Söder gegen Laschet - „Es war keine Erpressung. Es war ein Weckruf!“

Wird Markus Söder doch Kanzlerkandidat der Union? Bei der letzten Fraktionssitzung hat sich die Mehrheit der Abgeordneten hinter ihn gestellt, darunter auch Matern von Marschall. Hier erzählt er, wie die Sitzung „orchestriert“ wurde und was passiert, wenn sich Söder und Laschet nicht einigen können.

Orchestrierte Aktion: Dass sich der Wind in der Unionsfraktion zugunsten von Markus Söder gedreht hat, war kein Zufall / dpa
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Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Matern von Marschall ist Verleger in Freiburg und sitzt seit 2013 für die CDU im Bundestag. Zusammen mit sechs anderen CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg hat er sich schon in der vergangenen Woche in einem offenen Brief hinter Markus Söder (CSU) gestellt. 

Herr von Marschall, Sie haben sich zusammen mit sechs anderen CDU-Bundestagsabgeordneten aus Baden-Württemberg in einem Brief hinter Markus Söder als Kanzlerkandidaten gestellt – nicht hinter Ihren Parteichef. Kann Laschet nicht Kanzler?

Beide können Kanzler, aber wenn wir als direkt gewählte Abgeordnete vor Ort mal in unsere Wahlkreise hineinhören, dann ist die Stimmung im Südwesten eindeutig: Kommt bitte mit Markus Söder in den Wahlkampf.

Was hat denn Söder, was „Häuptling Wirdsonix“ nicht hat?

Er hat genaue Vorstellungen über die Schwerpunkte im Wahlkampf. Erstens Bekämpfung der AfD, zweitens Verbindung von Wirtschaft und Klimaschutz. Diesen beiden Themen werden nach meiner Einschätzung die Wahl entscheiden, die Bekämpfung der AfD im Osten und der Klimaschutz im Südwesten.

Zum Showdown der beiden ist es nur gekommen, weil Söder die Personalfrage in die Fraktionssitzung getragen hat  – und das, obwohl er noch einen Tag vorher gesagt hatte, wenn das CDU-Präsidium sich für Laschet ausspreche, werde er das „ohne Groll“ akzeptieren. Hat Sie diese 180-Grad-Wendung überrascht?

Es war keine 180-Grad-Drehung.

Was denn?

Söder hat gesagt – und dieses kleine Wort ist wichtig – dass die CDU in ihrer „Breite“ über den Kandidaten entscheiden muss. Und das bedeutet nicht nur im Präsidium und unter den Bundestagsabgeordneten, sondern auch unter den Kreis- und Ortsverbänden und in der Öffentlichkeit. Und da haben sich die positiven Umfragen über Söder stabil über Monate gehalten.

Verraten die nicht mehr über Söders Talent, sich als Macher in der Krise zu profilieren, als über seine tatsächlichen Fähigkeiten?

Ich denke, er kann beides: Er hat Führungsstärke – und er kann sich gut verkaufen. 

Laschet hatte gedacht, der Rückhalt des Präsidiums reiche aus für eine Kanzlerkandidatur. Söder fordert, die Basis müsse gefragt werden. Und weil es kein Verfahren gibt, wähnen sich beide im Recht.

Genau das ist der Punkt. Die Parteien haben es versäumt, sich auf ein Verfahren zu verständigen, um die Nachfolge zu regeln. In der Fraktion sind sich aber eigentlich alle darüber einig, dass sich Markus Söder und Armin Laschet untereinander verständigen sollten, wer als Kandidat antritt.

Wie soll das gehen? Mit Armdrücken? Münze werfen? Oder spielen sie Hau-ab-Du-schielst?

Das muss ich den beiden überlassen. In der Vergangenheit ist es mal ein Frühstück gewesen. Vielleicht ist es jetzt ein Mittagessen oder ein Abendessen oder ein Spaziergang im Berliner Tiergarten.    

Matern von Marschall / dpa 

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Was verrät es über die CDU, wenn die Basis plötzlich gegen die einhellige Empfehlung des Präsidiums rebelliert?

Ich denke, die Führungsspitze der Partei sollte das Ohr näher an der Basis haben.

Wissen die da oben nicht, was die da unten wollen?

Es ist wichtig, dass es da eine Verbindung gibt. Als Helmut Kohl Kanzler war, war das noch anders. Der hat in regelmäßigen Abständen alle Kreisvorsitzenden in Deutschland angerufen, um sich nach der Stimmung vor Ort zu erkundigen.

Zurück zur Fraktionssitzung. Die ist sehr gut dokumentiert durch Medienberichte. Dabei war sie nicht öffentlich. Einzelne Abgeordnete hatten aber offenbar ein Interesse daran, die Nachricht zu verbreiten, dass sich eine Mehrheit für Söder abzeichnet.

Ralph Brinkhaus hat das mit Recht kritisiert.

Warum mit Recht? Genau das wollten Sie doch.   

Das Gremium tagt eigentlich vertraulich. Das Thema ist aber zu sensibel und entscheidend für die Zukunft der Union. Es ist nicht in Ordnung, wenn die Bild-Zeitung Abgeordnete namentlich zitiert. Es gab übrigens 70 Wortbeiträge ...

... von denen zwei Drittel für Söder gestimmt haben sollen. Hat da jemand gesessen und Strichliste geführt, oder warum ist diese Zahl so genau dokumentiert?

Ich selber hab nicht mitgezählt und auch keine Strichliste geführt. Aber bei so einer wichtigen Frage gibt es Kollegen, die das aufmerksamer verfolgen und offenbar auch die Medien informieren. Und auch ohne formale Erhebung kann ich sagen, dass Armin Laschet zwar die überwältigende Unterstützung seines Landesverbandes genießt, dass aber in fast allen anderen Landesverbänden Markus Söder gute bis sehr gute Noten bekommt.

Beobachter sagen, der Showdown sei „orchestriert“ worden. Wie muss man sich das vorstellen? Haben Söders Leute alle Mitglieder vorher abtelefoniert und einzeln auf ihn eingeschworen?

Selbstverständlich haben sich die, die sich für ihn stark machen wollten, auch an andere Kollegen gewandt. Aber das wäre ja komisch, wenn es nicht so wäre.

Hat es die CSU systematischer gemacht?

Offensichtlich ein Stück weit schon. In der Summe: Punktsieg für Söder. Wichtig ist aber in diesem Zusammenhang, dass am Montagabend vor der Fraktionssitzung die Landesgruppen getagt haben. Und dort ist dieses Thema auch schon erörtert worden.

Das heißt, die hatten sich vorher schon eingestimmt?

Ja, ja. In der Landesgruppe Baden-Württemberg hatten wir am Montag einen sehr intensiven Austausch. Und aus diesen Gruppen wurde nichts nach außen getwittert.

Sie hatten sich in der vergangenen Woche zusammen mit sechs anderen CDU-Abgeordneten aus Baden-Württemberg in einem offenen Brief hinter Markus Söder gestellt. Was haben Sie sich von dieser Aktion versprochen?

Dass überhaupt mal eine Diskussion über die Frage erfolgt: Welche Kriterien spielen eine Rolle bei der Frage, wer der chancenreichere Kanzlerkandidat ist. Insofern hat dieser Brief schon etwas in Bewegung gebracht. Ich habe in erster Linie positive Rückmeldungen aus meinem Wahlkreis bekommen – auch von Menschen, die gar nicht Mitglied der CDU sind.

Aus heutiger Sicht sieht es so aus, als hätten Sie und die anderen Mitunterzeichner Söders Triumphzug vorbereitet.

Sagen wir es so: Der Brief war so etwas wie ein Startschuss dafür, dass sich auch Kollegen in anderen Landesverbänden bewegt haben. Er hat den einen oder anderen ermutigt, sich zu äußern.

Sind Sie stolz auf sich, dass dieses Kalkül in der Fraktionssitzung aufgegangen ist?

Ich bin überrascht, dass die Reaktion so stark war. Ich habe nicht damit gerechnet, dass die Unterstützung für Söder in weiten Teilen Deutschlands so stark ist.

Bei der Fraktionssitzung haben Sie deutliche Worte gesprochen. Sie haben gesagt, es würde schwierig werden, Wahlkampfhelfer zu finden, wenn der Kandidat nicht Söder, sondern Laschet heißt. Herr von Marschall, das klingt fast nach Erpressung.

Ich hab es als Weckruf gesehen. Es ist wichtig, Begeisterung in den Wahlkampf zu kriegen, weil sich bei den Menschen das Gefühl breitmacht, es gehe heute nur noch um die Person des Spitzenkandidaten. Viele haben deshalb das Gefühl, dass es gar nicht um ihre eigene Mitwirkung geht, und deshalb brauchen Sie vorne jemanden, der auch begeistern kann. 

Aber woher kommt Ihre plötzliche Liebe zu Markus Söder? Wie können Sie jemandem vertrauen, der 2018 in Bayern noch Wahlkampf mit AfD-Rhetorik gemacht hat und heute Bäume umarmt?

So polemisch würde ich das gar nicht zuspitzen. Markus Söder hat erkannt, was die wichtigen Themen für die Zukunft sind, die zugleich auch die Menschen bewegen, nämlich der Kampf gegen die rechtsradikale AfD und ein wirksamer Klimaschutz. Deswegen war in der Fraktionssitzung auch der Beifall der Abgeordneten aus den neuen Bundesländern so groß. Die AfD ist dort der ärgste Gegner.

Wie hat der Parteichef eigentlich darauf reagiert, dass ihm plötzlich ein Christdemokrat nach dem anderen in den Rücken gefallen ist?

Ich konnte das nicht genau sehen, denn ich habe per Video an der Sitzung teilgenommen, weil der Fraktionssaal coronabedingt nicht groß genug für alle war. Es war eine so genannte hybride Sitzung. Aber in der Bild-Zeitung las ich hinterher, seine Miene sei versteinert gewesen.

Kein Wunder. Mit einem Ja zu Söder beschädigen Sie jetzt nicht nur Laschet als Parteichef, sondern auch die CDU. Viele Wähler werden sich fragen: Wie vertrauenswürdig ist eine Partei, die ihrem eigenen Chef nicht die Kanzlerkandidatur zutraut?

Weiß ich gar nicht. Ich wollte auf die Bedeutung des Wahlkampfes und der Basis hinweisen. Wenn Armin Laschet Kanzlerkandidat wird, werde ich natürlich auch ihn nach Kräften unterstützen.

Ihr CDU-Landeschef Thomas Strobl hat gesagt, die Union will nicht jetzt Umfragen gewinnen, sondern im Herbst die Bundestagswahl. Bis dahin, so hofft man, ist Deutschland einmal durchgeimpft und aus dem Corona-Tief wieder heraus. Was würden Sie ihm antworten?

So einfach können wir es uns nicht machen. Erstens bin ich nicht sicher, dass wir Corona bis Anfang des Sommers hinter uns gelassen haben werden. Zweitens ist es noch keine Antwort auf die Frage: Was sind unsere größten Zukunftsfragen? Was kann die Union tun, um die Zustimmung der Wähler zu gewinnen?

Baden-Württemberg ist Söder-Land. 30 von 34 CDU-Abgeordneten wollen lieber den bayerischen Ministerpräsidenten als neuen Kanzler haben als den eigenen Parteichef. In kaum einem anderen Bundesland ist das Image der CDU so angeschlagen wie dort. Eine ganze Reihe von Christdemokraten ist in Maskenskandale verwickelt, dazu kommt die Klatsche bei der Landtagswahl. Setzen Sie nicht deshalb auf Umfragen und Söder, um Ihre Mandate bei der Bundestagswahl zu retten?

Es wäre vollkommen abwegig, wenn Abgeordnete nicht darauf schauen würden, dass die Wahl auch die beste Chance für sie selbst mitbringt. Ich bin mit Leib und Seele Abgeordneter und werde darum kämpfen, dass das nochmal gelingt. Aber ich bin nicht verbissen.

Bis Ende der Woche sollen es Söder und Laschet unter sich ausmachen, wer nun als Kanzler kandidiert. Ihre Prognose: Wie geht es aus?

Ich kann es Ihnen wirklich nicht sagen. Ich bin noch nicht hundertprozentig sicher, dass es zu einer Entscheidung kommt.

Es ist schwer vorstellbar, dass einer von beiden dem anderen den Vortritt lässt. Was passiert, wenn sie sich nicht einigen können?

Dann wird es vielleicht doch nochmal auf die Fraktion ankommen.

Hätte das Thema dort nicht sowieso von Anfang an hingehört?

In der Fraktion sähe man es jetzt lieber, wenn es die beiden unter sich ausmachen. Eine Abstimmung in der Fraktion bringt immer die Gefahr mit sich, dass ein Riss in der Partei dokumentiert wird und sich ein Graben auftut. Und das wollen wir im Wahlkampf natürlich vermeiden.

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt. 

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