Kampf für Freiheit - Ja, der Westen!

Unsere Freiheit, unsere Art zu leben müssen wir verteidigen. Unsere Feinde sitzen dabei nicht nur in Moskau. Auch bei uns gibt es profitfixierte Amoralisten, die mit der chinesischen Effizienzdiktatur liebäugeln.

Der Westen muss für seine Freiheit kämpfen / dpa
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Autoreninfo

Frank A. Meyer ist Journalist und Kolumnist des Magazins Cicero. Er arbeitet seit vielen Jahren für den Ringier-Verlag und lebt in Berlin.

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Wohin fliehen die ukrainischen Frauen mit ihren Kindern? In den Westen. Wen bedroht Putin mit Atomwaffen? Den Westen. Wen fürchten die Despoten und Diktatoren dieser Welt? Den Westen. 

Der Westen nimmt Millionen Flüchtlinge auf. Der Westen hilft mit Waffen. Die militärische Schutzmacht des Westens bezieht Stellung: politisch mit Sanktionen gegen Russland, militärisch mit Soldaten im Baltikum. Joe Biden zählt sogar die ewig neutrale Schweiz zum Westen. 
Geeinter war der Westen nie. 

Kriegsgeneration trifft Verwöhnte

Gottlob wurden Flüchtlinge, die im Auto kommen, bisher nicht von Aktivisten der „Letzten Generation“ gestoppt, die sich an Autobahnauffahrten festkleben, um die CO2-Bilanz zu verbessern. 
Möge den Kriegsgeschädigten aus der Ukraine der politische Kindergarten des Westens erspart bleiben: der Sandkasten, in dem die Kinder von Fridays for Future ihre Traumschlösser bauen, ebenso der Schönheitswettbewerb all der säkular-religiösen Erweckungsbewegungen, von den Genderist*innen bis zu den Klimatist*innen. 

Die ukrainische Kriegsgeneration trifft auf die verwöhnteste Nachkriegsgeneration. 
Dem britischen Unterhaus per Bildschirm zugeschaltet, paraphrasierte Ukraine-Präsident Wolodymyr Selenskyj Winston Churchills berühmte Rede 1940 vor dem britischen Unterhaus, als er sagte: „Wir werden uns nicht ergeben und wir werden nicht verlieren. Wir werden bis zum Ende kämpfen, zur See und in der Luft. Wir werden weiter um unser Land kämpfen, koste es, was es wolle. Wir werden in den Wäldern kämpfen und in den Feldern, an den Küsten, in den Städten und Dörfern, in den Straßen und auf den Hügeln.“ 

Die Nutznießer der Freiheit

Der britische Regierungschef der schlimmsten Jahre des 20. Jahrhunderts ist wieder aktuell. 
Es ist noch nicht so lange her, da forderten linke Aktivisten den Sturz von Churchill-Denkmälern. Der mutigste Staatsmann des Westens, als es um die Rettung vor Hitler ging, ist den Schnösel*innen nur noch eine Symbolfigur für Kolonialismus und Rassismus. Zu hoffen wäre, dass demnächst ukrainische Lehrerinnen im Westen Geschichtsunterricht erteilen. 

Wessen Freiheit ist die Freiheit des Westens? Folgende Gruppen haben in den 30 glücklichen Jahren seit dem Ende der Sowjetwelt ausgiebig vom Recht auf Freiheit Gebrauch gemacht: 
Erstens die Autoabfackler und Krawallanten der Antifa, aus deren Blickwinkel Demokratie und Rechtsstaat nichts weiter sind als die Mimikry des Monopolkapitalismus, die mit allen Mitteln bekämpft gehört. 

Zweitens die Hautevolee der Hörsäle mit den ihnen zugewandten NGOs, allesamt weich gebettet auf Steuer- und Spendenmilliarden, beseelt von Feminismus und Antirassismus plus Auto-, Flug- und Fleischverzicht, spätmorgens mit dem Lastenfahrrad unterwegs zum veganen Marktstand – ein zunehmend frauenbesetztes Erziehungstheater mit dem Ziel, das korrekt gelebte Leben für die Bürger als verpflichtend zu erklären.

Schließlich die Globalkapitalisten mit Investitionen in autoritären Systemen, zum Beispiel in China, der ausgeklügeltsten Diktatur der Geschichte – Investitionen, mit welchen die politische Bewegungsfreiheit der Demokratien ökonomisch usurpiert wird. Ja, wer macht eigentlich für Deutschland die Außenpolitik? Annalena Baerbock oder VW-Chef Herbert Diess? 

Verteidigung der Freiheit

Und jetzt das: 100 Sondermilliarden für die Bundeswehr, gerade noch rechtzeitig, bevor sie, ausgemergelt von 16 Merkel-Jahren, mit den Pfadfindern fusionieren muss. 
Ihr Nachfolger meint es ernst. In einer historischen Lage, in der auch Deutschland zur Freiheit des Westens mehr beitragen muss als zerknirschten Sündenstolz und alarmistische Klimamoral, hat Olaf ­Scholz die Zeichen der Zeitenwende erkannt.
Putin ist ja nur das Vorspiel, das dank seiner atavistischen Vulgarität der ganzen freien Welt – der Welt des Westens – vor Augen führt, worum es geht: ums Ganze. 
Um die Freiheit überhaupt. 

Deshalb ist die exzessive Autoproduktion für China ein Ausverkauf der Freiheit, nämlich die Freiheit, eine totalitäre Macht durch Maßnahmen und Rücknahmen wirtschaftlicher Beziehungen abzustrafen. Die Bundesrepublik findet sich nach 16 Jahren Laisser-faire im Lotterbett mit einer kommunistischen Diktatur, auf die Josef Stalin neidisch gewesen wäre: China ist ein digitaler Konsum-Gulag, gegen den der des Georgiers steinzeitlich erscheint. 

Die Wirtschaft der fernöstlichen Supermacht präsentiert sich in der Modernität ihrer Städte und der Präzision ihrer Produkte, hergestellt unter der Kuratel einer kommunistischen Partei, die Unternehmern freie Bahn lässt, solange sie nicht auf systemkritische Gedanken kommen. Ist dies ausnahmsweise doch der Fall, erweist sich, wem die Firma gehört: Xi Jinping und seiner Partei. 

Ein Managertraum in Fernost

Freilich besteht gerade darin das Faszinosum der fernöstlichen Diktatur für ihre Apologeten: Es herrscht Ordnung – und daher Effizienz. Wie schwärmen doch westliche Manager von kurzen Bauzeiten und Bewilligungsfristen. Auch der Gehorsam der Arbeitermassen hat es ihnen angetan. Die Partei sorgt für alles, was in hiesigen Chefetagen Gefallen findet, vor allem für eine widerspruchslose Gesellschaft.

Freiheit der Wirtschaft, Unterdrückung des Volkes: Faschismus in Zeiten der Globalisierung. China praktiziert, was die neoliberalen Anbeter Friedrich August von Hayeks und Milton Friedmans im Westen nicht hinbekommen haben, nicht einmal in Pinochets Chile. 

Unordnung als oberstes Prinzip

Ja, der Westen! Diese Gesellschaft der Unordnung! Des Gegendenkens! Des Mitbestimmens! Der Revolte! Des Kompromisses! 
Warum sollten sich profitfixierte Amoralisten in global operierenden Großunternehmen für die traditionell westliche Freiheitskultur begeistern? Karl Poppers Demokratieprinzip von Versuch und Irrtum ist anspruchsvoll, Chinas System der Fünfjahrespläne ist simpel, für westliche Managersimpel wie geschaffen.

Das Lebenselement der westlichen Zivilisation ist die Lust an der Auseinandersetzung. Ihre Wurzeln reichen tief ins weströmische Christentum, führten zum jahrhundertelangen Entscheidungskampf zwischen weltlicher und geistlicher Macht, zu Renaissance, Humanismus, Reformation und Aufklärung, zur amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1776, zur Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der Französischen Revolution von 1789 – schließlich zu Demokratie und Rechtsstaat, wie der Westen sie heute genießt. 

Es lebe der Westen

Genießt? Genau, genießt. Ganz besonders gierig auf diesen Genuss sind Protestbewegungen, die den Westen schmähen: beispielsweise Klimabewegte, die ein anderes politisches System fordern; beispielsweise Frauenbewegte, die Unterdrückung und Rassismus als Folgen des Kapitalismus anprangern; beispielsweise Linke, die noch immer dessen Überwindung predigen. Sie alle nutzen und benutzen den westlichen Freiheitsraum zur Destruktion eben dieses Freiheitsraums. 
Aber so ist’s nun mal. Und so gehört es sich auch. Freiheit ist unteilbar. 

Nun rüsten Europas Regierungen ökonomisch und militärisch zum Schutz der einzigartigen westlichen Kultur, in der wir täglich aufwachen – und uns neuerdings die Augen reiben: 
Ist sie noch da? 
Ja, sie ist noch da. Und es gilt, sie zu verteidigen!
Unsere Freiheit. 

 

Dieser Text stammt aus der April-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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