Habeck in Landshut - Erst spalten, dann versöhnen

Robert Habeck präsentierte am Aschermittwoch die Grünen als einzig wahre Staatspartei. Nur sie seien bereit zur politischen Führung. Die Republik soll ein grüner Teetisch werden. Diese Utopie ist ebenso wolkig wie abgründig.

Robert Habeck hielt keine Rede - er führte einen„Aschermittwochsdiskurs“ / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

So erreichen Sie Alexander Kissler:

Anzeige

Unlängst stieg Robert Habeck in den Olymp des öffentlich-rechtlichen Fernsehens auf. Die Satiresendung „extra 3“ hielt ihn für parodiewürdig. Max Giermann tat es mit der ihm eigenen Meisterschaft. Der schräg gehaltene Kopf, das kunstvolle Nuscheln, die eitle Uneitelkeit, die effektvolle Mischung aus Gefühligkeit, Soziologie und schlechter Laune, mündend ins Bekenntnis: „Ich steh‘ für ‘ne Politik, die Bock macht auf Politik“ – so kennen wir ihn, den echten Habeck, aus unzähligen Talkshows.

Der nölende Softboy kann aber auch anders. Es gibt auch Robert, den Tribun. Ihn konnte man an Aschermittwoch besichtigen. Habecks Auftritt im bayerischen Landshut machte deutlich: Die Grünen sehen sich als neue deutsche Staatspartei. Gegen das Brüllen der anderen anzubrüllen: Habeck gelingt der Selbstwiderspruch, ohne dass es ihn aus der rednerischen Spur trüge.

Zeitlose Trivialitäten sind Habecks neue Erkenntnis

Seine Stimme wurde laut und schrill, die Arme schaufelten im Stakkato, Auf und Ab, Auf und Ab, kein Lächeln trübte die Miene, „in einer Zeit, wo lautes Brüllen eher ein Zeichen der Schwäche und Unsicherheit ist“. War es das nicht schon immer? Bereits zu Abrahams Zeiten musste der Mächtige nicht brüllen, sogar Gott sprach im Säuseln des Windes. Es gehört zu den Eigentümlichkeiten des Redners Habeck, dass er zeitlose Trivialitäten als brandneue Erkenntnisse verkauft.

Er spricht – mit ihm tut es seine Partei – im Auftrag „dieser Zeit“. Die Grünen wollen die Zeitpartei schlechthin sein, da nur sie die Zeit vollumfänglich begriffen hätten. Daraus leiten sie „Entschlusskraft und Führungsstärke“ ab. Von den Volksparteien sei keine „politische Führung“ zu erwarten. Die Grünen, heißt das, wollen das Vakuum der Macht füllen, um in dessen Zentrum vorzustoßen. Was aber will die Zeit?

Gegensätzlichkeit als Prinzip

Habeck argumentierte auf nationalem Grund und gab zur Antwort: ein „Unterhaken“, eine „Vertrauenskultur“, „Mut und Leidenschaft, die Veränderung zu gestalten“, die Versöhnung der Gegensätze. Als Daoist der Macht dachte Habeck in erster Linie an die Versöhnung von Ökologie und Ökonomie, diesem „Geschwisterpaar“. Alles andere wäre ein „Denken der Steinzeit“. Doch gemeint war auch die Überwindung des Gegensätzlichen generell, der Gegensätzlichkeit als Prinzip.

Alles soll eins werden, nicht konfliktfrei, aber in befriedeter „Vielfalt“. Man riecht den Yogi-Tee aus solchen Worten. Habeck begreift sich als Verkörperung Deutschlands, des guten Deutschlands freilich, des neuen, des anständigen, des wahrhaft modernen Deutschlands, das „in Strukturen und Bündnissen“ denkt statt in Antagonismen, eines Deutschlands, das einen „Heilsdiskurs“ führt, „der ein zusammenführender Diskurs ist“.

Das Motto lautet: „Tout dire" 

Habeck nannte seine Aschermittwochsrede einen „Aschermittwochsdiskurs“. Heilsdiskurs: Ob es ein Versprecher war und ein „heilender“ Diskurs gemeint war? So oder so lässt der Ausflug ins Therapeutenfach aufhorchen. Das Zusammenführen der Gegensätze ist offenbar harte Arbeit und bedarf robuster Anleitung. In einer Republik, die ein großer grüner Teetisch wäre, müssten Verstockte kuriert werden im fortwährenden Gespräch.

Ohne Vulgärrousseauismus kommt keine grüne Rede aus. Rousseaus philosophisches wie lebenspraktisches Motto steht über jeder grünen Bühne, tout dire, alles sagen. Und Habeck sagte in seinem bekannten und bekannt wolkigen Plädoyer für neue „Denkräume, Diskussionsräume, Streiträume“ – Max Giermann nuschelte vom „Echoraum für alle progressiven Kräfte“: Deutschland brauche, die Zeit verlange „Politik aus einem Guss, die sich traut, die Systeme zu ändern, von innen heraus zu ändern, um über die Systeme auch zu einer politischen Gemeinsamkeit wieder zu kommen.“

Auf Fragen mit Fragen antworten

Das klingt nach einem umgedrehten Johannes Rau: Erst spalten, dann versöhnen. „Politische Gemeinsamkeit“ wäre nur um den Preis verringerter Vielfalt zu erkaufen, die doch das Herz der neuen Republik bilden soll. Welche „Systeme“ sollen wie geändert werden? Und was macht man mit denen, die an alten Systemen wie beispielsweise Marktwirtschaft und Eigentumsrecht und repräsentativer Demokratie hängen?

Habecks Reden funktionieren auch deshalb außerordentlich gut, weil sie Fragen hervorrufen, auf die sie mit Fragen antworten. Das Zwiebelprinzip wird bei Habeck oratorisch. „Der Markt wird’s richten? Der Markt richtet sie hin“, echauffierte sich Habeck über die schwierige Lage der Landwirte. Will er den Markt abschaffen? Darauf fanden sich in Landshut keine Hinweise. Welche anderen abschaffungswürdigen Systeme meint er? Jene, die der Zukunft als „Ermöglichungsraum“ im Weg stehen.

„Neuvermessung des demokratischen Spielraums“

Davon abgesehen, dass Zukunft immer eine Möglichkeit bezeichnet, da sie niemand kennt, das war schon bei den alten Sumerern so –, davon abgesehen, bleibt von der Bereitschaft zu politischer Führung oft nur dies zurück: die Bereitschaft zur Führung. Der Wille ins Zentrum. Am Tisch der grünen Teerepublik sind viele willkommen, doch nicht alle geladen. Im „Heilsdiskurs“ wird sich zeigen, wer der „Aufgabe der Zeit“ genügt, die da heißt: „Neuvermessung des demokratischen Spielraums“.

Nicht mitspielen dürfen die anfangs kurz, aber entschieden abgeurteilten „Nazis“. Da kann man Robert Habeck nur zustimmen. Die braune Brut möge sich verziehen oder bessern und auf jeden Fall den Rechtsstaat kennenlernen. Soll man sie aber, darf man sie aber alle „hinter Schloss und Riegel“ bringen, dahin, „wo sie hingehören“? Bei Straftaten gewiss. Falsche Gesinnung aber taugt nicht zur Haft. Ein Hauch Robespierre ist jedem Tribun beigemischt. Wir werden von Robert Habeck noch viel hören.

Anzeige