Horst Seehofer - Christsoziale Chaostage

Horst Seehofer hat den Machtkampf mit Kanzlerin Merkel verloren. Die CSU präsentiert sich führungslos, orientierungslos und zerstritten. Der Rücktritt des CSU-Vorsitzenden und Innenministers scheint unausweichlich. Merkel triumphiert, vorerst

Horst Seehofer: ohne Auswege / picture alliance
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Christoph Seils war Ressortleiter der „Berliner Republik“ bei Cicero bis Juni 2019. Im Januar 2011 ist im wjs-Verlag sein Buch Parteiendämmerung oder was kommt nach den Volksparteien erschienen.

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Was für ein politisches Drama. Stundenlang diskutiert die CSU-Führung am Sonntag in München über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung und über die Ergebnisse des EU-Gipfels. Seehofer demonstriert vor seinen Parteifreunden Härte, nennt die Beschlüsse, die Merkel aus Brüssel mitgebracht hat „nicht wirkungsgleich“. Was nur heißen kann, der Innenminister und CSU-Vorsitzende ist weiterhin für nationale Maßnahmen und die Zurückweisung von in anderen EU-Ländern registrierten Flüchtlingen an den deutschen Grenzen. Mehrere liberale CSU-Politiker widersprechen. Eine angekündigte Erklärung Seehofers wird mehrfach verschoben.

Dann der Paukenschlag. Horst Seehofer bietet am späten Abend seinen Rücktritt als Innenminister und als CSU-Vorsitzender an. Doch die Partei ist zunächst nicht bereit, diesen zu akzeptieren. In der Nacht kommt es zur Rolle rückwärts. Es soll am heutigen Montag in Berlin ein letztes Gespräch zwischen Seehofer und Merkel geben, einen letzten Versuch, eine Verständigung zu finden. Seehofer selbst gibt sich eine allerletzte Dreitagesfrist.

Völlig verpokert

Das CSU-Chaos steuert auf einen neuen Höhepunkt zu. Am Ende eines denkwürdigen Tages gibt es viele politische Verlierer, nicht nur in München, sondern auch in Berlin. Die CSU hat sich im Machtkampf mit der CDU und mit Bundeskanzlerin Angela Merkel völlig verpokert. Der Schaden ist gewaltig. Ohne Not und mit einem Hauch von Panik hat Horst Seehofer diesen Machtkampf vor ein paar Wochen vom Zaun gebrochen. Jetzt präsentiert sich die CSU führungslos, orientierungslos und zerstritten. Dreieinhalb Monate vor den bayerischen Landtagswahlen steht die selbsternannte Bayernpartei vor einem politischen Scherbenhaufen. Die absolute Mehrheit, die die Partei im Oktober unbedingt verteidigen will, ist damit in weite Ferne gerückt.

Um die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundesregierung ging es in dem Streit zwischen Merkel und Seehofer, zwischen CDU und CSU allerdings schon lange nicht mehr. Das zeigt sich vor allem daran, dass der Innenminister seinen Masterplan bis heute nicht veröffentlicht hat. In der Sache hätten beide Parteien zudem leicht einen Kompromiss erzielen können. Besonders weit liegen die Positionen von CDU und CSU in der Flüchtlingspolitik nicht auseinander. Zugleich tragen die Beschlüsse der EU aus der vergangenen Woche durchaus die Handschrift der CSU. Horst Seehofer hätte dies als seinen Erfolg feiern können.

Ein interner CSU-Machtkampf

Doch offensichtlich suchte Seehofer vor allem eine persönliche Abrechnung mit Merkel. Offensichtlich suchte er die finale persönliche Auseinandersetzung mit Merkel über ihre Flüchtlingspolitik seit 2015. Doch je persönlicher der Streit wurde, desto enger scharte sich die CDU um ihre Kanzlerin und ihre CDU-Vorsitzende. Die CDU demonstrierte Härte, stärkte Merkel am Sonntag auch in Sachen Richtlinienkompetenz noch einmal den Rücken. Nationale Alleingänge, wie sie die CSU fordert, lehnte der CDU-Vorstand demonstrativ ab.

Zugleich jedoch war Horst Seehofer in den vergangenen Wochen auch ein Getriebener. Seine innerparteilichen Widersacher, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder und der Chef der CSU-Landesgruppe im Bundestag, Alexander Dobrindt, hatten den Streit immer wieder angeheizt. Der Machtkampf zwischen CDU und CSU war und ist zugleich auch ein Machtkampf innerhalb der CSU. Auch deshalb hatte Horst Seehofer seine Glaubwürdigkeit am Ende völlig verloren. Sein Rücktritt wird am Ende unausweichlich sein. Weder in München noch in Berlin besitzt er noch die Autorität, die ein Innenminister und Parteivorsitzender braucht.

Getrennte Wege nicht mehr unwahrscheinlich

Was der eskalierte Streit der beiden Schwesterparteien für die Union und ihre Fraktionsgemeinschaft im Bundestag bedeutet, ist überhaupt nicht absehbar. Das Bündnis von CDU und CSU ist der zweite Verlierer der Christsozialen Chaostage, es durchlebt die tiefste Krise seit 1949. Das Verhältnis beider Parteien scheint völlig zerrüttet, gegenseitige Schuldzuweisungen werden öffentlich vorgetragen. Dass die beiden Parteien wieder zu einem vertrauensvollen und konstruktiven Miteinander kommen wollen, scheint in diesen Tagen kaum vorstellbar. Womöglich werden beide Parteien stattdessen schon bald tatsächlich getrennte Wege gehen.

Verloren hat in diesem Machtkampf auch die Große Koalition, obwohl sie noch keine hundert Tage im Amt ist, steckt sie schon in einer tiefen Krise. Wichtige andere politische Themen sind auf der Stecke geblieben. Das Vertrauen der Wähler in alle drei Regierungsparteien ist beschädigt. Käme es kurzfristig zu Neuwahlen, könnte CDU, CSU und SPD nicht mehr davon ausgehen, dass noch die Mehrheit der Wähler in Deutschland hinter ihnen steht.

Merkel steht gestärkt am Abgrund

Nur Bundeskanzlerin Angela Merkel sitzt zunächst wieder fest im Sattel. Sie hat einmal mehr bewiesen, dass ihr in Sachen Machtpolitik niemand in CDU und CSU das Wasser reichen kann. Indem sie die Auseinandersetzung vor zwei Wochen auf die europäische Bühne gezogen hatte, war sie gegenüber der CSU im Vorteil. Auch wenn manches, was in Brüssel beschlossen wurde, vage klingt und seine Wirkung erst mittelfristig entfalten wird, hält sie anders als Seehofer das Heft des Handelns weiter in ihren Händen.

Doch das Chaos in der CSU, der tiefe Riss, der durch die Union geht, und die Vertrauenskrise der Großen Koalition beschädigen auch die Kanzlerin. Letztlich ist auch Angela Merkel eine Verliererin des Machtkampfes zwischen den Schwesterparteien. Nicht ausgeschlossen, dass ein politisch angeschlagener Horst Seehofer in den kommenden drei Tagen versuchen könnte, seine Widersacherin mit in den Abgrund zu zerren.

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