Israel-Berichterstattung - Der unsichtbare Täter

Nach dem Terroranschlag in der Jerusalemer Altstadt berichten deutsche Nachrichtenportale zwar über die Attacke, lassen in ihren Schlagzeilen jedoch nicht erkennen, wer der Angreifer war. Den Vogel schoss das ZDF ab: Es machte den Täter gleich zum Opfer.

Jugendliche trauern an der Stelle des Attentats in der Jerusalemer Altstadt / dpa
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Ingo Way ist Chef vom Dienst bei Cicero Online.

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In der Altstadt von Jerusalem eröffnet am Sonntag ein palästinensischer Attentäter das Feuer, tötet einen Menschen und verletzt drei weitere. Der Angreifer aus dem Ostteil der Stadt, der offenbar Mitglied der Terrororganisation Hamas war, konnte von Sicherheitskräften überwältigt werden, wobei er ums Leben kam. Neben der Schusswaffe hatte er auch ein Messer bei sich. Und was machen die ZDF-Heute-Nachrichten aus diesem Vorfall für eine Schlagzeile? „Israel: ein Palästinenser erschossen“. Das ist, als würde nach einer Kneipenschlägerei, bei der ein betrunkener Angreifer einem Studenten ein blaues Auge verpasst, im Polizeibericht stehen: „Ein Student hat mit seinem Auge die Faust eines Alkoholkranken verletzt.“ Ebenso um den heißen Brei herumschleichend, aber wenigstens originell, titelte dagegen T-Online: „Religionslehrer eröffnet Feuer in Jerusalem – Tote und Verletzte“. Wer nur die Schlagzeile liest, könnte also auf den Gedanken kommen, dass der Attentäter womöglich ein schwäbischer Pfarrer auf Pilgerreise war, der daheim Bibelkunde unterrichtet.

Ursache und Wirkung verkehrt

Eine solche Schlagseite in der Israelberichterstattung deutscher Medien ist beileibe kein Einzelfall. Immer wieder werden Ursache und Wirkung verkehrt. Während des Gaza-Krieges 2014, der durch den dauernden Raketenbeschuss durch die Hamas aus dem Gazastreifen ausgelöst wurde, hieß es etwa bei der taz: „Israel bombt mit aller Macht“. Und im Oktober 2017 titelte die Zeit: „Acht Tote bei Tunnel-Sprengung durch Israels Armee“, und fuhr in der Unterzeile fort: „Bei der Sprengung eines Tunnels zwischen Gaza und Israel sind mehrere Palästinenser getötet und verletzt worden. Präsident Netanjahu rechtfertigte dies als Verteidigung.“ In dem dazugehörigen Artikel wurde dann durchaus erklärt, dass der Tunnel von der Terrororganisation Islamischer Dschihad angelegt worden war, um Waffen und Sprengstoff für Anschläge nach Israel zu schmuggeln, doch der Eindruck, die israelische Operation sei irgendwie illegitim, hat sich da schon festgesetzt.

Ein regelrechter Klassiker ist die Schlagzeile von Focus Online aus dem Jahr 2015. Seinerzeit hatte der damalige iranische Präsident Ahmadinedschad, ein erklärter Feind des jüdischen Staates, angekündigt, das Atomwaffenprogramm seines Landes auszubauen. Die israelische Regierung erklärte daraufhin, sie werde sich gegen einen möglichen Angriff aus Teheran angemessen zur Wehr setzen. Und das titelte Focus Online: „Israel droht mit Selbstverteidigung“.

In meiner langjährigen Tätigkeit für die Jüdische Allgemeine rätselten meine Kollegen und ich immer wieder darüber, wie es zu einer solchen Verzerrung in der Berichterstattung kommen kann. Immer wieder mussten wir etwa in dpa-Meldungen die Chronologie wiederherstellen, wenn es – sinngemäß – hieß: „Israelische Sicherheitskräfte erschossen einen 19-jährigen Palästinenser. Zuvor hatte das aus dem Westjordanland stammende Hamas-Mitglied mit einem Messer auf eine Gruppe von Passanten eingestochen.“ Man will den Kollegen in anderen Redaktionen ja nicht automatisch Antisemitismus unterstellen. Aber was ist es dann? Sympathie für die Palästinenser als die Underdogs? Die Wahrnehmung Israels als der Stärkere und Klügere, der der Volksweisheit zufolge stets nachzugeben hat? Oder doch tiefliegende Ressentiments, die gar nicht unbedingt bewusst sein müssen? Das Rätsel blieb letztlich ungelöst.

Korrespondenten eingespart

Wobei man schon auch sagen muss, dass sich die Situation in den letzten Jahren verbessert hat. Die allermeisten Medien haben über den jüngsten Terroranschlag in Jerusalem relativ fair berichtet. „Toter und Verletzte bei Anschlag in Jerusalem“, hieß es beispielsweise bei Stern.de, die anderen großen Nachrichtenportale hatten einen ähnlichen Wortlaut – wobei auch hier auffällt, dass zwar von einem Anschlag, einem Attentat, einer Attacke die Rede ist, aber nicht davon, wer diese denn ausgeführt hat, so als käme die Tat ohne einen Täter aus. Aber man freut sich ja bisweilen schon über kleine Fortschritte. Der Gleichklang der Überschriften verweist dabei schon auf ein Grundproblem des heutigen (Online-)Journalismus: Die meisten Redaktionen stützen sich auf dieselben Agenturmeldungen, kaum jemand prüft die Fakten, recherchiert nach, stellt infrage – und Auslandskorrespondenten, die sich in der politischen Kultur eines Landes auskennen, werden in der Regel eingespart.

Man verlasse sich also lieber nicht zu sehr auf tagesaktuelle Meldungen, oder sollte sie zumindest gegen den Strich lesen. Wenn alle mehr oder weniger das gleiche schreiben – bis in den Wortlaut hinein –, empfiehlt es sich, noch andere Quellen hinzuzuziehen, die einer Sache tiefer auf den Grund gehen.

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