Ibrahim Miri - „Wenn Herr Miri Asyl bekäme, wäre es ein Schlag ins Gesicht der Bürger“

Ibrahim Miri, Chef eines der größten arabischen Clans, hat sich nach seiner Abschiebung in den Libanon von Schleppern zurück nach Deutschland bringen lassen, um hier Asyl zu beantragen. Warum dieser Fall den Rechtsstaat auf eine harte Probe stellt, erläutert die Kriminologin Dorothee Dienstbühl

Wie glaubwürdig kann die Polizei noch gegen die Clans kämpfen, wenn Clan-Chef Miri aus der Abschiebehaft käme? / picture alliance
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Autoreninfo

Antje Hildebrandt hat Publizistik und Politikwissenschaften studiert. Sie ist Reporterin und Online-Redakteurin bei Cicero.

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Dorothee Dienstbühl ist Professorin für Kriminologie an der Fachhochschule für Öffentliche Verwaltung in Nordrhein-Westfalen. Zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehören die Organisierte Kriminalität und Radikalismus. 

Frau Dienstbühl, wenige Monate nach seiner Abschiebung ist Ibrahim Miri wieder zurück nach Deutschland eingereist. Hat Sie das überrascht? 
Nein, das hat niemanden wirklich überrascht. Als die Nachricht von der Abschiebung Miris kam, klang in den Medienberichten bereits die Frage an, wann er versuche, wieder zurückzukommen. 

In Bremen heißt es, die Behörden hätten von Anfang an mit seiner Rückkehr gerechnet. Deshalb habe Deutschland die Staaten entlang der Balkanroute vor ihm gewarnt. Wie ist es möglich, dass er es trotzdem geschafft hat? 
Wie er es geschafft hat, hat er über seinen Anwalt verlauten lassen: Er ist illegal mit der Hilfe von Schleppern eingereist. Wie man sieht, hat es funktioniert. 

Alle Sicherheitsvorkehrungen haben nichts genutzt, weil er die Grenzbehörden ausgetrickst hat.
Genau, dieser Fall hat gezeigt, dass die getroffenen Maßnahmen nicht gegriffen haben. 

Die EU-Außengrenzen sind offenbar nicht sicher. 
In seinem Fall waren sie es nicht. Deshalb muss man jetzt genau prüfen: Wo ist er wie durchgekommen? Es geht hier nicht nur um Ibrahim Miri, es geht auch um die Frage: Wo war das Einfallstor? So etwas interessiert möglicherweise auch andere Schwerkriminelle und Terroristen.  

Miri hat jetzt einen zweiten Asylantrag gestellt. Er begründet ihn damit, dass er hierzulande „unverschuldet” in einen Blutrache-Konflikt mit dem verfeindeten El-Zein-Clan verwickelt worden sei und im Libanon vor der Hisbollah habe flüchten müssen, die diesen Clan unterstützt. Wie glaubwürdig ist das?
Dieser Fall, den er da ausgegraben hat, stammt aus dem Jahr 2006. Es ging damals um eine Messerstecherei in einem Bremer Lokal, bei der ein Neffe Miris getötet worden war. Ich frage mich, ob diese beiden Clans heute tatsächlich immer noch verfeindet sind. Wenn man sich Berichte über die Clans aus Bremen, Berlin oder Nordrhein-Westfalen anschaut, dann sieht man, dass sie in verschiedenen Bereichen miteinander kooperieren, unter anderem in der Familien-Union. Es ist also keine Feindschaft per se, die von Familie zu Familie besteht. 

2009 hat ein Mitglied des Miri-Clans ein Mitglied des El-Zein-Clans erschossen und dessen Verlobte schwer verletzt. Offenbar ging die Geschichte noch weiter. 
Dieser Vorfall liegt jetzt aber auch schon wieder ein paar Jahre zurück. Mich würde daher interessieren: Schwelt dieser Konflikt weiter? Oder ist der Konflikt mit der Umsetzung dieser Bluttaten nicht inzwischen abgegolten? Wurde vielleicht Blutgeld gezahlt? So verrückt das nach demokratischer Logik auch klingen mag, entspräche es einer gelebten, parallelrechtlichen Praxis. 

Gilt Angst vor Blutrache in einem anderen Land als Anerkennungsgrund für Asyl?
Nein, natürlich nicht. Zuständig für die Sanktionierung einer Morddrohung ist zunächst mal das Land, in dem sie ausgesprochen wurde. Herr Miri und sein Anwalt gehen aber noch einen Schritt weiter: Sie behaupten, dass er jetzt von der Hisbollah bedroht werde, die mit der El-Zein-Familie zusammenarbeite. Ob das wirklich stimmt, ist noch nicht bewiesen. Eine persönliche Erklärung dazu wollte der Anwalt noch nachreichen. Falls das stimmen sollte, wäre es zumindest eine Prüfungsgrundlage für einen Asylantrag. Im Libanon ist die Hisbollah tatsächlich sehr einflussreich. Trotzdem wäre vorrangig zu klären: Wie sieht der Libanon das? Wer gefährdet Herrn Miris Leben, und wie hat sich diese Gefährdung geäußert? 

Vor seiner Abschiebung hatten die Bremer Behörden eine Wiedereinreisesperre über sieben Jahre verhängt. Wie wurde die Abschiebung begründet?
Ibrahim Miri lebte schon seit Jahren ohne gültigen Aufenthaltstitel in Deutschland. Ein erster Asylantrag war in den achtziger Jahren abgelehnt worden, das galt auch für alle Folge-Anträge. Das Land Bremen erteilte bereits 1998 eine Ausreiseverfügung. 

Sein Anwalt sagt, die Abschiebung sei rechtswidrig gewesen. Er verweist auf ein psychologisches Sachverständigengutachten, das Miri eine positive Sozialprognose attestiert. Es hieß, er pflege seine alte Mutter und wolle zu seiner Lebensgefährtin in ein anderes Bundesland ziehen, die das zweite Kind von ihm erwarte. Wie tragfähig sind solche Gutachten?
Ich will diese Gutachten nicht abwerten. Aber wenn ich höre, was in dem Miri-Gutachten steht, werde ich misstrauisch. Eine kranke Mutter, eine schwangere Lebensgefährtin, die obendrein auch noch deutsche Staatsbürgerin sein und bald auch seine Verlobte sein soll – das sind so Punkte, die einem auch in anderen Fällen begegnen, in denen Clanmitglieder versuchen, eine Abschiebung zu verhindern. Viele heiraten dann auch schnell noch. 

Sie meinen, es reiche nicht, um zu beweisen, dass er ein neues Leben beginnen wolle? 
Ich habe da zumindest Zweifel. Ganz gebrochen haben kann er nicht mit seiner Familie, weil er ja angegeben hat, er müsse seine kranke, alte Mutter pflegen. Auch hier würde mich interessieren: Wie sieht das in der Praxis aus? Wer hat das für ihn zuletzt übernommen? Inwiefern ist seine Freundin in die familiären Strukturen eingebunden? Dass sie die deutsche Staatsbürgerschaft besitzen soll, schließt ja nicht aus, dass sie aus dem familiären Gefüge stammt. Ich weiß nicht, inwieweit ein Gutachter Einblick in diese Verhältnisse hat. Möglicherweise kennt er auch die Tricks nicht, die Clan-Mitglieder in solchen Fällen auf Lager haben.
 
Miris Anwalt, Albrecht Timmer, ist Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Migrationsrecht im Bremer Anwaltsverein. Weckt das nicht den Verdacht, dass sein Engagement für Miri auch politisch motiviert ist?
Dass er diesen Clan vertritt, sichert ihm natürlich die öffentliche Aufmerksamkeit. Wenn er diesen Fall gewinnt, bekommt er sicher neue Mandanten. Dass sich Miri gerade ihn als Anwalt ausgesucht hat, ist garantiert kein Zufall. Es zeigt eher, wie gut er vernetzt ist. Als er aus dem Libanon zurückkam, war schon alles vorbereitet. Der Anwalt hatte seinen Asylantrag schon formuliert und offensichtlich auch der Bild am Sonntag zur Verfügung gestellt. Das spricht für ein durchdachtes und taktisches Vorgehen. 

Dorothee Dienstbühl / privat 

Ein politisches Interesse schließen Sie aus? 
Gegenfrage: Wäre es clever, ausgerechnet einen Schwerkriminellen zu vertreten, um politisches Engagement für Migration zu zeigen? Viele Bürger würden das nicht nachvollziehen können. 

Aber Bremen wird rot-rot-grün regiert. Einen Asylantrag für einen Schwerverbrecher durchzusetzen, wäre dort vermutlich leichter als in Nordrhein-Westfalen, wo ein CDU-Innenminister den Kampf gegen die Clans zur Chefsache gemacht hat.  
Die Entscheidung liegt aber beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bamf). Und in Bezug auf Clankriminalität geht es längst nicht mehr nur um Parteipolitik. Gerade der Fall Miri wird jetzt sehr genau von der Öffentlichkeit beobachtet. Die Politik muss somit Entscheidungen vor ihr verantworten. 

Auf Illegale Einreise steht eine Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren. Warum kann ihn das Gericht als vorbestraften Kriminellen nicht sofort wieder abschieben? 
Weil das Bamf erstmal über seinen Asylantrag entscheiden muss. 

Vor seiner Abschiebung hat Ibrahim Miri hat eine sechsjährige Gefängnisstrafe wegen bandenmäßigen Drogenhandels verbüßt. Ist seine kriminelle Vergangenheit kein Ausschluss-Kriterium?
Nein, es schränkt seine Chancen aber definitiv ein. Dieser Fall enthält jede Menge politischen Sprengstoff. Ein Krimineller kommt auf illegalem Weg zurück, und man kann ihn nicht direkt wieder abschieben, weil das Asylrecht so komplex ist. Zudem kann die Bewertung seiner Gefährdung möglicherweise dazu führen, dass der Rechtsstaat diesen Menschen weiterhin dulden muss. 

Was  würde es für den Kampf gegen die Clan-Kriminalität bedeuten, wenn Miri im neuen Anlauf Asyl bekäme? 
Für die Polizisten und für alle Behörden und Institutionen, die in den Prozess und im Kampf  gegen Clankriminalität involviert sind, wäre das ein Schlag ins Gesicht. Es wäre allerdings auch ein Schlag ins Gesicht für die Bürger, die diese Form der Rechtswirklichkeit nicht mit ihrem Rechtsverständnis vereinbaren können. Solche Fälle kann man gegenwärtig in Deutschland kaum noch sachlich diskutieren. Und gerade in der dieser von Radikalismus geprägten Zeit darf man die Signalwirkung im Umgang mit solchen Fällen nicht unterschätzen. 

Die Fragen stellte Antje Hildebrandt.  

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