Aus dem Alltag eines Merkel-Doubles - „Jedes Mal dieser Schock: Huch, die Kanzlerin“

Wenn Ursula Wanecki privat unterwegs ist, kommt es vor, dass sie mit „Frau Bundeskanzlerin“ angesprochen wird. Das hat die Bürokauffrau auf die Idee gebracht, als Doppelgängerin von Angela Merkel zu arbeiten. Der Job hat die Tür zu einer Welt geöffnet, die ihr bis heute fremd geblieben ist.

Nicht ohne meine Raute: Ursula Wanecki doubelt die Kanzlerin / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

So erreichen Sie Antje Hildebrandt:

Anzeige

Eigentlich ist Ursula Wanecki Bürokauffrau, doch seit 15 Jahren hat die gebürtige Polin, die heute mit ihrer Familie im Sauerland lebt, ein lukratives Hobby: Sie tritt als Bundeskanzlerin bei Firmen-Events, privaten Geburtstagen und in TV-Shows auf. 

Frau Wanecki, schon 2018 haben Sie gesagt, Sie seien amtsmüde geworden. Was ist so anstrengend daran, als Kanzlerin aufzutreten?

Ich werde manchmal für Dreharbeiten von TV-Sendungen gebucht. Ich bin Stammgast in der „heute-show“, aber die Aufträge kommen immer ganz kurzfristig, weil die politischen Themen immer aktuell sind. Man muss sich schnell entscheiden. Ich habe aber noch einen festen Job als Bürokauffrau. Solche Dreharbeiten bedeuten Stress.

Dabei treten Sie ja nur einige Male im Jahr als Kanzlerin auf, Angela Merkel aber ist an 365 Tagen im Jahr Angela Merkel. Hat Ihnen Ihr Job eine Ahnung davon vermittelt, was es bedeutet, den Job der Kanzlerin zu machen?

Ja, klar. Der Terminkalender der Kanzlerin ist ja öffentlich, ich gehe da häufiger mal rein, um zu gucken, was sie gerade macht. Und sie arbeitet unermüdlich für unser Land. Also, ich weiß nicht, wie viele Auslandsreisen sie pro Jahr als Kanzlerin macht. Vielleicht so 40 bis 50. Mich strengen schon die zwei, drei Reisen an, die ich im Jahr unternehme. Wie schafft sie das alles? Es ist unglaublich.

Die Kritiker der Kanzlerin werfen ihr vor, sie habe in der Flüchtlingskrise völlig versagt und sei zum Beispiel schuld daran, dass die AfD so stark geworden sei. Ihre  Anhänger loben sie dafür, dass sie es als Frau geschafft hat, sich in der von Männern dominierten Branche zu behaupten und Widersacher aus dem Weg zu räumen. Was sagen Sie?

Ich mag die Kanzlerin wirklich. Für mich ist sie ein Vorbild. Sie zeigt, dass Frauen auch führen können. Sie ist eine große Demokratin. Ich bewundere sie für ihren Mut für politische Entscheidungen. Ich bin seit drei Jahren auch Mitglied der Frauen-Union. Der Job als Double hat mein Interesse für Politik geweckt.

Würden Sie die Kanzlerin auch doubeln, wenn Sie nicht hinter Ihrer Politik stehen würden?

Nein.

Warum nicht?

%paywall%

Gute Frage. Ich glaube, wir sind uns nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich ähnlich. Visagisten können jetzt einiges mit ihrer Arbeit herausholen. Aber man muss ja auch durch sein Auftreten überzeugen. Vielleicht werde ich von allen Merkel-Doubles deswegen so oft gebucht, weil ich Frau Merkel sehr mag, und ich mich mit ihrer Politik identifizieren kann.

Sollten Profis das eine nicht vom anderen trennen können? 

Mag sein, aber ich muss mich gar nicht verstellen, um als Merkel aufzutreten. Ich ziehe meinen roten Blazer und meine schwarze Hose an, ich gehe aus dem Haus, und ich bin Angela Merkel.

Aber deswegen müssen Sie die Kanzlerin ja nicht auf einen Sockel stellen. 

Nein, aber zu ihrer Arbeit äußere ich mich grundsätzlich nicht. Das ist nicht mein Job. Das maße ich mir auch nicht an. Sie ist eine gute Krisenmanagerin. Sie ist in jeder Krise gewachsen. Klar, trifft man da auch mal eine falsche Entscheidung. Das gehört doch dazu.

Wie sind Sie auf die Idee gekommen, sie zu doubeln?

Das begann schleichend. Schon lange bevor ich den Job übernahm, haben meine Bekannten gesagt: „Du siehst aus wie Angela Merkel.“ Und dann kam der Karneval, und dann bin ich einfach als Merkel gegangen. Ich musste ja dafür nicht viel machen. Ich war überrascht, wie gut das ankam. Und dann haben die mich überredet, mich bei einer Double-Agentur anzumelden. Und dann kam schon der erste Job. Es war Bundestagswahlkampf, und für Stefan Raab habe ich erste Clips gedreht. Ich hatte riesige Angst.

Wovor?

Dass Stefan Raab die Clips kommentiert. Aber ProSieben hat mir versprochen, dass er das nicht tut.

Aber so groß ist die Ähnlichkeit zwischen der Kanzlerin und Ihnen gar nicht – mal von der Friseur, der Figur und den zu knappen Sakkos abgesehen.

Das ist ja das Erstaunliche. Es haben mir auch schon andere gesagt, sie würden die Ähnlichkeit gar nicht sehen. Aber es gibt eben auch viele, die sehen die Frau Merkel in mir. Dafür muss ich gar nicht erst Blazer und Hose anziehen. Auch wenn ich privat im Kleid unterwegs bin, werde ich als „Frau Bundeskanzlerin“ angesprochen.

Nein.

Doch, gerade ist mir das wieder in Dresden passiert. Ich kam da völlig gestresst mit meiner Tochter in einem Hotel an. Und eine Gruppe von Rentnern fragte: „Frau Merkel, wie geht es Ihnen gesundheitlich?“

Und wie reagieren Sie?

Ach, das sind jedes Mal lustige Situationen. Dieser Schock, huch, das ist die Kanzlerin. Natürlich merken die Leute schnell, dass ich nicht die echte Merkel bin.

Spätestens Ihr polnischer Akzent räumt jeden Zweifel aus.

Nein, ich rede ja überhaupt nicht. Ich lächle, ich winke. Ich lasse mich fotografieren. Aber politische Statements gebe ich grundsätzlich nicht. Da habe ich viel zu große Angst, was Falsches zu sagen.

Aber ist so ein Akzent nicht hinderlich?

Nein, im Gegenteil. Wenn ich bei Geburtstagsfeiern eingeladen bin, komme ich natürlich schon mit den anderen Gästen ins Gespräch. Ich sage zum Beispiel zur Begrüßung: „Ich habe heute sehr lange mit Wladimir Putin telefoniert“, dann habe ich die Lacher auf meiner Seite. Einmal war ich auch auf der Geburtstagsfeier eines russischen Milliardärs, da musste ich eine Rede über sein Leben auf Russisch vorlesen. Die Gäste fanden das sehr lustig.

Weil Merkel nicht in dem Ruf steht, dass sie Russland besonders gerne mag?

Nehme ich mal an. Ich dachte erst, das wäre eine Falle. Aber das war es nicht. Erstaunlich, oder? Die Kanzlerin hat so viele Feinde. Aber sogar ihre Kritiker wollen ein Selfie mit ihr haben.

Nach 16 Jahren Merkel sind viele der Kanzlerin überdrüssig. Merken Sie das bei Ihren Auftritten auch?

Eigentlich überhaupt nicht. Aber mir ist schon aufgefallen, dass Frau Merkel im Ausland mehr geschätzt wird als in Deutschland. Alle freuen sich da, mich zu sehen. Alle wollen Selfies mit mir machen.

In einem Interview mit der SZ haben Sie mal gesagt, hierzulande schauten Sie sich auf der Rolltreppe immer aus Angst um, jemand könne Sie schubsen.

Ja, in Berlin mache ich das tatsächlich. Das ist die Kehrseite meines Jobs – diese Angst. Die hatte ich vorher nicht.

Woher rührt die denn?

Ach, die Kanzlerin wird nicht von allen freundlich behandelt. Aber da ist sie nicht die einzige Politikerin. Es laufen viele Irre herum in der Welt.

Aber immerhin haben Sie als Merkel-Double jetzt auch einen gewissen Bekanntheitsgrad erreicht. War das nicht Ihr Ziel – neben der Gage?

Nein, ich kenne Doubles, die den Job wirklich nur machen, um berühmt zu werden. Die machen sich lächerlich. Man muss da sehr aufpassen. Ich wollte immer Ursula Wanecki bleiben. Deswegen habe ich auch nie alle Aufträge angenommen. Ich habe mir die immer gut ausgesucht.

Was war denn Ihr schönster Moment als Merkel-Double?

Ach, da gab es einige. Aber gerne erinnere ich mich an die Documenta in Griechenland. Da habe ich einige schöne Tage erlebt. Dabei bin ich da nur hingeflogen, um einen Satz zu sagen, während ich Oliven aus einem Fass geangelt habe: „Das ist das griechische Gold. Jetzt ist Griechenland alle seine Schulden los.“

Haben Sie die Kanzlerin eigentlich auch mal persönlich getroffen?

Nein, leider nie. Dabei würde ich sie gerne mal was Privates fragen. Was sie macht, wenn sie als Kanzlerin aufhört. Was sie gerne kocht.

Hätten Sie keine Angst davor, dass sie sich im Gespräch entzaubern könnte? 

Nein, ich habe da ein gutes Gefühl. Privat ist die bestimmt ganz anders als Regierungschefin.

Was bleibt denn von Merkel, wenn Merkel geht?

Ach, ich glaube nicht, dass sie sich ganz aus der Politik zurückzieht. Nach so langer Zeit in so einem Amt kann man nicht einfach einen Schlussstrich ziehen und gar nichts mehr machen. Das geht nicht. Sie wird sich eine kleinere Aufgabe suchen, um langsam herunterzufahren. Ich mache das auch so. Ich habe mich zum Beispiel für den Seniorenbeirat in meiner Stadt beworben.

Aber werden Sie die Merkel so einfach los?

Nein, so schnell geht das nicht. Ich double die schon so lange. Hier in meinem Ort sagt kein Mensch „Ursula“ zu mir. Da sagen alle nur „Hallo, Angie!“

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt

Anzeige