Karin Prien - Schnell in der Kurve

Die guten Umfrageergebnisse für die Grünen zehren an den Nerven der CDU. Soll die Partei den liberalen Kurs von Angela Merkel beibehalten oder ihr konservatives Profil schärfen? Schleswig-Holsteins Bildungsministerin Karin Prien hat sich für eine Seite entschieden

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Karin Prien: „Die CDU darf den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft nicht verlieren“ / Foto: Bertold Fabricius
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Im Ministerbüro von Karin Prien in Kiel hängt seit ein paar Wochen ein Nolde. Noch ist es eine Kopie, aber das Original ist schon bestellt, als Leihgabe der Nolde-Stiftung. Schließlich gilt der Expressionist als großer Sohn des Landes Schleswig-Holstein. „Es ist unser Nolde“, sagt die Christdemokratin. In Berlin thematisiert derzeit eine Ausstellung die Verstrickungen des Malers in den Nationalsozialismus. Im Kanzleramt lässt Merkel zwei Noldes abhängen. Prien hingegen warnt vor „hysterischen Moraldebatten“.

Sie hat ein Gespür für politische Symbolik. Längst macht Karin Prien so nicht nur im Norden, sondern auch in Berlin von sich reden. Im Sommer vergangenen Jahres initiierte sie die Gründung der „Union der Mitte“, als Antwort der Merkelianer auf die „Werteunion“ am rechten Rand der Partei. Die Gründung sei notwendig gewesen, um einen Rechtsruck in der CDU zu verhindern, sagt sie, „um der schweigenden Mehrheit in einer existenziellen Situation eine Stimme zu geben“. Die CDU dürfe den Kontakt zur Mitte der Gesellschaft und ihrem Lebensgefühl nicht verlieren, so Prien, die Partei könne rechts gar nicht so viele Wähler hinzugewinnen, wie sie derzeit wieder drohe, in der Mitte zu verschrecken.

„Die CDU darf nicht nur verhindern wollen“

Wie groß das liberale Netzwerk in der CDU ist, sei schwer zu beziffern, sagt Prien, der engere Kreis bestehe aus rund 100 Mitgliedern, die Zahl der Unterstützer gehe in die Tausenden. Von der Mitteunion wird weiter zu hören sein, in die Diskussion um das neue Grundsatzprogramm werde man sich aktiv einmischen. In der Klimapolitik etwa kritisiert die CDU-Politikerin die zögerliche Haltung ihrer Partei zur CO2-Steuer. „Die CDU muss belegen, dass sie mit Maß und Mitte die bessere Klimapolitik machen kann, dieser Beleg wird derzeit nicht geführt.“ Und: „Die CDU darf nicht nur verhindern wollen.“ Es würde nicht überraschen, wenn Prien das innerparteiliche Netzwerk irgendwann als Sprungbrett in die Bundespolitik nutzen sollte.

In der großen Politik ist die 54-Jährige allerdings eine Späteinsteigerin. Zwar trat Prien schon 1981 mit 16 Jahren als Schülerin in Rheinland-Pfalz in die CDU ein und engagierte sich in der Jungen Union. Doch dann widmete sie sich ihrem Beruf als Wirtschaftsanwältin in Hamburg sowie ihren drei Söhnen. Erst 2011 nahm Priens politische Karriere Fahrt auf, mit der Wahl zur Abgeordneten der Hamburger Bürgerschaft.

In Hamburg engagiert sich Prien zunächst für ein Volksbegehren gegen die schwarz-grüne Bildungspolitik, ab 2015 tritt sie dann für eine liberale Integrationspolitik ein, verteidigt Merkels Flüchtlingspolitik. Als sie auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise vorschlägt, Flüchtlinge auch privat unterzubringen, wenn sich die Wohnungsbesitzer dazu bereit erklären, schlagen ihr Wut und Hass entgegen, sie erhält Morddrohungen.

Die Kurskorrektur

Prien wehrt sich gegen jedes Schubladendenken. Den Vorwurf, sie habe sich von einer konservativen zu einer linksliberalen Politikerin gewandelt, nennt sie „abwegig“, sie habe immer das gemacht, was sie für richtig halte. Wobei Prien ihre Motivation, sich politisch zu engagieren, aus ihrer Familiengeschichte erklärt. Ihre beiden Großväter waren Juden, der eine musste vor den Nazis fliehen, der andere vor Kommunisten in der Tschechoslowakei; geboren wurde Prien in Amsterdam. „Ich stamme aus einer typischen europäischen Migrantenfamilie, deshalb weiß ich, wie existenziell für eine Gesellschaft Rechtsstaat, Freiheit, politischer Pluralismus sind.“

In der altehrwürdigen Hamburger CDU, die sich nach der kurzen schwarz-grünen Ära unter Ole von Beust wieder in der Opposition eingerichtet hat, eckt Prien an. Sie twittert und simst, ist immer für einen schnellen oder auch zu schnellen Kommentar gut, sie drängelt sich in den Vordergrund und macht sich Feinde. 2017 wechselt Prien nach Kiel, wird Ministerin in der Jamaika-Regierung unter Ministerpräsident Daniel Günther. Inzwischen ist sie in Schleswig-Holstein auch stellvertretende CDU-Landesvorsitzende.

Frisch im Amt, muss Prien erst einmal eine Kurskorrektur vollziehen. In Hamburg kämpfte sie für G 8, in Kiel führte sie das neunte Gymnasialjahr wieder ein. Sie habe lernen müssen, wie sehr Bildung in Deutschland einen eigenen Wert habe und dass es nicht nur darum geht, Bildung nach den Anforderungen der Wirtschaft zu konfektionieren. Doch eigentlich will Prien lieber über Schulqualität reden, über höhere Bildungsstandards. „Wir müssen aufhören, ständig die Schulstrukturen zu ändern.“

Prien verhehlt ihren Ehrgeiz kaum. Bevor sie von Hamburg nach Kiel wechselte, gab ihr allerdings ein Hamburger Parteifreund einen gut gemeinten Hinweis: „Wenn man so schnell unterwegs ist wie du, dann fliegt man auch mal aus der Kurve.“ Doch bislang hält sich Prien, auch wenn manche Kurve eng ist.

Dieser Text stammt aus der Juni-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können.

 

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