Impfen und 2G - Woolworth und die Purpose-Schleudern

Über 150 Unternehmen und reichlich Trittbrettfahrer gerieren sich derzeit als Purpose-Schleudern in Sachen Impfempfehlung, um mal wieder was fürs Image zu tun. Ein Glück, dass es auch noch Unternehmen gibt, die in Corona-Zeiten wirklich was für sich und andere leisten. Lobenswertes Beispiel: Woolworth und der Kampf der Kaufhauskette gegen 2G im Einzelhandel.

Während die Unternehmen für Gratis-Applaus fürs Impfen trommeln, wird der Einzelhandel durch 2G-Regeln im Weihnachtsgeschäft massiv ausgebremst. / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass man bei McDonald’s mittlerweile auf eine Impfung gegen ein Virus kontrolliert wird, das für die allermeisten Menschen gänzlich ungefährlich ist, um sich anschließend setzen zu dürfen und zu essen, was einen wirklich umbringt. Nun kann McDonald’s freilich nichts für Regelungen wie diese. Oder Burger King oder Kentucky Fried Chicken oder sonst ein Fast-Food-Anbieter oder ein Restaurant in München-Sendling, das Riesenschnitzel mit Jalapenos belegen, mit Käse überbacken und mit Bratensoße übergießen lässt. Nein, das ist nicht erfunden. 

Entscheidend ist bei alldem ohnehin nur, dass man ehrlich bleibt. Hier der Stand der Dinge: Ein Drittel der Deutschen, die jährlich sterben, stirbt nicht an Corona, sondern an Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Und zwischen denen und schlechter Ernährung gibt es bekanntlich einen gewissen Zusammenhang; ebenso wie zwischen Menschen, die sich aufgrund ihres Lebenswandels den viel zitierten „Risikogruppen“ zuordnen lassen, und jenen, die Corona nicht überleben übrigens. Ergo: zu viel schlechte Ernährung gleich höheres Risiko, an Covid zu sterben. 

Vor diesem Hintergrund ist ein bisschen schräg vielleicht, wenn nun ausgerechnet Unternehmen wie McDonald’s („Impfen – ich liebe es“) oder Burger King („Mach dein Piks“) ihre Slogans zu Impfempfehlungen umschreiben. „Zusammen gegen Corona heißt die von einer Werbeagentur angeleierte Aktion. Mit dabei waren und sind neben McDonald’s und Burger King rund 150 weitere Unternehmen und so manch Trittbrettfahrer. Darunter eine Parfümeriekette, ein Baumarkt, Banken und diverse Automobilhersteller. Die Liste wird täglich länger. 

Applaus in den sozialen Medien 

„Zusammen gegen Corona“, das war und ist dabei der kleinste gemeinsame Nenner. Viel mehr wäre freilich auch nicht gegangen, weil „Zusammen gegen Adipositas“, „Zusammen gegen Tierversuche“, „Zusammen gegen Holz aus dem Regenwald“ oder „Zusammen gegen Verkehrstote“ mit der gleichen Aufstellung nicht funktioniert hätte. „Zusammen gegen Corona“, das geht wiederum gut, und vor allem im besten Wissen, dass man dafür garantiert ein bisschen Applaus in den sozialen Netzwerken, von der Fachpresse und aus der Politik bekommt. 

Geschätzter Einfluss dieser Aktion auf Ungeimpfte: gleich null. Wahrscheinlich eher das Gegenteil. Wer hört schon auf Gesundheitstipps von McDonald’s, Douglas oder BMW? Doch man will halt geliebt werden, also im Netz, von der Fachpresse und der Politik. Genau so funktioniert die Corona-Auseinandersetzung anno 2021 halt: oberflächlich, opportunistisch, netztauglich. Und was sind schon rund 150.000 Menschen, die in Deutschland jährlich an den Folgen ihres Übergewichts sterben, verglichen mit, sagen wir, fünf Millionen Herzchen und Likes, die auf Twitter, LinkedIn und Facebook nur darauf warten, eingesammelt zu werden? Klassische Kosten-Nutzen-Rechnung. 

Ein bisschen billigen Applaus 

Im Marketing-Jargon nennen sie das Purpose, also „Zweck“. Die Theorie dahinter ist ganz gut belegt: Gerade junge Zielgruppen schauen bei ihren Kaufentscheidungen vermehrt auch auf Werte, für die ein Unternehmen öffentlich eintritt. Was da hinter den Kulissen wirklich los ist, spielt dabei weniger eine Rolle, als irgendwelche zeitgeistigen Botschaften und Bekenntnisse, die sich gut auf Plakate pappen und in Kurzbeiträge auf Instagram gießen lassen. 

Denn selbstredend haben die wenigsten Kunden die Zeit und schon gar nicht die Möglichkeiten, sich intensiv mit noch jedem fünften Glied einer Wertschöpfungskette irgendwo am anderen Ende der Welt auseinanderzusetzen. Teilweise wissen die Unternehmen ja selbst nicht so genau, was ihre Geschäftspartner in irgendeiner Schwellenland-Fabrik so alles treiben. Das wiederum ruft die Marketingabteilungen auf den Plan, die politisch sein, aber freilich nicht super viel Arbeit damit haben wollen. 

Unternehmen in der Zusammen-gegen-Corona-Eintracht / dpa 

Daher Klimaschutz, Diversity oder Gender-Sprech; kein Zeitgeist-Thema scheint zu doof oder gemessen am eigenen Geschäftsmodell zu abwegig, um nicht wenigstens zu versuchen, ein bisschen moralisches Kapital daraus zu schlagen; ein bisschen billigen Applaus zu kriegen für eine Handvoll Lippenbekenntnisse. Und aktuell ist das „Impfen“ eben die fetteste Sau, die durchs Dorf getrieben wird. Also macht man da halt auch noch mit. Die Losung heißt dann unter anderem: Heute fürs Impfen trommeln und morgen mit XXL-Menüs den Geimpften über den Jordan helfen. 

Auf manchen ist noch Verlass 

Abseits der 150 und mehr Purpose-Schleudern hat sich nun aber immerhin ein Unternehmen Lorbeeren in einem völlig aus den Fugen geratenen Moralisierungs- und Symbolzirkus verdient: Woolworth. Die Kaufhauskette hat in verschiedenen Bundesländern gegen 2G im Einzelhandel geklagt und am Donnerstag immerhin erreicht, dass das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die 2G-Regel im Einzelhandel in Niedersachsen vorläufig aufgehoben hat. Damit dürfen Oma Erna in Cuxhaven und Onkel Günther in Salzgitter endlich wieder Weihnachtseinkäufe ohne Armbändchen oder Impfnachweise machen. Zu Recht: Denn 2G im Einzelhandel macht aus epidemiologischer Sicht ohnehin nur wenig Sinn. 

Zu aller Freude darüber gesellt sich auch das gute Gefühl, dass es in Deutschland durchaus noch juristische Instanzen gibt, die nicht jeden Irrsinn durchwinken, den sich Politiker im Sinne der Corona-Bekämpfung als richtige Maßnahme herbeifantasieren. Besonders wichtig ist das in Zeiten wie diesen, in denen selbst auf das Bundesverfassungsgericht in Sachen Grundgesetz nicht mehr allzu sehr Verlass scheint.

Ran an die Buletten

Ach, was soll der Geiz an dieser Stelle: Woolworth ist hiermit nun offiziell die Heldin des Einzelhandels, wenigstens in Niedersachsen. Denn anderswo, im Saarland mit einem Eilantrag zum Beispiel, hatte das Unternehmen erst einmal weniger Glück. Doch jede Heldenreise wird mal ausgebremst, sonst wäre sie ja keine. Und Grund zur Hoffnung gibt die gerichtliche Entscheidung gegen 2G im Einzelhandel in Niedersachsen freilich trotzdem. Stichwort Domino-Effekt. 

Der Handelsverband Berlin-Brandenburg zum Beispiel hat gestern im rbb bekräftigt, dass er Einzelhändler unterstützen will, die in der Region ebenfalls gegen die 2G-Regel klagen wollen. Gut so, lässt sich sagen. Und hoffen, dass die Causa Woolworth Schule macht. Also ran an die Buletten! Denn damit hilft man als Unternehmen nicht nur sich selbst, sondern dem gesamten Einzelhandel in der jeweiligen Region. So sieht echter Purpose aus.

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