Hamed Abdel-Samad über Integration - „Wir müssen die Anspruchsmentalität des Islam stoppen“

Über die Integration der Muslime in Deutschland hat der Politologe Hamad Abdel-Samad ein „Protokoll des Scheiterns“ erstellt. Damit sie besser gelingen kann, fordert er im Interview vor allem eine Debatte über den Islam ohne Denkverbote

„Ich treffe mehr freie Frauen in Casablanca und in Beirut als in Berlin und Köln“ / Foto: Antje Berghäuser
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Herr Abdel-Samad, sie selbst kamen 1995 mit 23 Jahren nach Deutschland. Wie verlief eigentlich Ihre eigene Integration?
Deutschland war für mich wie ein kompliziertes Gerät. Die Freiheit war ein Wagen ohne Führerschein für mich. Deshalb bin ich auch ein paar Mal gegen die Wand gefahren. Mein erstes Ziel war nicht, Deutscher zu werden, sondern frei zu sein. Und über das Freisein wurde ich Deutscher.

Welche Rolle spielte dabei die Religion?
Religion ist eigentlich dafür da, Menschen Halt und Hoffnung zu geben, und nicht, um Mauern zwischen sich selbst und anderen zu errichten. Mit der Zeit setzte ich mich immer kritischer mit dem Islam auseinander. Ich versuchte, zu trennen zwischen dem, was ich als spirituelle Ebene betrachte und dem, woraus sich ein politisch-gesellschaftlicher Auftrag des Islam ableiten ließ. Diese Trennung hat mir den Blick darauf eröffnet, woran meine Integration bislang gescheitert war. An meiner Abgrenzung und an meinem Misstrauen gegenüber Deutschland.

Ob Deutschland ein Einwanderungsland ist, darüber wird immer gestritten. Die USA sind das ohne Zweifel. Aber auch dort gibt es Stadtviertel wie Chinatown oder Teile von Brooklyn, wo orthodoxe Juden noch immer so herumlaufen wie vor Jahrhunderten. Gibt es eine Pflicht, sich zu integrieren?
Wissen Sie, es ist überhaupt nicht problematisch, wenn jemand nicht integriert ist, solange er die anderen nicht stört. Das Problem haben wir mit Integrationsverweigerern, die andere Leute aus ihren Communities daran hindern, sich zu integrieren und auch das gesellschaftliche Zusammenleben insgesamt stören.

Und so ist es in islamischen Gemeinschaften in Deutschland?
Es ist absurd, in den islamischen Ländern kämpfen die Menschen darum, sich von religiösen Zwängen zu befreien. Hierzulande hingegen wird die Unfreiheit immer stärker. Wenn ich mehr freie Frauen in Casablanca und in Beirut treffe als in Berlin und Köln, dann bestätigt das meine These, dass die Integration gescheitert ist.

Warum machen Sie den Islam dafür verantwortlich?
Der Islam bietet eine Gesellschaftsordnung, eine Rechtsordnung und eine Weltsicht, die mit der modernen Gesellschaft überhaupt nichts zu tun hat. Der Islam teilt die Welt in Gläubige und Ungläubige auf. Das ist ein Integrationshindernis. Jeder Mensch kann konservativ, oder von mir aus fundamentalistisch zu Hause leben. Aber wenn man mit seinen fundamentalistischen Ansprüchen an die Gesellschaft Forderungen stellt, da beginnt das Problem. Und darin ist der Islam Weltmeister.

Woran machen Sie das konkret fest?
Bei den Speisevorschriften wollen sie nicht nur Halal-Fleisch in der Kantine haben, sondern sie wollen, dass gar kein Fleisch in der Kantine liegt. Das ist die Anspruchsmentalität. Sie wollen nicht nur ihre Kinder zuhause konservativ erziehen, sondern sie wollen auch, dass dieser Konservatismus in der Schule ankommt. Dass die Kinder nicht am Sportunterricht, nicht am Schwimmunterricht, Klassenfahrten teilnehmen, die Mädchen vor allem. Aus moralischen Gründen.

In dem Zusammenhang gibt es auch immer wieder Debatten über das Kopftuch. Warum sollten Frauen das nicht tragen dürfen, wenn sie das wollen?
Die Hintergrund des Kopftuchs ist die Vorstellung, dass ich sexuell angeregt werde, wenn ich die Haare einer Frau sehe. Und auch wenn ich die Haare eines Kindes sehe, dann würde ich demnach sexuell angeregt werden. Indem es ein Kopftuch trägt, soll mich demnach das Kind schützen. Was für ein krankes Männerbild das bedeutet, was für ein krankes Gesellschaftsbild und Frauenbild sowieso. Das Problem ist, dass wir das dulden im Rahmen der Religionsfreiheit. Und so verhandeln wir letztendlich unser Grundgesetz.

Gehört zu einer gelingenden Integration nicht auch, dass wir Deutsche auf Besonderheiten von fremden Kulturen wie bei den Muslimen eingehen?
Natürlich, dagegen hat keiner etwas. Aber wir müssen diese Anspruchsmentalität stoppen. Nicht durch Sonderrechte können wir Muslime besser integrieren, sondern durch Gleichberechtigung in allen Bereichen. Und genauso wie wir Gleichberechtigung und Freiheit in Bezug auf Muslime im Vergleich zu der deutschen Gesellschaft durchsetzen wollen, so muss das auch inner-islamisch und inner-migrantisch zuerst passieren.

Warum werden denn die Muslime nicht stärker in die Pflicht genommen?
Deutschland hat Wirtschaftspartner und will sie nicht verärgern. Man will den Flüchtlingsdeal mit der Türkei nicht kippen, man will die saudischen Investoren und die Kataris nicht verärgern, man will auch weiterhin Waffen an diese Länder liefern. Das ist lukrativ für den Staat, und deshalb ist es natürlich viel einfacher zu sagen, der Islam gehöre zu Deutschland. So drückt man ein Auge zu vor all diesen Problemen.

Wirklich? Die Diskussion über den Islam ist doch in aller Munde, und kritische Bücher von Thilo Sarrazin und von Ihnen werden breit besprochen und verkauft. 
Aber die Diskussion ist vielfach geprägt von Maulkörben. Das liegt vor allem an den Linken. Bei vielen von ihnen hat man den Eindruck, als behandelten sie die Muslime wie Kuscheltiere und mit Samthandschuhen. Die Ansprüche, die für Deutsche oder für Christen gelten, gelten nicht für Muslime. Das ist für mich eigentlich Rassismus, ein Rassismus der gesenkten Erwartungshaltung. Die Leute gehen davon aus, der Moslem ist nicht so weit wie sie, man könne nicht das Gleiche von ihm verlangen, wie von einem selbst. Ich hingegen nehme Muslime ernst. Deshalb kritisiere ich den Islam, weil ich will, dass die Muslime genau die gleichen Rechte, aber auch die gleichen Pflichten haben. Viele, und das ist einmalig in der Migrationsgeschichte, viele die hier herkommen, verachten die Werte ihrer neuen Heimat aber.

Woran liegt das?
Auch da ist wieder viel Träumerei im Spiel. Es ist eine Illusion, zu glauben, dass man zwei völlig unterschiedliche Wertesysteme konfliktfrei zu einer Deckungsgleichheit bringen könnte. Die Mainstream-Theologie des Islam und die Stammesmentalität zwingen Muslime dazu, sich entweder als Muslim oder als Europäer zu definieren. Integration bedeutet deshalb für sie, dass sie sich klar gegen diese Theologie und dieses Patriarchat positionieren müssen. Wer das auf der einen Seite nicht fordert und auf der anderen Seite nicht umsetzt, betreibt Augenwischerei. Zwischen Freiheit und Unfreiheit gibt es keinen Mittelweg.

Und daraus auszubrechen gelingt den Menschen nicht?
Ein solcher Aufbruch erfordert eine enorme soziale und emotionale Anstrengung, der die meisten nicht gewachsen sind. Deshalb fügen sie sich und so entstehen dann die Parallelgesellschaften. 

Es gibt doch aber zahlreiche Möglichkeiten, sich an deutsche Stellen zu wenden, an Sozialarbeiter zum Beispiel oder, im schlimmsten Fall, auch an die Polizei.
Wir haben in Deutschland und in Europa insgesamt ein sehr interessantes Phänomen, nämlich Allianzen zwischen arabischen Großfamilien und dem politischen Islam und den Moscheen. Warum? Weil sie gemeinsam die Kontrolle über das Viertel haben wollen, und weil alle ein Interesse daran haben, dass eine Kultur des Schweigens in dem Viertel herrscht. Sie wollen, dass niemand zur deutschen Polizei geht, sondern dass die Muslime diese Probleme selbst unter sich regeln. Und das passiert auf Kosten von den Schwachen und vor allem auf Kosten von Frauen, die so keinen Zugang zu der deutschen Justiz haben oder haben dürfen. Der politische Islam und arabische Großfamilien sind deshalb mitverantwortlich für die Zementierung dieser Parallelgesellschaften.

Ist es dann überhaupt möglich, von außen gegen diese Entwicklung vorzugehen?
Die Leute sitzen ja nicht 24 Stunden in Parallelgesellschaften und rezitieren den Koran. Sie kommen auch in unsere Schulen, sie kommen auch in unsere Betriebe. Und das ist die entscheidende Gesamtaufgabe der Gesellschaft: die Freiheit für diese Menschen attraktiver zu machen als die Unfreiheit, in der sie leben. Und nicht, indem man sie gegen ihre Eltern ausspielt oder irgendwie hetzt. Aber leider funktioniert das nicht. Denn auch an den Schulen herrschen unausgesprochene Verbote. Wenn ein Lehrer etwas gegen den Islam oder den türkischen Staat sagt, wird er schnell als Rassist verunglimpft. Letztendlich ist aber genau das ein Zeichen des Versagens unseres Bildungssystems, dass viele, die hier in der Freiheit aufgewachsen sind und Produkte unseres Schulsystems sind, am Ende doch die Salafisten oder Erdogan attraktiv finden.

Aber auch viele Muslime können mit dem politischen Islam nichts anfangen, sie leben ihren Glauben wie viele Christen privat aus, zahlen ihre Steuern und so weiter. Warum hört man von denen eigentlich so wenig? Die müsste es doch auch stören, dass sie von einem Großteil der Öffentlichkeit mit radikalen Salafisten in einen Topf geworfen werden.
Das tun sie auch, aber sie sind sehr leise. Fast alle organisierten Gruppen von Muslimen in den politischen Parteien sind konservative Muslime, die dem politischen Islam zuzurechnen sind. Je mehr solche Vertreter mit Politikern oder anderen Kirchenvertretern gesehen werden, desto mehr Legitimation verschaffen sie sich – auch bei „normalen Muslimen“. Vor allem jugendliche Muslime begeistern sich auch deshalb oft für einen radikaleren Islam. Hinzu kommt, dass sie sich nach Stärke und spiritueller Führung geradezu sehnen. Sie wachsen hier in einer Zerrissenheit auf. Weder ihrer Heimat, die eigentlich die Heimat ihrer Eltern und Großeltern ist, fühlen sie sich zugehörig, noch Deutschland, wo sie nicht richtig akzeptiert werden.

Und der politische Islam, also die Islamverbände nutzen das aus?
Ja, aber sie verleugnen das und alle glauben ihnen. Sie haben zum Beispiel abgelehnt, über Radikalisierung zu sprechen – „das hat mit dem Islam nichts zu tun, warum sollen wir als Islamverbände über Radikalisierung sprechen?” Dann kam das Thema Antisemitismus. Darauf antworteten sie:  „Das ist ein gesamtgesellschaftliches Problem, wenn wir über Antisemitismus im Islam sprechen, dann geben wir zu, dass das mit dem Islam zu tun hat.“ Dann folgt die Flüchtlingskrise, dann der Anschlag auf den Breitscheidplatz – und auf einmal bieten die Islamverbände sich als Gesprächspartner an, auf einmal gebärden sie sich alle als Deradikalisierer.

Ankommende Flüchtlinge in Bayern: „Die gleichen Fehler noch einmal“  / picture alliance

Nach der Flüchtlingskrise sind viel mehr Muslime nach Deutschland gekommen. Verschärft die erhöhte Zuwanderung das Problem? Oder kann sie nicht auch eine Chance sein, es besser zu machen?
Leider wiederholt man genau die gleichen Fehler noch einmal. Man redet mit den Flüchtlingen ungefähr so: Flüchtling komm, geh zu Deinem Asylheim, bau Deine Parallelgesellschaft, da sind wieder alle unter sich. Und falls Du Integration brauchst, schick ich Dich zu dieser Moschee, da sind supernette Leute. Die Moscheen und Islamverbände machen da auch mit, nach außen tönen sie laut  „Wir wollen Integration!“ Und natürlich glaubt man ihnen. In Wirklichkeit wollen sie aber Fördergelder. 

Was sollte die Politik stattdessen tun?
Bevor wir über irgendwelche Integrationsmaßnahmen sprechen, muss der Staat sein Gewaltmonopol zurückholen von den arabischen Großfamilien und vom politischen Islam. Es kann nicht sein, dass wir in Deutschland No-go-Areas haben, wo die Polizei zögert, hineinzugehen. Die Justiz muss schneller handeln und schneller agieren. Kriminelle haben in diesem Land nichts zu suchen, sie müssen schneller abgeschoben werden.

Kann es den Leuten helfen, wenn ihre Familien aus der Heimat früher nachkommen?
Ich bin der Meinung, der Familiennachzug verhindert Integration, nicht umgekehrt, wie alle behaupten. Haben wir nicht aus der Vergangenheit etwas gelernt? Als die Familien aus der Türkei kamen, kam nicht die Integration, sondern es kamen frustrierte junge Leute, die keine Chance haben, in dieser Gesellschaft anzukommen. All das muss die Politik eigentlich vor Augen haben, bevor man sagt, es sei unsere moralische Verantwortung, die Grenzen zu öffnen. Ich habe nichts gegen Moral und Verantwortung. Aber wo ist das Konzept?

Das Konzept vermissen Sie auch bei Bundeskanzlerin Angela Merkel?
Es gibt nur diese moralische Keule. Sie entgegnete den Kritikern der Willkommenskultur „In diesem Deutschland will ich nicht leben“ –  Nein! Du bist Bundeskanzlerin, Du bist verantwortlich, mir ein Konzept vorzulegen, nicht moralische Keulen. Du hast Dich entschieden, die Grenzen aufzumachen. Gerne. Aber was ist Dein Konzept für die Integration dieser Menschen? Die Antwort lautet dann ungefähr so: „Ich habe kein Konzept, wenn Du etwas anderes sagst, dann bist Du rechtsradikal!” Und genau das ist das Problem. Alle, die sich kritisch mit diesem Thema auseinandergesetzt haben, wurde irgendwann in diese rechtsradikale oder islamophobe Ecke geschoben. Auch der Diskurs muss sich ändern, damit wir über solche Themen auch frei diskutieren können. Wie können wir das Problem lösen, wenn wir keine richtige Diagnose erstellen? Und wie können wir dann die passende Medizin verschreiben, wenn schon die Diagnose falsch war?

Ähnlich argumentiert auch die AfD. Fühlen Sie sich wohl als deren Stichwortgeber?
Wollen wir das Problem lösen oder nicht? Wenn wir das Problem lösen wollen, dann müssen wir das Kind beim Namen nennen. Wenn wir das Kind beim Namen nennen und dabei Argumente fallen, die der AfD gefallen, ist es mir egal. Weil in erster Linie meine Angst ist, dass die Gesellschaft auseinanderdriftet. Meine Angst ist, dass wir es nicht hinbekommen mit der Integration. Meine Angst ist, dass wir noch eine weitere Generation der Muslime verlieren. Wenn wir dann nur darauf achten, was die AfD daraus macht, verwechseln wir Ursache und Wirkung. Und indem wir voreilig und auch zu Unrecht jeden, der sich kritisch mit dem Thema auseinandersetzt, dem rechten Rand zuschreiben, vergrößern wir automatisch diesen rechten Rand. Und Leute, die insgesamt an Deutschland interessiert sind, die an der Lösung der Probleme interessiert sind, müssen über die Probleme sprechen können – ohne dass ihnen andere sagen: „Ja, aber das hat mit dem Islam nichts  zu tun“ – Danke, auf Wiedersehen, ich will Dich nie wiedersehen in der Debatte! Wenn ich den Islam als Problemfaktor nenne, dann sei nicht beleidigt. Wenn Du so reagierst, dann bist Du ein Kind, so kann ich Dich nicht ernst nehmen.

Wie kann es nun weitergehen? Was muss sich am schnellsten ändern?
Erst einmal muss der der Staat die Leute fit machen dafür, um in der Digitalisierung klar zu kommen. Die Digitalisierung frisst sehr viele Arbeitsplätze. Und die meisten Migranten arbeiten im Niedriglohnsektor, der von dieser Digitalisierung automatisch betroffen ist. Wo ist das Konzept? Wo werden diese Leute in Zukunft arbeiten? Oder vergrößern wir nicht dadurch auch die Hartz-IV-Dynastien? Natürlich muss der Staat auch diskriminierende Strukturen eliminieren. Alle müssen die gleichen Teilhabemöglichkeiten haben, egal was sie für eine Haarfarbe, Religion oder Herkunft haben. Gar keine Frage, wir haben diese diskriminierenden Strukturen. Aber letzten Endes gelingt Integration nur, wenn der Betroffene als Individuum seinen eigenen Weg in die Freiheit geht, sich von der Bevormundung verabschiedet. Wenn es er wirklich will, ohne Wenn und Aber Teil dieser Gesellschaft zu sein. Und die Werte der hiesigen Gesellschaft nicht nur bejaht, sondern auch in seinem Alltag auslebt.

 

 

Hamed Abdel-Samad, „Integration – ein Protokoll des Scheiterns“, erschienen bei DroemerKnaur, 272 Seiten, 19,90 Euro

 

 

 

 

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