Integration - Kopftuchverbot für Minderjährige laut Gutachten verfassungskonform

Darf der Staat Minderjährigen das Tragen eines Kopftuchs verbieten? Laut einem neuen Gutachten wäre ein Verbot verfassungskonform. An wutentbrannten Reaktionen muslimischer Verbände und Politiker wird es in den kommenden Tagen sicherlich nicht mangeln.

Viele Minderjährige tragen das Kopftuch nicht freiwillig / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Stehen das Grundgesetz und das föderale System der Zulässigkeit eines Kopftuchverbotes für Minderjährige unter 14 Jahren in öffentlichen Einrichtungen entgegen? Zu dieser Fragestellung wurde am Donnerstag in Berlin ein Gutachten präsentiert. Erstellt wurde es von Dr. Kyrill-Alexander Schwarz, der an der Universität Würzburg einen Lehrstuhl für Öffentliches Recht innehat.

Auftraggeber ist die Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV), die als säkularer, multinationaler Dachverband die Interessenvertretung und Integration von Einwanderern auf allen politischen und gesellschaftlichen Ebenen befördern will. „Wir wollen dieses sensible Thema weder den Rechten, noch den Islamisten überlassen“, beschreibt BAGIV-Präsident Ali Ertan Toprak die Beweggründe. Es gehe auch nicht um Religionsfreiheit, sondern um die „Instrumentalisierung von Kindern für fundamentalistische Ziele“.  Aus dem Koran sei keine Verpflichtung ableitbar, dass junge Mädchen ein Kopftuch tragen sollen oder gar müssen.

Kopftuch löst Ausgrenzungsprozesse aus

Gutachter Schwarz sieht in einem einheitlichen Verbot den Lösungsweg für die verfahrene rechtliche Situation. Da die Bundesländer den Umgang mit dem Kopftuch beispielsweise für Lehrerinnen  oder Rechtsreferendarinnen unterschiedlich handhabten, drohe „ein föderaler Flickenteppich“. Ein auf Kinder bezogenes Bundesgesetz könne Bezug nehmen auf den Schutz des Kindeswohls und die im Grundgesetz verankerten Prinzipien der Toleranz, der Gleichberechtigung und der Diskriminierungsfreiheit. Das Kinder-Kopftuch stehe diesen Prinzipien entgegen, da es den Mädchen jeglichen Raum für freie, selbstbestimmte Entfaltung nehmen. Und auch das Elternrecht auf Erziehung finde seine Grenzen beim Kindeswohl.

Unter Lehrern werden diese Fragen intensiv diskutiert. Julia Wöllenstein, die an einer Gesamtschule in Kassel arbeitet, unterstützt die Forderung nach einem Kopftuchverbot vehement. Das Kopftuch in Schulklassen erschwere die Integration und löse Ausgrenzungsprozesse aus. Oftmals trügen Mädchen das Kopftuch auch nicht freiwillig, sondern würden „massiv unter Druck gesetzt“. Zum einen von fundamentalistischen Eltern, die ihnen prophezeien, „dass sie in die Hölle kommen, wenn sie kein Kopftuch tragen“. Aber es entstehe auch massiver Druck auf muslimische Mädchen, die kein Kopftuch tragen, die dann vor allem von muslimischen Jungs als „Schlampen“ gemobbt würden. Zum Kopftuch kämen andere „Eingrenzungsprozesse“ dazu, etwa die Verweigerung der Teilnahme am Schwimm- und Sportunterricht, Ausflügen und Klassenfahrten. Das erschwere den integrativen Auftrag der Schulen erheblich.

Kein Verstoß gegen Verfassungsgrundsätze

Auch die Soziologin und Publizistin Necla Kelek, die unter anderem für die Frauenrechtsorganisation Terre des Femmes arbeitet, fordert ein Verbot des Kinder-Kopftuchs. Junge Musliminnen sollten damit in eine bestimmte Rolle gedrängt werden und ihre „Andersartigkeit“ und Abgrenzung gegenüber der von ihren Eltern abgelehnten toleranten, liberalen Gesellschaft demonstrieren. Ihre eigene Persönlichkeitsentwicklung werde dadurch massiv eingeschränkt. Es gehe auch nicht um Neutralität oder das Verbot weltanschaulicher Symbole, wie etwas Anhänger mit Kreuzen oder Halbmonden. „Das Kopftuch ist etwas ganz anderes“, nämlich ein Unterdrückungsinstrument.

Der Staat müsse einen entsprechenden Rahmen schaffen, zu dem auch gehöre, das Kopftuchverbot auf die Altersgruppe bis zum vollendeten 14. Lebensjahr und auf öffentliche Einrichtungen in staatlicher Verantwortung zu beschränken. Die Altersgrenze ergibt sich aus der gesetzlich geregelten Religionsmündigkeit von Jugendlichen. Kelek und Toprak ist bewusst, dass so ein Vorstoß kein Selbstläufer wird. Man stehe aber in Kontakt mit Politikern verschiedener Parteien, Wissenschaftlern und Verbänden und wolle „intensive Lobbyarbeit betreiben“.

Das Gutachten kommt bei den anfangs skizzierten Fragestellungen jedenfalls zu dem eindeutigen Ergebnis, dass ein Kopftuchverbot in der Kompetenz des Bundes liegt und nicht gegen Verfassungsgrundsätze verstoßen würde. An wutentbrannten Reaktionen einiger muslimischer Verbände und einiger Politiker, vor allem aus den Reihen der Grünen und der Linken, wird es in den kommenden Tagen und Wochen nicht mangeln. Es bleibt zu hoffen, dass damit eine dringend notwendige Diskussion über die Unterdrückung junger Musliminnen und den Missbrauch der Religionsfreiheit für fundamentalistische, demokratie- und menschenrechtsfeindliche Ziele an Fahrt aufnimmt.    
 

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