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Presseschau zur Hessenwahl - „Es ist vorbei mit der Großen Koalition in Berlin“

Die ersten Kommentare der Medien zu den Wahlergebnissen in Hessen gehen nahezu alle in eine klare Richtung: Sowohl der Großen Koalition als auch der Bundeskanzlerin wird ein Ende der macht prognostiziert. Eine Presseschau

Andrea Nahles stellt nach Hessen die Groko in Frage / picture alliance
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  • „Kanzlerin Angela Merkel wird die Folgen tragen müssen“, analysiert Severin Weiland auf Spiegel Online. Denn die Hessen-CDU  habe das schlechteste Ergebnis seit mehr als 50 Jahren erreicht und die Kanzlerin sei selbst nach Ansicht der eigenen Anhänger keine Hilfe im Wahlkampf gewesen. Das werde der Frage weiterhin Nahrung geben, ob Merkel Anfang Dezember auf dem CDU-Bundesparteitag in Hamburg noch einmal als CDU-Vorsitzende antritt. „Die Marke Merkel hat sich verbraucht, das ist eine der Botschaften von Hessen“, schreibt Weiland.
     
  • „Es gibt derzeit zwei Zeitgeiste, einen Zeitgeist I und einen Zeitgeist II, die sich an Wahltagen materialisieren“, kommentiert Heribert Prantl für die Süddeutsche Zeitung. Dabei sei der Zeitgeist I schon länger bei der AfD zu Hause und der Zeitgeist II wohne neuerdings bei den Grünen. Zeitgeist I sei einer, der Abschließung und Ausschluss propagiere. Zeitgeist II propagiere Aufgeschlossenheit und Öffnung. Beide stünden für die gespaltene Mentalität unseres Zeitalters. Darum könnten sich die Parteien, bei denen keiner der beiden gerade wohne, sich abstrampeln können, wie sie wollen. Darum titelt Prantl: „Für Nahles ist es bitter, für Merkel ernst“.
     
  • „Ist deswegen ein baldiges Ende der Großen Koalition in Berlin in Sicht? Sie dürfte vorerst als wankendes Vehikel weiterexistieren“, schreibt Benedict Neff in der Neuen Zürcher Zeitung. Die einst großen Volksparteien würden dabei auch an ihrer Unfähigkeit zur Selbstkritik zugrunde gehen. Das betreffe insbesondere die Flüchtlingspolitik von 2015 und 2016, einen Tiefpunkt der Großen Koalition. Die Erklärung von Bundeskanzlerin Angela Merkel, man könne 3000 Kilometer deutsche Grenzen nicht schützen, habe nach Selbstaufgabe geklungen. „Die SPD braucht eine programmatische Neuausrichtung: Niemand weiß mehr, was diese Partei will und für wen sie Politik macht. Die CDU braucht insbesondere einen Personalwechsel. Angela Merkels Regierung hat sich erschöpft“, schreibt Neff.
     
  • „Es wäre ein Fehler, wenn Angela Merkel noch einmal für den CDU-Parteivorsitz kandidierte. Doch hört die Kanzlerin die Signale?“, fragt Berthold Kohler in seinem Kommentar für die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Bislang habe Merkel daran festgehalten, sich im Dezember erneut als CDU-Vorsitzende bestätigen zu lassen. Das Schicksal ihres Vorgängers Gerhard Schröder könne sie eigentlich lehren, dass ein Kanzler nie den Parteivorsitz abgeben solle. In Merkels Lage aber würde ein Festhalten an diesem Amt der größere Fehler. Stattdessen könne sie, wenn sie die Macht abgebe, belegen, dass auch sie wisse, was bereits alle wüssten: „Das Ende ihrer Kanzlerschaft naht“, schreibt Kohler.
     
  • „Die SPD sollte die große Koalition verlassen und Angela Merkel ihre Nachfolge organisieren“, rät Peter Dausend auf Zeit Online den Sozialdemokraten und der Bundeskanzlerin. Denn die Landtagswahl in Hessen, „dem politischen Großlabor Deutschlands“, markiere eine Zäsur. Es sei nun Geschichte, dass nur zwei Volksparteien flächendeckend die Geschicke des Landes bestimmten und die anderen mal hier mal da ein bisschen mitreden dürften. „Es ist vorbei mit der großen Koalition in Berlin. Egal, ob sie noch weiter regiert oder nicht.“ Nach Bayern würden die Partner nun auch in Hessen zusammen mehr als 20 Punkte Verlust einfahren. So heftig hätten die Wähler noch keine Bundesregierung abgestraft. „Die große Koalition verliert ihre Legitimation“, schreibt Dausend.
     
  • Dass die Traditionsbataillone der hessischen CDU Merkel tatsächlich verehren, darf stark bezweifelt werden“, kommentiert der Chefredakteur der taz, Georg Löwisch. Eher sei aus Roland Kochs einstigem Kampfverband Volker Bouffiers Krampfverband geworden, der nach dieser Niederlage auf Rache sinnen würde. In der hessischen CDU, die einst mit Ressentiments gegen Einwanderer noch gewonnen habe, würde abermals auf das starke Ergebnis der AfD verwiesen werden. Merkel stützen oder stürzen – nach Hessen wird diese Frage in der CDU nun weiter gären“, schreibt Löwisch.
     
  • „Die Reaktionen in der CDU, besonders die Glückwünsche der Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer zeigen, was in der CDU-Zentrale und im Kanzleramt herrscht: komplette Realitätsverweigerung“, kommentiert Bild-Chefredakteur Julian Reichelt. Das Ergebnis zeige schlicht die blanke Wut der Wähler. Der könne man nur begegnen, wenn man ein Gespür für Sorgen und Nöte der Menschen im Land habe. Wie die CDU das ins Positive ändern wolle, sei nicht erkennbar. „Diese CDU steht hilflos da“, schreibt Reichelt.
     
  • „Der Wähler hat der Großen Koalition eine Abfuhr erteilt – schon wieder. Doch die Große Koalition in Berlin wird so tun, als wäre nichts geschehen“, wagt Thomas Sigmund im Handelsblatt seinen Blick die Zukunft. Dort werde man auch weiterhin im Stillstand verweilen, weil bei Neuwahlen eben noch Schlimmeres für beide drohe. So schleppe sich die Koalition weiter dahin und tue so, als ob sie den Wählerwillen nicht mitbekommen habe. Das zeige sich schon daran, dass man sich erneut verzettele widersprüchlichen Projekten wie der Ausweitung der Mütterrente. Stattdessen müsse sie sich mit der Entlastung der Mitte der Gesellschaft oder einer konsequenten Zuwanderungspolitik beschäftigen.

Die Analyse von Cicero-Chefredakteur Christoph Schwennicke.

Das vorläufige amtliche Endergebnis.

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