. Es war übrigens die Fridays-for-Future-Aktivistin und Vorzeige-Grüne Luisa Neubauer, die im Juni darüber phantasierte, eine Öl-Pipeline in Ostafrika in die Luft zu sprengen. Was im Nachhinein natürlich nur scherzhaft gemeint gewesen sein soll – so ähnlich wie das „Pudding-Attentat“ auf den US-Vizepräsidenten Humphrey 1967 durch spätere Mitglieder der „Bewegung 2. Juni“. Selten so gelacht.

Weil die Grünen zutiefst davon überzeugt sind, die höhere Moral gepachtet zu haben – und weil ihnen in diesem Wahn viel zu selten widersprochen wird –, haben sie ein latent gestörtes Verhältnis zur Rechtsstaatlichkeit. Das zeigt sich bei den klimaaktivistischen Kunst-Schändern, die nach ihren Kartoffelbrei- und Tomatensuppenattacken prompt von der Grünen-Politikerin (und NDR-Rundfunkrätin) Jessica Kordouni auf Twitter mit dem hanebüchenen Argument verteidigt wurden: „Monet und Van Gogh hätten diesen Protest gemocht. Es geht immerhin um die Schönheit dieser Welt, die sie gemalt haben und die gerettet werden muss.“ Wer sich zugutehält, die Welt zu retten, für den ist das Gesetz naturgemäß nur eine relative Richtschnur. Und „ziviler Ungehorsam“ nicht nur augenzwinkernd hinzunehmen, sondern vielmehr „absolut legitim“. Wenn Steffi Lemke schon zum Hobeln animiert, sollte sich allerdings nicht darüber wundern, dass Späne fallen. Shit happens. Und der Klimakampf geht weiter.

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