Die Grünen und der Krieg - Seien wir unmöglich, versuchen wir das Realistische

Mit seiner Äußerung, man könne der Ukraine keine Defensivwaffen verwehren, hat Robert Habeck unter Grünen eine erhitzte Debatte ausgelöst. Wieder einmal stolpert die Partei über eine ungelöste Frage und über die eigene Geschichte. Es wird Zeit, sich in Sachen Krieg und Frieden ehrlich zu machen.

Robert Habeck in der Nähe von Mariupol / dpa
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Ralf Hanselle ist stellvertretender Chefredakteur von Cicero. Im Verlag zu Klampen erschien von ihm zuletzt das Buch „Homo digitalis. Obdachlose im Cyberspace“.

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Robert Habeck war zu Besuch in der Ostukraine. Wie zum Beleg dieser gefährlichen Mission geisterte bald ein Foto durch die Bildagenturen, das den grünen Spitzenmann mit olivgrünem Stahlhelm und schusssicherer Weste in einem zerstörten Dorf nahe Mariupol in der Oblast Donezk zeigte. Während er kurz hinter der Frontlinie am Boden kniete und Munitionsreste begutachtete, müssen dem behelmten Bundesvorsitzenden quälende Gedanken durch den Kopf gegangen sein.

Kurz zuvor nämlich, er hatte sich am Morgen noch mit dem ukrainischen Präsidenten Selenskij beraten, hat sich Habeck zu einer seither viel diskutierten Aussage hinreißen lassen: „Waffen zur Verteidigung, zur Selbstverteidigung, Defensivwaffen kann man meiner Ansicht nach der Ukraine schwer verwehren“, sagte er frei und offen gegenüber einem Journalisten des Deutschlandfunks.

Es war nur ein Satz. Der aber hat die grüne Seele in Windeseile in Habachtstellung gebracht. Waffenlieferungen in ein europäisches Konfliktgebiet, angeregt von einem Spitzen-Realo, der mit seiner Auslandsreise sicherlich auch Ambitionen für das im September wieder neu zu besetzende Außenministerium kundtun wollte: Ein fast schon transgeneratives Trauma schien sich in der alten Öko- und Friedenspartei neu entzündet zu haben.

Aus Träumen erwacht

Waffen. Nur ein Wort, und der Phantomschmerz bei den Grünen ist angetriggert. Die Reaktionen innerhalb der selbsternannten Friedenspartei ließen nicht lange auf sich warten: Jürgen Trittin etwa, einstiger Bundesumweltminister in der Regierung Schröder und später selbst einmal Co-Vorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen sagte gegenüber dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass Waffenlieferungen in die Ukraine dem Grundsatz seiner Partei widersprächen, keine Waffen in Kriegsgebiete zu exportieren. Zudem: „Jede Abwehrwaffe kann auch offensiv genutzt werden“, so Trittin in einer mahnenden Stellungnahme.

Selbst Annalena Baerbock schien plötzlich aus den tiefen Träumen des sonst so harmonisch dahindümpelnden Wahlkampfauftakts gerissen zu sein. In einem ARD-Interview mit Sandra Maischberger unterstrich die grüne Kanzlerkandidatin gestern die generelle Ablehnung ihrer Partei gegenüber Waffenlieferungen in Kriegsgebiete: „Das steht auch in unserem Programm, und das sehen wir als Parteivorsitzende beide so“, sagte Baerbock unmissverständlich in der Sendung „Maischberger. Die Woche“.

Das Ende friedlicher Symbiose

So ganz indes schien die Kanzlerin der reinen Herzen der friedlichen Koexistenz an der Spitze nicht mehr zu trauen. Defensivwaffen? Hatte das ihr politischer Sparringspartner wirklich gesagt? Er hatte. Auch wenn Baerbock das gegenüber Sandra Maischberger in einer ersten Reaktion noch wegleugnen und vom Tisch wischen wollte. Getreu dem Motto: Es darf nicht sein, was der Welt der Wünsche zuwiderläuft.

Zwar hatte Robert Habeck zwischenzeitlich tatsächlich leicht zurückgerudert und wiederum im Deutschlandfunk nur noch von der Lieferung von Nachtsichtgeräten, Kampfmittelbeseitigung und gepanzerten Fahrzeugen zur Bergung von Verletzten gesprochen, im Kern aber blieb er bei seiner Forderung. Wider besseren Wissens betrat er vermintes Gelände: „Natürlich sind wir eine Partei, die aus dem Pazifismus kommt, und jeder Konflikt ist ein Elend, und wenn die Menschen sterben, ist das schlimm.“ Wer sich aber mit der Ukraine beschäftige, könne „zumindest Hilfe zur Selbsthilfe, zur Verteidigung“ nicht ablehnen, so Habeck.

Das Trauma von Bielefeld

Es waren Worte, die nach Bielefeld klangen, dem ostwestfälischen Waterloo der innerparteilichen Friedensfreunde. Die Älteren erinnern sich: Es war der 13. Mai 1999, die Grünen waren damals ein halbes Jahr an der Macht und gerade dabei, zusammen mit ihrem damaligen Außenminister Joschka Fischer in den ersten Kriegseinsatz seit Bestehen der Bundesrepublik zu stolpern, als auf dem Kosovo-Sonderparteitag von Bielefeld das angebliche Herz der Partei zerrissen wurde: Gegenüber seinen „lieben Freundinnen und Freunden“ und den „geliebten Gegnern“ rechtfertigte Fischer damals den Nato-Einsatz im Kosovo mit dem Satz „Für Frieden reicht die moralische Empörung nicht aus.“

Eine Diagnose, die bitter nach Realismus schmeckte, die wehtat. So sehr, dass Fischer damals von der Pazifistenfraktion mit einem roten Farbbeutel geohrfeigt wurde und sich mit dem Vorwurf des „moralischen Overkills“ herumquälen musste. 

Geändert hat sich seither wenig: In Sachen Krieg und Frieden durchzieht die Grünen – aber wohl nicht nur die – noch immer ein schmerzhafter Riss. Dieser trennt nicht nur die Fundis von den Realos, er trennt in einem jeden Hirn von Herz und Gut von Böse. Mit dem Kopf in Wolkenkuckucksheim, mit den Füßen im Paradies auf Erden. Es ist ein alter, allzu menschlicher Reflex. Denn wer wollte nicht einmal von Herzen gut und friedlich sein? ’s ist leider Krieg – und ich begehre, / Nicht schuld daran zu sein! Schon der Barock-Dichter Matthias Claudius kannte dieses Dilemma.

Waffen für Nicaragua

Das Problem ist indes dieses: Je mehr man auf den eigenen Friedenswillen beharrt, je mehr entgleiten einem seine düsteren Triebe. Bei den Grünen fing das nicht erst im Kosovo an. Unvergessen etwa sind bis heute jene Demonstrationen, Ausflüge und Spendenaktionen, bei denen in den Achtzigerjahren Angehörige eines sogenannten „Nicaragua-Komitees“ mehr als drei Millionen Mark für die Aktion „Waffen für El Salvador“ gesammelt hatten. Und als wäre den angegrünten Friedensfreunden schon damals der blinde Fleck nicht aufgefallen, nannten sie die Aktion zu allem Überfluss „Frieden für Nicaragua“.

Ist das also die Partei, die laut Robert Habeck „aus dem Pazifismus kommt“? Höchste Zeit vielleicht, dass sich die Grünen in Sachen Krieg und Frieden endlich ehrlich machen. Das Wahljahr 2021 böte gute Gelegenheit. Habecks Vorstoß geht jedenfalls in die richtige Richtung. „Seien wir unmöglich, versuchen wir das Realistische!“, möchte man den Grünen in Umkehrung eines berühmten Satzes zurufen, der merkwürdigerweise besonders unter Friedensbewegten seit Jahrzehnten Hochkonjunktur hat. Der Urheber des Originals war übrigens ein Massenmörder: Comandante Che Guevara.

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