Sachsens Ministerpräsident zu Söders Kohle-Vorstoß - „Wir dürfen den Grünen nicht hinterherrennen“

Vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gefordert, den Kohle-Ausstieg um acht Jahre vorzuziehen. Im Interview reagiert der sächsische Regierungschef Michael Kretschmer empört. Söders Vorstoß ist seiner Ansicht nach populistisch und schadet der politischen Kultur ebenso wie der Sache an sich.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) / dpa
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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Herr Kretschmer, Ihr bayerischer Ministerpräsidentenkollege Markus Söder hat vor dem Hintergrund der Flutkatastrophe angekündigt, den beschlossenen Ausstieg aus der Kohlekraft nach der Bundestagswahl neu zu verhandeln. Anstatt im Jahr 2038 sollte der Kohleausstieg schon 2030 erfolgen, wenn es nach ihm geht. Hat Sie dieser Vorstoß überrascht?

Ja, er hat mich überrascht. Kompromisse werden geschlossen, weil man einen Konflikt befrieden will. Hier standen sich Ökonomie und Ökologie sehr stark gegenüber, die Sorgen der Regionen, die Frage, ob dieses Land nach dem Ausstieg aus Atomenergie und der Kohleverstromung überhaupt eine sichere Energieversorgung haben kann. Und, auf der anderen Seite, die Klimaziele. Und der Kompromiss ist gelungen, denn jede Seite hat sich bewegt. Also muss das Vereinbarte jetzt auch gelten. Diese Diskussion lenkt jedes Mal aufs Neue von der eigentlichen Herausforderung ab, diesen Prozess erfolgreich zu gestalten. Wenn man aufhört, sich für Details zu interessieren, dann erodiert das ganze System. 

Welche Details meinen Sie?

Derzeit redet niemand über die Frage, wie es beispielsweise gelingen soll, in Bayern jedes Jahr 100 Windräder zu bauen und 100 Kilometer Freileitungen zu bauen.

Das Ausstiegsdatum 2038 sei „unambitioniert“, sagt Söder. Hätten Sie beim Kohlekompromiss mehr Ambitionen zeigen müssen?

Ursprünglich war als Ausstiegsdatum 2045 vorgesehen. Und nun wird 2038 der letzte Block abgeschaltet – übrigens in der Lausitz, also der Region, die es am schwersten hat. Sowohl im rheinischen als auch im mitteldeutschen Revier passieren die Ausstiege viel früher. Wir dürfen den Grünen nicht einfach hinterherrennen, sondern wir müssen einen Standpunkt entwickeln. Der Markenkern der Unionsparteien ist Wirtschaftskompetenz. Die Menschen wollen von uns wissen, wie das alles geht: Dass man sich trotz des Ausstiegs aus Kohle und Atom noch Energie leisten kann, dass die Versorgungssicherheit dennoch gewährleistet wird. Das Feld derer, die mit populistischen Forderungen ganz laut durchs Land ziehen und nie beweisen müssen, wie das alles gehen soll, ist mit den Grünen bereits gut besetzt. Wir als Union haben da einen anderen Markenkern. 

Söder sagt, ein schnellerer Ausstieg sei wichtig, damit Deutschland seine Klimaziele erreicht. Sind diese Ziele mit dem geltenden Kompromiss nicht erreichbar?

Die Kohle scheint eine leichte Beute. Aber zu welchen Kosten?  Ich finde, dass das Ganze redlich passieren muss. Das Pariser Klimaabkommen ist die Basis unseres Handelns.

Was würde ein um acht Jahre vorgezogener Kohleausstieg für den Freistaat Sachsen konkret bedeuten?

Dass wir Massenarbeitslosigkeit in diesen Regionen erzeugen, so ähnlich wie nach 1990. 

Halten Sie es für plausibel, dass der Kompromiss tatsächlich nochmal neu verhandelt wird?

Nein, weil er zustande gekommen ist mit Umweltverbänden, mit Gewerkschaften, mit den Regionen und mit der Wirtschaft. Die eigentliche Herausforderung, um die sich ganz viele Menschen drücken, ist die Frage: Wie soll der ganze Prozess ablaufen? Wir steigen im kommenden Jahr aus der Atomenergie aus. Und danach, schon in unmittelbarer zeitlicher Nähe, werden die ersten Blöcke der Stein- und Braunkohlekraftwerke abgeschaltet. Es ist überhaupt nicht beantwortet, wie das geht. 

Das ist aber eine Frage, auf die eine Industrie- und Wirtschaftsnation wie Deutschland eine Antwort haben müsste. 

Ja, und die Antwort müsste man haben, bevor man das alles umzusetzen beginnt. Die Herausforderung gerade aus Sicht Bayerns ist: Wie schaffe ich eine Eigenversorgung mit Energie? Franz Josef Strauß hat die Atomkraftwerke gebaut, weil er preiswerte Energie in Bayern haben wollte. Wenn wir jetzt aus dieser Form der Verstromung aussteigen und keine Atomkraft in Bayern mehr haben möchten, brauchen wir dort jedes Jahr mindestens 100 neue Windanlagen und 100 Kilometer Hochspannungsleitungen. Das ist die Herausforderung. 

Die Flutkatastrophe befeuert aktuell die Klimadebatte und die Debatte um die Reduzierung des CO2-Ausstoßes. Aber ist es sinnvoll, vor dem Hintergrund eines solchen Ereignisses diese Grundsatzdiskussion zu führen? Manche fühlen sich an Fukushima erinnert, als dessen Konsequenz in Deutschland der Atomausstieg beschlossen wurde.

Das ist absolut unseriös. Es ist ein Starkregenereignis, eine Naturkatastrophe, die eine Kombination von sehr vielen ungünstigen Bedingungen zusammengebracht hat. Das hat es auch ohne die Erwärmung der Atmosphäre gegeben und wird es wohl auch in Zukunft geben. Man blendet jetzt die eigentlichen Herausforderungen aus und tut das auf dem Rücken der Menschen, die gerade ihr Hab und Gut verloren haben. Auch das ist nicht redlich. Jetzt muss es darum gehen, schnell zu helfen, wieder aufzubauen und gemeinsam solidarisch zu sein.

Sehen Sie die Gefahr eines politischen Öko-Populismus, der vernunftbasierte Lösungen am Ende eher verhindert als ermöglicht?

Absolut. Ein solcher Populismus beschädigt das positive Anliegen und das große Ziel; er verstört Menschen, die technischen Verstand haben, denn durch die sichtbare Unmöglichkeit, mehrere Ziele gleichzeitig zu erreichen oder sich überhaupt realisierbare Ziele zu setzen, werden wohlwollende Menschen zurückgestoßen. Wir müssen dafür sorgen, dass wir eine Begeisterung und eine Bereitschaft zum Mitmachen haben – in der jungen Generation, bei den Berufstätigen, bei Technikern und Ingenieuren, damit wir dieses Ziel erreichen können. 

Die Bundesrepublik trägt etwa 2 Prozent zum weltweiten CO2-Ausstoß bei. Können wir das Weltklima retten, indem wir mit gutem Beispiel vorangehen?

Nein, das können wir nicht. Aber 2 Prozent sind für ein so kleines Land wie Deutschland eine ganze Menge. Wir haben alle miteinander das Pariser Klimaabkommen unterzeichnet und fühlen uns dem verpflichtet. Die Geschichte geht meines Erachtens anders: Wenn Deutschland scheitert, dann wird im Rest der Welt das Mitmachen an diesem Ziel aufhören. Wenn die Deutschen es nicht hinkriegen, werden alle anderen sagen: Dann geht es nicht. Die ständigen Überforderungen sind der Weg zum Scheitern. Es ist dringend notwendig, den Umbau der Energiewirtschaft anhand der vereinbarten Zeitpläne zu realisieren, gleichzeitig eine Wasserstoffwirtschaft aufzubauen und die Industrie CO2-frei zu machen. Im Bereich der Automobilindustrie müssen wir die Elektromobilität voranbringen und auf der anderen Seite mit synthetischen Kraftstoffen dafür sorgen, dass der vorhandene Fahrzeugpool weiterhin genutzt werden kann. Das sind doch ganz klare, sichtbare Ziele. Nur: Die sind schwer zu erreichen, da muss man zum Teil auch investieren. Das ist das, was jetzt notwendig ist. Und keine populistischen Forderungen.

Was bedeutet die aktuelle Kohle- und Klimadebatte eigentlich für den Bundestagswahlkampf? 

In Bayern trifft das durchaus auf Zustimmung, denn dort gibt es keine Braunkohlekraftwerke. Viele Menschen dort werden also sagen: Ja, da kann man das wahrscheinlich machen und acht Jahre früher aussteigen. Wir haben aber eine gemeinsame Verantwortung für dieses Land, dem wird man mit von der Tagesaktualität getriebenen Forderungen nicht gerecht. 

Es gibt ja den schönen Grundsatz „pacta sunt servanda“, Verträge sind einzuhalten. Haben Sie manchmal Zweifel an der Verlässlichkeit der Vereinbarungen?

Wir haben viele Verbündete, deshalb wird man diesen Pakt auch so schnell nicht auflösen können. Es ist aber natürlich eine Haltungsfrage, die sich hier deutlich macht. Es muss doch darum gehen, Kompromisse zu tragen und zu verteidigen – und sie damit zu einem wichtigen Mittel der Politik und der Konfliktlösung zu machen. Das geht nur, wenn man sich daran hält, auch wenn man im Einzelfall nicht mit jedem Punkt zufrieden ist.

Das Gespräch führte Alexander Marguier.

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