Kinderrechte im Grundgesetz - Erlesener Blödsinn

Die Große Koalition will explizit Kinderrechte mit in die Verfassung aufnehmen. Doch wäre den Kindern hierzulande deutlich mehr geholfen mit konkreten Maßnahmen anstatt nichtssagender Floskeln.

Bundesfamilienministerin Franziska Giffey anlässlich des Weltkindertags am 20. September vor dem Reichstag / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Kinder sind die Zukunft unseres Landes: Diesem Satz wird schon deswegen niemand widersprechen, weil er an Banalität kaum zu übertreffen ist. Es handelt sich schlicht um eine biologische Notwendigkeit. Wenn solche Feststellungen in der Sphäre des Politischen erklingen, verbindet sich damit allerdings eine Aufforderung: „Lasst uns mehr für die Kinder tun!“ Auch da dürfte allseitige Zustimmung sicher sein. Es handelt sich nämlich um ein Lippenbekenntnis frei von jeglichen Risiken.

Ein solches Lippenbekenntnis fand denn auch prompt seinen Weg in den Koalitionsvertrag. „Wir werden Kinderrechte im Grundgesetz ausdrücklich verankern“, heißt es in dem Dokument. Und weiter: „Kinder sind Grundrechtsträger, ihre Rechte haben für uns Verfassungsrang. Wir werden ein Kindergrundrecht schaffen.“ Das ist natürlich erlesener Blödsinn, und zwar gleich in mehrfacher Hinsicht. Denn wenn auch Kindern die Grundrechte zustehen (was keiner bestreitet), warum dann der Nachsatz, ihre Rechte hätten „für uns“ Verfassungsrang? Für die Großkoalitionäre SPD, CDU und CSU? Für uns alle? Für wen denn eigentlich nicht? Und zweitens: Wenn Kinder sowieso schon Grundrechtsträger sind, wozu braucht es dann ein eigenes „Kindergrundrecht“?

Wie wäre es mit konkreten Taten?

Das Elend nahm seinen Lauf, der Koalitionsvertrag wurde abgearbeitet. Und so gebaren die Unterhändler der Parteien neue sinnlose Formulierungen. „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen“, lautet jetzt also die Passage, mit der die Groko den sechsten Artikel unseres Grundgesetzes ergänzen will. Gefolgt von: „Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“ Der Staatsrechtler Otto Depenheuer sprach angesichts solcher Verfassungspoesie von „juristisch leerlaufenden Plattitüden und Trivialitäten“.

Womöglich findet auch die Pflicht zur Digitalisierung bald Einzug ins Grundgesetz – 
ich stehe gern für nichtssagende Formulierungsvorschläge bereit. Man könnte aber auch einfach mal ganz konkret etwas tun, anstatt irrlichternd das Grundgesetz zu verhunzen. Wenn nur schon in Lockdown-Zeiten der digitale Fernunterricht an deutschen Schulen klappen würde, hätten die Kinder einiges mehr gewonnen als mit absurden Spezial-Grundrechten.
 

Dieser Text stammt aus der Februar-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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