Karlsruhe urteilt über BND-Praxis - Schluss mit dem Daten-Fischen

Das Bundesverfassungsgericht hat der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes enge Grenzen gesetzt. Für Journalisten im Ausland ist das eine gute Nachricht. Der BND selbst aber muss sich auf neue bürokratische Hürden einstellen.

Der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts Stephan Harbath verkündet das Urteil / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Die Pressefreiheit und die Freiheit der Berichterstattung durch Rundfunk und Film werden gewährleistet“, heißt es in Artikel 5, Absatz 1 des deutschen Grundgesetzes. Und in Artikel 10, Absatz 1 steht unmissverständlich: „Das Briefgeheimnis sowie das Post- und Fernmeldegeheimnis sind unverletzlich.“ So weit, so klar, so unstrittig. Die Frage, über die das Bundesverfassungsgericht jetzt zu befinden hatte, war auch deswegen so heikel, weil es darum ging, wer sich auf den Schutz durch diese beiden Grundrechte berufen kann.

In Artikel 1, Absatz 3 der deutschen Verfassung wird lediglich festgehalten, dass die nachfolgenden Grundrechte die deutsche Legislative, Exekutive und Judikative „als unmittelbar geltendes Recht“ binden. Aber gilt das auch, wenn Ausländer im Ausland durch Aktivitäten etwa einer deutschen Behörde betroffen sind? Mit seinem Urteil vom 19. Mai hat der Erste Senat diese Frage im Grundsatz bejaht.

Ein „deutsches Exklusivrecht“

Worum genau geht es? Bei den Beschwerdeführern handelt es sich um den Verein „Reporter ohne Grenzen“ und um fünf weitere Medienorganisationen sowie mehrere im Ausland arbeitende Investigativ-Journalisten, die sich durch das deutsche BND-Gesetz in ihrer Arbeit gefährdet sehen. Denn auf Grundlage dieses Gesetzes darf der Bundesnachrichtendienst die Kommunikation von Ausländern im Ausland praktisch unbegrenzt überwachen – und zwar in großem Ausmaß und auch ohne konkreten Anlass. Während den Ermittlungsbehörden innerhalb der Bundesrepublik beim Datenfischen enge Grenzen gesetzt sind, sollte das also außerhalb des eigenen Territoriums nicht gelten, sofern keine Deutschen betroffen sind. Das Presserecht sei mithin ein „deutsches Exklusivrecht“, hatte „Reporter ohne Grenzen“ moniert.
 
Das Bundesverfassungsgericht hat die Notwendigkeit der Auslandsaufklärung mit seinem aktuellen Urteil zwar anerkannt, deren Rechtmäßigkeit aber an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Die Früherkennung von aus dem Ausland drohenden Gefahren gehöre zwar zu den Aufgaben des BND, allerdings müsse es sich um Gefahren handeln, „die sich ihrer Art und ihrem Gewicht nach auf die Stellung der Bundesrepublik in der Staatengemeinschaft auswirken können und gerade in diesem Sinne von außen- und sicherheitspolitischer Bedeutung sind“, so einer der Leitsätze aus Karlsruhe.

Keine Kanonen auf Spatzen

Es darf also gewissermaßen nicht mit Kanonen auf Spatzen geschossen werden. Erforderlich für die Datenüberwachung im Ausland seien unter anderem „eine Begrenzung der zu erhebenden Daten“, die „Festlegung qualifizierter Überwachungszwecke“ sowie „Rahmenbestimmungen zur Datenauswertung“ und nicht zuletzt auch klar definierte Löschungspflichten. Entsprechende Änderungen am BND-Gesetz müssen bis Ende nächsten Jahres erfolgen.
 
Dass die Beschwerdeführer dieses Urteil als großen Erfolg feiern, ist verständlich. Zumal es ja auch darum ging, ob ausländische Journalisten sich auch außerhalb der Bundesrepublik auf Artikel 1, Absatz 3 berufen können. Der apodiktische Satz des Ersten Senats dazu lautet: Die Bindung der deutschen Staatsgewalt an die Grundrechte sei „nicht auf das deutsche Staatsgebiet begrenzt“. Zwar könne sich der Schutz der einzelnen Grundrechte im Inland und Ausland unterscheiden, aber die in den Artikeln 5 und 10 gewährten Abwehrrechte gegenüber einer Telekommunikationsüberwachung erstreckten sich „auch auf Ausländer im Ausland“. Exklusivrechte für Deutsche sind es gemäß dem heutigen Urteil jedenfalls nicht.

Informanten trauen sich nicht aus der Deckung

„Reporter ohne Grenzen“ und die anderen Beschwerdeführer hatten vor Gericht vorgebracht, dass insbesondere Investigativ-Journalisten auch im Ausland bei ihrer Arbeit behindert würden, wenn sie damit rechnen müssten, bei ihren Recherchen vom deutschen Nachrichtendienst ausgeforscht zu werden. Informanten würden sich dann nämlich nicht mehr aus der Deckung trauen, zumal unter den Geheimdiensten verschiedener Länder die Praxis des „Ringtauschs“ verbreitet sei.

Gemeint ist der Austausch von Informationen nach dem Motto: „Wir haben etwas, das euch interessieren könnte – und das bekommt ihr, wenn ihr mit Informationen rausrückt, die für uns relevant sein könnten.“ Mit dem Ergebnis, dass Informanten auch im Ausland damit rechnen müssten, über den Umweg des BND-Aufklärungszentrums Pullach vom heimischen Nachrichtendienst enttarnt zu werden. Die deutschen Verfassungsrichter haben sich diese Befürchtung zu eigen gemacht.

„Schönwetter-Urteil“

Das klingt alles durchaus nachvollziehbar und ist zweifelsfrei eine gute Nachricht im Sinne der Pressefreiheit – Stichworte „Panama-Papers“ und „Paradise-Papers“, wo im Rahmen journalistischer Recherchen Steuer- und Geldwäsche-Delikte großen Stils aufgedeckt werden konnten. Die Kehrseite des Karlsruher Urteils betrifft aber die praktische Aufklärungsarbeit des deutschen Auslandsgeheimdienstes. Ein ehemaliger hochrangiger BND-Mitarbeiter bezeichnete den Karlsruher Spruch als „Schönwetter-Urteil“, mit dem der BND „blind und taub gemacht“ werde. Es würden bürokratische Hürden aufgestellt, die die Aufklärungsarbeit deutlich erschwerten. Der Bundesnachrichtendienst werde dadurch noch schwerfälliger als er es ohnehin schon sei.
 
Das mögen die üblichen Klagen eines (ehemaligen) Froschs sein, dessen Teich demnächst nach dem Willen der Karlsruher Richter zwar nicht trockengelegt, aber eben doch deutlich entwässert werden soll. Man kann allerdings davon ausgehen, dass insbesondere auf der linken Seite des politischen Spektrums das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Anlass genommen werden wird, um die Möglichkeiten des BND so weit wie möglich zurückzustutzen. Denn etlichen Parlamentariern sind Geheimdienste, deutsche zumal, grundsätzlich suspekt. Und keiner weiß das besser als der Vorsitzende des Ersten Senats, der beim Bundesverfassungsgericht für die Causa BND zuständig war: Stephan Harbarth, der demnächst die Nachfolge Andreas Voßkuhles als Gerichtspräsident antritt, war in seinen neun Jahren als CDU-Bundestagsabgeordneter immerhin lange genug Mitglied des Innenausschusses.

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