Katharina Schulze - Auf revolutionären Gleisen

Die CSU stürzt in Bayern ab. Die Grünen erleben dagegen einen Höhenflug. Das liegt auch an der Spitzenkandidatin Katharina Schulze. Ein Porträt

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Trotz des populistischen Kurses der CSU kommt Katharina Schulze eine Absage an Schwarz-Grün nicht über die Lippen / Tanja Kernweiss
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Lenin fuhr für die Oktoberrevolution in Russland 1917 mit dem Zug von Zürich nach Sankt Petersburg. Für die Oktoberrevolution in Bayern fährt Katharina Schulze mit dem Zug von München nach Geisenhausen. Mit solchen Vergleichen muss die Fraktionsvorsitzende und Spitzenkandidatin der Grünen in Bayern leben. Man könnte auch sagen, Schulze hat sie regelrecht provoziert. „1918, 1968, 2018: Wie wird die nächste Revolution in Bayern?“ stand auf einer Postkarte, die die 33-Jährige zum Jahreswechsel verschickte.

Revolutionäre Zeiten könnten in Bayern tatsächlich bevorstehen. Die CSU bangt in München um die absolute Mehrheit, so sehr, dass sie in Berlin einen Machtkampf gegen Kanzlerin Merkel angezettelt hat. Falls sich das waghalsige Manöver für Markus Söder nicht auszahlt, braucht er in Bayern Partner. Könnten das auch die Grünen sein? Zumindest wären die in einer starken Position. In den Umfragen haben sich die Grünen im Vergleich zur Landtagswahl 2013 um mehr als fünf Punkte verbessert, im Oktober können sie derzeit mit etwa 15 Prozent rechnen. Sie liegen dabei vor der SPD und gleichauf mit der AfD.

Wille zur Macht

Katharina Schulze – blond, blaue Augen, ein pinkes Top, dazu ein schwarzer Rock – hat lange mit einem Bündnis zwischen Grünen und CSU kokettiert. Jetzt, nach den seehoferschen Plänen zur Migrationspolitik, geht das nicht mehr. „Bei dem nationalistischen und populistischen Kurs ist mit der CSU kein Staat zu machen“, sagt sie, fügt aber hinzu: „Wir Grüne sind weiterhin bereit, Verantwortung in diesem schönen Land zu übernehmen.“ Man spürt bei ihr die aufrechte Empörung, aber gleichzeitig den Willen zur Macht. Eine endgültige Absage an Schwarz-Grün kommt ihr deshalb letztendlich nicht über die Lippen. Es ist ein holpriger Kurs, den sie eingeschlagen hat und bei dem sie aufpassen muss, nicht ins Schlingern zu kommen.

Dazu passt auch die Zugreise Anfang Juni. Geisenhausen liegt im tiefsten Niederbayern; dort, im Trachtenkulturzentrum, findet eine Podiumsdiskussion zum Thema „Gewalt gegen Polizei“ statt, organisiert von der Polizeigewerkschaft. Normalerweise ist eine Grüne hier ungefähr so willkommen wie ein ­CSUler auf einer Refugees-welcome-Demo.

Unkonventionelles Auftreten

Katharina Schulze aber tritt im CSU-Land so auf, wie sie Politik generell angeht. Bestimmt und klar im Argument, versiert in den Fakten und vor allem: fröhlich und voller Energie. Sie geht auf die Leute zu. Es ist schwer, sich nicht von ihrer guten Laune anstecken zu lassen. Auch weil sie nicht spricht wie eine Politikerin. Im Wahlkampf sei es ihr Schönstes, an fremden Türen zu klingeln und mit den Leuten zu quatschen. „Man hat dann das Gefühl so: Hammer, soundso viele Türen geschafft in zwei Stunden, bäm, hab ich mir n’ Eis verdient.“

Wer sie dafür belächelt, hat den ersten Fehler schon gemacht. Denn, so bestätigen es ihre Kollegen, sie wirft sich in jedes Thema mit allem, was sie hat. Große Namen schrecken sie nicht, das musste schon die bayerische Grünen-Ikone Claudia Roth erfahren. Als Vorsitzende der Grünen Jugend München kämpfte Schulze gegen Olympische Winterspiele in Bayern und damit auch gegen Roth, die damals im Kuratorium saß. Ihre Rede auf dem Bundesparteitag 2010 war ihre Feuertaufe. „Ich war mega aufgeregt, ich hatte ja noch nie vor so vielen Leuten gesprochen“, erinnert sie sich. Die Abstimmung gewann sie. Wie kampagnenfähig Schulze ist, weiß auch Ministerpräsident Markus Söder. Denn die Münchner stimmten schließlich gegen eine Olympiabewerbung sowie gegen eine dritte Startbahn des Flughafens. Und niemand macht momentan so stark Opposition gegen das umstrittene Polizeiaufgabengesetz wie Schulze. Es liegt auch an ihr, dass in Bayern 40 000 Menschen dagegen auf die Straße gingen.

Schritt für Schritt zur Realpolitik

Doch der Widerstand gegen die CSU bleibt eine Gratwanderung, denn wollen die Grünen tatsächlich in die Regierung, müssen sie Kompromisse eingehen. Schulze schreckt das nicht. Seit sie vom Ammersee aus in die Politik ging, sei ihr Ansatz gewesen: „Ich möchte die Welt retten, aber pragmatisch.“ Trotz ihrer Jugend ist sie politisch nicht unbeleckt. Sie war Schülersprecherin, organisierte Partys in der Aula und den Bus zur Anti-Irakkriegs-Demo. Später studierte sie Politikwissenschaft in München und machte ein Praktikum im Wahlkampfteam von Barack Obama. Dabei sei ihr klar geworden: „Bessergemeckert bekommt man die Welt nicht.“

So hat sich Katharina Schulze Schritt für Schritt der Realpolitik genähert, sich angepasst. Und sie weiß: Ihre Power kann mitreißen, aber auch ermüden. „Ich rede schon viel langsamer als früher“, sagt sie errötend. Der Schulze-Zug aber wird weiter Fahrt aufnehmen. Nur aus dem Gleis springen darf er nicht.

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie am Kiosk oder in unserem Onlineshop erhalten.















 

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