Horst Seehofer - Der Vater aller Probleme?

„Seehofer ist schuld“ – auf dieses Narrativ scheinen sich die CSU und große Teile der linksliberalen Mitte geeinigt zu haben. Doch der Innenminister ist nicht alleine verantwortlich für die politische Malaise der Regierungsparteien. Tatsächlich ist das Prinzip Seehofer nicht nur in der CSU zu finden

Markus Söder und Horst Seehofer: Wer ist Schuld am drohenden Wahl-Debakel der CSU? / picture alliance
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Stephan-Götz Richter ist Herausgeber und Chefredakteur des Online-Magazins „The Globalist“, zusätzlich schreibt er auf seiner deutschen Webseite. Er hat lange Jahre in Washington, D.C. verbracht und lebt und arbeitet seit 2016 in Berlin.

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Angesichts der mauen Umfrageergebnisse vor den bayerischen Landtagswahlen scheint CSU-Spitzenkandidat Markus Söder bestrebt zu sein, sich der bundesweit grassierende Formel „Seehofer ist schuld“ anzuschließen. Freilich formuliert er die Schuldzuweisung etwas sachter in „Berlin ist schuld“ um. 

Der Versuch des neuen bayerischen Landesvaters, sich von der Verantwortung für das zu erwartende Wahlergebnis freizusprechen, läuft allerdings ins Leere. Neben Söders eigenem Hang zur seehoferschen Schaukastenpolitik (siehe die Kruzifix-Episode) liegt das vor allem daran, dass Söder etwas mephistohaftes an sich hat. Und zwar nicht in der gediegenen Gründgens-Variante, sondern eher in einer diabolisch wirkenden. Damit konterkariert er sein Bemühen, sich vom politischen Jagdhund zum gütigen Landesvater umzustilisieren.

Söder geht es nur um Söder

Man mag eine solche Feststellung für unzulässig halten, doch in unserem durchvisualisierten Zeitalter kommt diesem Faktor eine nicht zu unterschätzende Bedeutung zu. Er unterstreicht den ohnehin instinktiv empfundenen Eindruck, Söder gehe es allein um Söder. Ein Mann, der meint, jetzt sei einfach seine Zeit an der Sonne. Ein Sympathieträger ist er damit nicht. 

Wenn es Söder also insofern an Zuspruch mangelt, so ist das nicht die Schuld Seehofers. Denn bis zu seiner Ernennung als Bundesminister besaß dieser – vielleicht gerade wegen seiner bubenhaften Tölpelhaftigkeit – durchaus einen gewissen Sympathiewert.

Seehofer als Buhmann

Das Bestreben, Horst Seehofer zum Vater aller Probleme in der Bundesrepublik zu erklären, geht freilich weit über die CSU hinaus. Um jedwedem Missverständnis vorzubeugen: Eine politische Ehrenrettung Seehofers ist nicht mehr möglich. Dazu hat der Innenminister zu impulsiv und – als selbsternannter „Erfahrungsjurist“ – handwerklich zu stümperhaft operiert. 

Das bedeutet im Umkehrschluss aber nicht, dass Seehofer für die die politische Malaise der Regierungsparteien allein verantwortlich zu machen ist, im Gegenteil. Trotzdem stützt sich das zentrale Narrativ der linksliberalen Mitte auf eben diese Argumentation – aus reinem Selbstschutz, denn mit der politischen Realität im Land hat diese Hypothese nur sehr wenig zu tun. 

Viele Bürger treibt – weit über Seehofer hinaus – die Sorge um die handwerkliche Inkompetenz der gesamten Bundespolitik um. Ihnen schwant, dass die stümperhaft betriebene „Lösung“ der Dieselkrise ein Indikator dafür sein könnte, wie es sich etwa in Sachen Bewältigung der Flüchtlingskrise verhalten wird. 

Identisch mit Seehofer ergießt sich die GroKo meistenteils in großen Ankündigungen, die von den Bürgern als das verstanden werden, was sie sind: wohlklingende, inhaltsleere Sprachformeln. Diese Rhetorik ist oftmals gepaart mit handwerklicher Inkompetenz und/oder einem kollektivem Kopf-in-den-Sand-Stecken, wenn es um Maßnahmen der konkreten Umsetzung geht.

Seine Feinde müssten Seehofer lieben

Mit anderen Worten: Das Prinzip Seehofer ist überall. Er ist eben kein Ausreißer, sondern kann als symptomatisch für fast die gesamte Regierung betrachtet werden - als löblichen Ausnahmen sind wohl nur Justizministerin Katarina Barley und Familienministerin Franziska Giffey zu nennen.  

Wer das bezweifelt, muss sich doch folgendes fragen: Wenn Seehofer tatsächlich der „Vater“ aller Probleme wäre, warum sind dann die Werte von CDU, CSU und SPD im Gleichklang abgesackt? Und wenn die CSU ein solches Krebsgeschwür wäre, wie allseits behauptet, hätten dann nicht die beiden anderen Regierungsparteien zu den Gewinnern des Überspannens der CSU gehören müssen? Haben sie aber nicht.

So entschlossen das Narrativ „Seehofer muss weg“ (weil er ja an „allem“ schuld ist) auch vorgetragen wird, es wird schon sehr bald genau denen im Hals stecken bleiben, die es bisher am lautesten geschrien haben. Es kommt noch pikanter: Wegen Seehofers administrativer Ineffizienz im Amt müssten seine politischen Feinde ihn eigentlich lieben – und seine Fans ihn hassen, denn erreicht hat er ja so gut wie nichts.

Was wäre wohl die Alternative?

Man stelle sich Innenminister Seehofers Gegenteil vor: Einen Mann (oder eine Frau) der leisen Worte, der es auf administrativ geschickte und politisch versierte Weise versteht, mit dem heillosen Kompetenzwirrwarr endlich aufzuräumen, für alle 16 Bundesländer bei Migrationsfragen einheitliche Verfahrens- und Beurteilungsstandards zu schaffen, unser Land als ein echtes Einwanderungsland zu etablieren, das – um auch im konservativen Lager auf Akzeptanz zu stoßen – ebenso vom wohlverstandenen Eigeninteresse bestimmt ist, wie dies etwa in Kanada der Fall ist.

Würde Seehofer etwa durch den fachlich versierten bayerischen Innenminister Joachim Herrmann ersetzt, verfiele die Funktionärsgarde der SPD wohl in Schockstarre. Gleichwohl: Der SPD könnte dies aufgrund der höheren Effizienz der Bundesregierung sogar neuen Zuspruch von ihren abtrünnig gewordenen Wählern einbringen.

Ob Angela Merkel freilich bereit ist, einen solchen Schritt zu wagen, bleibt abzuwarten. Schließlich wäre eine solche Ernennung ihrer schwarz-grünen Alternative für Deutschland wenig förderlich. Ein Joachim Herrmann als Bundesinnenminister, in der Art eines zweiten Otto Schily, ist für die Grünen kaum vorstellbar. Auch wenn der Haudegen Schily vor seinem Wechsel zur SPD selbst Mitbegründer der Grünen war. 


 

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