Herbert Reul - Der ruhige Raufbold aus NRW

Niemand hatte den Europapolitiker Herbert Reul als NRW-Innenminister einst auf dem Schirm. Doch mit seiner anpackenden Art auch gegen Clan-Kriminalität hat er sich inzwischen Respekt verschafft

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Herbert Reul entpuppt sich als zupackender Ressortchef mit einem Hang zu öffentlichkeitswirksamen Aktionen / picture alliance
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Michael Hirz arbeitet als freier- Journalist und wohnt in Köln. Zuvor war er Programmgeschäftsführer beim Informationkanal Phoenix.

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Auf die Idee muss man erst mal kommen: Da holt Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet einen lang gedienten Europapolitiker, der in Brüssel die Abendsonne seiner Karriere genießt, ins Düsseldorfer Kabinett und macht ihn zum Innenminister – obwohl der weder Neigung noch Erfahrung für dieses wichtige Ressort mitbringt. Was wie die Handlungsanleitung für eine schmerzhafte Bauchlandung aussieht, könnte sich langfristig als kluger Schachzug erweisen. Denn Herbert Reul, Ex-Studienrat und mittlerweile 67 Jahre alt, entpuppt sich als zupackender Ressortchef mit einem Hang zu spektakulären und öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die ihm bei Bevölkerung und Polizei Beifall und beim politischen Gegner – neben oft reflexhafter Kritik – zumindest Respekt eintragen. Selbst ein Düsseldorfer Spitzen-Grüner bekennt: „Der macht seinen Job eigentlich ziemlich gut.“

Dabei hatte Reul niemand auf dem Zettel für das Amt. Und auch für ihn kam Laschets Offerte aus heiterem Himmel: „Da wär’ ich nie drauf gekommen.“ Als wenig sichtbarer, aber durchaus einfluss­reicher Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament und gewiefter Strippenzieher wollte er seine Karriere in Brüssel beenden, die er als Kommunalpolitiker im rheinischen Provinzstädtchen Leichlingen begonnen hatte. „Vielleicht war das für die Berufung jetzt genau der richtige Zeitpunkt. Ich will nicht mehr unbedingt was werden und außerdem bin ich ruhiger geworden“, sagt Reul.

Gute Fehlerkultur

Das ist vermutlich ein Segen, denn der Mann mit der hohen Stimme und der noch höheren Sprechgeschwindigkeit ist für rhetorische Sturmläufe bekannt – die allerdings gelegentlich mit dem Schuss aufs eigene Tor endeten.

Als Generalsekretär der CDU in Nordrhein-Westfalen war Herbert Reul zuständig für die Abteilung Attacke. Keiner verbalen Rauferei ging der Mann mit dem gelegentlich überschäumenden Temperament aus dem Weg. Nicht ohne Stolz erzählt Reul, dass der damalige SPD-Ministerpräsident Johannes Rau den Plenar­saal verließ, wenn er im Landtag das Wort ergriff: „Ich konnte schon rotzfrech sein.“ Inzwischen ist er konsens­orientierter, hat ein feines Gespür für Stimmungen und eine bei Politikern nicht überdurchschnittlich verbreitete Qualität: „Ich kann Fehler zugeben, wenn ich mich vergaloppiert habe.“ So entschuldigte er sich etwa jüngst per Tweet für einen „saublöden Blackout“ in einem ZDF-Liveinterview.

Durchgreifen bei der Polizei

Mit dem ihm eigenen Elan warf sich Herbert Reul auf die neue Aufgabe als Innenminister – und ging gleich auf die Überholspur. In zwei Jahren Amtszeit hat er in atemraubendem Tempo die Zahl der Polizisten deutlich erhöht und zäh ein Polizeigesetz durchgebracht, das bei Vorlage erst einmal von der Opposition und dem Koalitionspartner FDP zurückgewiesen wurde, am Ende aber selbst von SPD-Abgeordneten und der FDP mitgetragen wurde, obwohl es die Befugnisse der Verfolgungsbehörden deutlich ausgeweitet hat. Besondere Freude bereitet dem Innenminister dabei, dass der Altliberale Burkhard Hirsch seinen Segen gegeben hat, obwohl der ihm anfangs noch mit Verfassungsklage gedroht hatte: „Ich habe dreimal drei Stunden mit ihm diskutiert. Das war irre anstrengend, aber auch eine tolle Erfahrung.“

Bei seinen Polizeibeamten hat Reul gleich am Anfang gepunktet, weil er die von Rot-Grün eingeführte Kennzeichnungspflicht („Brandzeichen“) wieder abgeschafft hat. Obwohl sie ihn als Anfänger im Amt erst kritisch beäugten, schätzen sie inzwischen seine Loyalität. „Er steht zu seinen Leuten“, sagt ein hoher Kripobeamter, „das ist bei Politikern nicht selbstverständlich.“ Dennoch hütet er sich vor gefährlicher Kumpanei und versprach nach dem Missbrauchsfall von Lügde, der auch ein veritabler Polizeiskandal ist, rigorose Aufklärung. Reul machte das Thema Kinderpornografie zur Chefsache, erklärte es zum kriminalpolitischen Schwerpunkt und richtete eine Stabsstelle im Ministerium ein.

Harmonie als Selbstzweck?

Spektakulär ist Reuls Kampfansage an kriminelle türkisch-arabische Clans. Mit groß angelegten Razzien und unter Einbeziehung von Staatsanwälten, Steuerbehörden und Ordnungsämtern setzt er dem Milieu zu und macht deutlich, dass er es mit der Null-Toleranz-Strategie („Recht gilt für alle“) ernst meint. Ist hier die Zustimmung zu seinem forschen Handeln noch ungebrochen, ist sein harter Einsatz gegen die Klimaaktivisten und Waldbesetzer im Hambacher Forst politisch umstritten. Für ihn ist die Beseitigung illegaler Baumhäuser rechtsstaatlicher Auftrag, seine Gegner hingegen sehen angesichts des nahenden Kohleausstiegs in ihm einen Erfüllungsgehilfen des Energieriesen RWE. Aber Harmonie als Selbstzweck war noch nie Reuls Sache.

Dieser Text ist in der Oktober-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder direkt bei uns portofrei kaufen können. 

 

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