Kein Corona-Schutz in Berlin - Sechs Impfzentren, aber kein Impfstoff

Bereits nach wenigen Tagen ist die Verteilung der Corona-Impfstoffe ins Stocken geraten. Einen belastbaren Zeitplan der „Impfkampagne“ bis zur Erreichung der Herdenimmunität gibt es nicht. Doch Gesundheitsminister Jens Spahn wäscht seine Hände in Unschuld.

Warten auf den Pieks: In Berlin und Brandenburg ist der Impfstoff ausgegangen / dpa
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Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Wenn es in Zeiten der scheinbar unaufhaltsamen Corona-Pandemie in Deutschland inmitten eines erneuten Lockdowns so etwas wie einen Hoffnungsschimmer gab, dann war es die am 21. Dezember erfolgte EU-weite Zulassung des Impfstoffs Tozinameran der Pharmaunternehmen BionTech und Pfizer. So gut wie keine Weihnachtsansprache kam danach ohne die Metapher vom „Licht am Ende des Tunnels“ aus. In allen Bundesländern betonten die Verantwortlichen, dass man bestens auf den Start der Massenimpfungen am 27. Dezember vorbereitet sei.

Doch da war bereits klar, dass es sich bei besagtem Licht um eine ziemlich trübe Funzel handelt. Die zunächst kolportierten Zahlen über schnell lieferbare Impfdosen nach der Zulassung mussten drastisch nach unten korrigiert werden. Sprach Bundesgesundheitsminister Jens Spahn am 1. Dezember in Düsseldorf noch von fünf bis acht Millionen Impfdosen, die noch in diesem Jahr in Deutschland verfügbar wären, war am 23. Dezember im ARD-Morgenmagazin nur noch von 1,3 Millionen die Rede. Einen belastbaren Zeitplan für den Abschluss der nach Risikogruppen gestaffelten Impfkampagne bis zum Erreichen der minimalen Impfquote von 60 Prozent zur Erreichung der so genannten Herdenimmunität gibt es nicht.

Impfzentren werden temporär geschlossen

Immerhin verlief der Start am 27. Dezember trotz einiger Pannen bei der Terminvergabe einigermaßen reibungslos. In den eigens errichteten Impfzentren und mit mobilen Teams wurden vor allem Bewohnern und Personal von Pflegeeinrichtungen die ersten Dosen verabreicht. Auch die großen Kliniken begannen mit der Impfung besonders exponierter Mitarbeiter. Doch schon zwei Tage später gab es den nächsten Impfschock, ausgehend von Berlin.

Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) verkündete, dass das einzige bislang geöffnete Impfzentrum in der Treptower Arena vom 31. Dezember bis zum 3.Januar geschlossen  und die Eröffnung der weiteren fünf Zentren auf unbestimmte Zeit verschoben wird. Als Grund wurden „geringe Buchungszahlen“ für das Zentrum in dem Zeitraum rund um das Neujahrsfest sowie Unklarheiten über die für diese Tage zu erwartenden Impfstofflieferungen angegeben. Die mobilen Teams sollten jedoch weiter arbeiten, auch die Planungen für die erste Januarwoche würden weiter geführt. 

Impfen erst ab 90 Jahren 

Doch einen Tag später war auch das bereits wieder Makulatur. Am Mittwoch mittag gab Kalayici bekannt, dass die gesamte Lieferung für die erste Januarwoche – geplant waren knapp 30.000 Dosen – komplett ausfallen wird und die Impfungen frühestens am 11. Januar wieder aufgenommen werden können. Der Beginn der Impfungen für alle über 80jährige wird daher verschoben, zunächst sollen es – außer den speziellen Risikogruppen – nur die über 90jährigen sein. Auch für Pflege- und Klinikpersonal reichten die Impfstoffmengen für Anfang Januar nun nicht aus. Ihr Fazit im rbb: „Ich bin sauer.“

Berlin hat sich zwar bislang im Kampf gegen die Pandemie nicht gerade mit Ruhm bekleckert, und es gab auch erhebliche Zweifel, ob die stolz präsentierten sechs Impfzentren überhaupt in der Lage wären, einen möglichen Ansturm von Impfwilligen personell bewältigen zu können.

Nicht überall kommt es zum Totalausfall 

Doch für das Desaster bei der Impfstoffauslieferung trifft die Stadtregierung wohl kein Verschulden, denn die wird zentral vom Bund gesteuert. Kurz nach Kalayici meldete sich auch ihre brandenburgische Amtskollegin Ursula Nonnemacher (Grüne) zu Wort und beklagte ebenfalls den Komplettausfall der Impfstofflieferungen für die erste Januarwoche. Im Laufe des Tages wurde dann klar, dass alle Bundesländer von den Lieferschwierigkeiten betroffen sind, auch wenn es nicht in allen Fällen zu einem Totalausfall wie in Berlin, Brandenburg und auch Bayern kommt.

Fast schon surreal mutet die Reaktion von Bundesgesundheitsmister Jens Spahn (CDU) an. „Ja, es ruckelt an der einen oder anderen Stelle“, sagte Spahn  am Mittwoch in Berlin. Insgesamt aber sei die „größte Impfkampagne in der Geschichte Deutschlands erfolgreich angelaufen“ wird Spahn in der Welt zitiert. SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil warf Spahn dagegen in der Rheinischen Post schwere Versäumnisse vor: „Der Minister selbst hatte Monate Zeit, den geplanten Impfstart vorzubereiten. Hierzu hat er ausreichende Kompetenzen bekommen.“ 

Schlampereien, als Rettungsweg propagiert 

Immerhin: Angeblich soll es jetzt bereits am 8. Januar weitere Lieferungen an die Bundesländer geben. Danach allerdings erst wieder am 18. Januar. Das sei mit der Firma BionTech verabredet worden, teilte das Gesundheitsministerium am frühen Abend mit.

Sollte sich auch das, wie zahlreiche vollmundige Impfankündigungen zuvor, als Luftbuchung herausstellen, könnte es für den Minister sehr ungemütlich werden. Und die bisherige Bereitschaft der meisten Menschen, die Corona-Restriktionen auch weiterhin zu akzeptieren, wird mit derartigen Schlampereien bei der als „Rettungsweg“ propagierten Impfkampagne auf eine harte Probe gestellt.

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