Kandidatensuche der SPD - Verlieren mit gutem Gefühl

Die SPD sucht einen Kanzlerkandidaten, und die Parteilinke hätte da eine Idee: Rolf Mützenich, Fraktionsvorsitzender. Den kennt zwar kaum jemand, aber weil das Kanzleramt ohnehin unerreichbar ist, spielt das auch keine Rolle. Und Olaf Scholz bliebe auch noch eine Quälerei erspart.

Rolf Mützenich und Olaf Scholz im vergangenen November nach einer SPD-Klausur / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der SPD-Parteivorsitzende Norbert Walter-Borjans sprach von „Mutmaßungen“ und davon, dass er und seine Co-Chefin Saskia Esken noch auf niemanden festgelegt seien. Zugleich rückte er in einem Interview mit der Rheinischen Post weiter davon ab, selbst als Kanzlerkandidat der SPD anzutreten. Rolf Mützenich, der SPD-Fraktionsvorsitzende und gehandelter Wunschkandidat der Parteispitze, nannte die Diskussion verfrüht und sprach vom Spätsommer als Zeitpunkt der Entscheidung. So, als sei das noch eine Ewigkeit hin. Er sollte vielleicht mal zum Fenster rausschauen: Die Kirschen werden schon rot.

Zwei Dinge kann man festhalten. Erstens: Knallharte Dementis hören sich anders an. Daraus folgt zweitens: Vizekanzler Olaf Scholz hat in Rolf Mützenich einen Wettbewerber um die Position bekommen.

Scholz in der Steinbrück-Falle

Scholz’ wesensbedingter Selbstgewissheit und der seiner Leute haftet seit jeher etwas vom Versuch an, einem Wunsch durch Wiederholung zur Wirklichkeit zu verhelfen. Gut in Erinnerung ist noch, wie Olaf Scholz auf dem Wahlparteitag in Berlin nach der vorangegangenen Mitgliederbefragung schon einmal einen sicher geglaubten Sieg seinen Mitbewerbern Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken überlassen musste. Seither hat die Linke in der SPD eine Restauration vorangetrieben, die die Beinfreiheit eines Olaf Scholz jedenfalls nicht erweitern würden.

Seine Kandidatur müsste Scholz in einer Zwangsjacke absolvieren, die ihm die dominierende Parteilinke überstreifte. Absehbares Programm und Person fielen hoffnungslos auseinander. Eher wäre Motörhead glaubwürdig mit Heintje-Liedern auf Tournee gegangen als Olaf Scholz mit einem Programm, das ihm maßgeblich vom Juso-Vorsitzenden Kevin Kühnert diktiert wird. Scholz läuft direkt in die Steinbrück-Falle. Dabei hätte er früher noch bessere Chancen gehabt, sich ein Programm auszubedingen, das zu ihm passt. Weil die SPD 2012/2013 noch eine andere war.

Ebenso liebenswürdig wie fadenscheinig ist der Versuch des Scholz-Lagers, folgenden Refrain zu setzen: Wer Merkel will, muss Scholz wählen. Der Regierungsvize als Garant für die Kontinuität einer Kanzlerin, die nicht mehr antritt. Leider ist dieser Plot an zwei Ecken gleichermaßen verquer. Erstens ist Merkel Merkel und nicht Scholz. Und zweitens ist die CDU immer noch die CDU und nicht die SPD.

Die Rolle der Parteien führt zur Koalitionsfrage. Die große Mehrheit der SPD ist rot-rot-grün gestimmt: eine Koalitionskombination, die nach Lage der Dinge allerdings eher in der farblichen Reihenfolge grün-rot-rot über die Ziellinie ginge. Und auch das nicht als Sieger. Im Moment käme das Bündnis zusammen nicht einmal auf 40 Prozent.

Mützenich wäre glaubwürdiger

Glaubwürdiger als Scholz würde der Parteilinke und SPD-Fraktionsvorsitzende Rolf Mützenich dieses Bündnis verkörpern. Dem wiederum würden aber die Prozentpunkte an der bürgerlichen Ecke fehlen, die Scholz mutmaßlich einsammeln könnte. Fraglich ist zudem, ob in Deutschland bei einer Wahl, die in einem guten Jahr stattfindet, jemand in Reichweite des Kanzleramtes kommt, den bis heute nur Liebhaber sicherheitspolitischer Grundsatzdebatten kennen, etwa um die nukleare Teilhabe Deutschlands.

Wenn die Kirschen geerntet sind und die Pflaumen drankommen, werden wir wissen, mit wem die SPD den Kampf ums Kanzleramt aufnimmt. Legt man alle Vor- und Nachteile von Scholz und Mützenich unvoreingenommen nebeneinander, kommt bei realistischer Betrachtung und bei aller Unterschiedlichkeit der beiden heraus: Beider Chancen auf die Machtübernahme für die SPD sind gering. Es geht also bei dieser Kanzlerkandidatur mehr um das Wohlbefinden mit sich selbst als um eine echte Aussicht darauf, den nächsten Kanzler zu stellen. Und fest steht: Die SPD 2020 ist nicht mehr die SPD der Agenda 2010.

Von daher spricht mindestens ebenso viel für den Überraschungskandidaten, den seine Anhänger liebevoll „Mütze“ nennen, wie für den SPD-Regierungsprofi Olaf Scholz. Und konsequenter wäre eine „Operation Mütze“ allemal: Wenn schon verlieren, dann richtig  - und mit einem guten Gefühl.

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