Berlin trägt Kippa - „Guten Morgen, Heinz“

Mit der Veranstaltung „Berlin trägt Kippa“ positionierten sich 2.500 Berliner gegen Antisemitismus. Die Redner sprachen den Judenhass von rechter, linker und muslimischer Seite deutlich an. Eine Rednerin vermittelte eindrücklich, wie es ist, als jüdisches Kind in Deutschland aufzuwachsen

Michael Müller erhielt für seine Worte nur mäßigen Applaus / picture alliance
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Chiara Thies ist freie Journalistin und Vorsitzende bei next media makers.

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Links und rechts überholen Fotografen mit schnellen Schritten, Übertragungswagen des Fernsehens stehen bereits am Straßenrand. Die Kameras sind aufgebaut und auf die Bühne ausgerichtet. Unter dem Motto „Berlin trägt Kippa“ sollte mit der Demonstration am 25. April ein Zeichen gegen Antisemitismus gesetzt werden. Auslöser für den Protest war der Angriff auf einen Kippa tragenden Israeli vergangene Woche. Ein junger Syrer schlug ihn mit seinem Gürtel und beschimpfte ihn antisemitisch.

Israelische Musik schallt über den Platz vor der Jüdischen Gemeinde zu Berlin in der Fasanenstraße im Stadtteil Charlottenburg. Die Menschen drängen sich dicht aneinander, um sich vor dem kalten Wind zu schützen. Viele von ihnen tragen tatsächlich eine Kippa. Sie scheinen nicht daran gewöhnt zu sein: Immer wieder weht der Wind sie ihnen vom Kopf. Da hilft die Haarklammer auch nur, wenn man weiß, wie sie richtig anzubringen ist. Vereinzelt werden Israelfahnen geschwungen. Kurz ist auch eine Antifafahne  im typischen rot, mit einem weißen Kreis und zwei weiteren Fahnen in der Mitte – zu sehen. 

Kaum muslimische Demonstranten

Der Fernsehjournalist Claus Strunz ergreift das Wort, neugierige Stille macht sich breit. Strunz moderiert die Veranstaltung. Der wiedererstarkende Antisemitismus mache ihm Angst, sagt er. Dann kündigt er die Rede von Berlins Regierendem Bürgermeister Michael Müller an. Sie ist geprägt von Worthülsen. „Antisemitismus hat in unserer Stadt keinen Platz“ spricht er ins Mikrofon. Schnell schallen Müller die ersten „Langweilig“-Rufe entgegen. Der anschließend sprechende Bischhof Markus Dröge benennt das Problem klarer, für ihn sei Antisemitismus Gotteslästerung. Nur gemeinsam könnten das Christen- und Judentum, der Islam und auch die Atheisten das Problem lösen. Ein Satz, den auch der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, Gideon Joffe, sagt. „Wir spüren auch die Unterstützung von muslimischer Seite“, fügte er hinzu.

In der ersten Reihe vor der Bühne hören Gäste wie Seyran Ates, die eine liberale Moschee in Berlin führt, oder Bekir Alboga vom muslimischen Verein Ditib zu. Dahinter sind jedoch kaum noch Muslime zu sehen. Hinten am Rand stehen viele Menschen, die um die 50 Jahre alt sind. Sie tragen Mäntel, Perlenohringe, Jeans und Stoffhosen. Keiner trägt hier Jogginghose oder Trainingsanzug. In der Mitte und dezentral stehen jüngere Menschen. Auch sie sind auffällig gut mit Jacketts, Anzügen oder Mänteln gekleidet.

Klaus Lederer, Berliner Kultursenator und Linken-Politiker, spricht linken Judenhass direkt an. Für ihn sei „das Fass am Überlaufen“. Der Doppelstandard, mit dem die Politik Israels und Palästina bewertet werde, sei „blanker Antisemitismus“. Auch der Grünen Politiker Cem Özdemir findet klare Worte. Bereits vor seiner Rede erhält er den lautesten Beifall mit Pfiffen und Rufen. Er weist auf die verschiedenen Ursprünge der Diskriminierung von Juden hin und geht besonders auf den muslimischen ein: „Auch arabischer Antisemitismus hat keine Chance sich hier einzunisten.“ Besonders die Lehrer will Özdemir mit dieser Aufgabe nicht allein lassen.

Deutsche Verantwortung

Ohne direkt die AfD zu benennen, ist seine Rede auch voller Spitzen gegen die Partei. Jedes Mal erhält er dafür Beifall vom Publikum. Die Demonstranten sprachen vor der Veranstaltung mehrheitlich über den Antisemitismus von rechts. Als Deutsche seien sie aus Verantwortung gegenüber der Schoah hier. Viele Vergleiche werden zur Zeit des Dritten Reiches gezogen. Als Özdemir über muslimischen Antisemitismus redet, herrscht anfangs betretene Zurückhaltung. Erst im Verlauf seiner Rede erhält er für diese Aussagen mehr Applaus. 

Volker Kauder, Vorsitzender der CDU/CSU-Fraktion, fordert ebenfalls: „Hören wir auf mit dem Gerede vom Einzelfall.“ Auch die Neuen müssten das wissen. Von Akzeptieren oder von Maßnahmen, dieses Wissen zu vermitteln, spricht er jedoch nicht. Felix Klein, der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, stellt fest, dass mit seinem neu geschaffenen Amt die Regierung das Problem offiziell anerkannt hat. Erst Dalia Grinfeld, Präsidentin der Jüdischen Studierendenunion, schafft es dann sehr eindrücklich zu vermitteln, wie es ist, als jüdisches Kind in Deutschland aufzuwachsen: Vor ihrer jüdischen Schule begrüßte sie den Polizisten immer mit den Worten: „Guten Morgen, Heinz.“

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